Hm, ich bin ganz am Anfang schon mal auf den Thread gestoßen und dachte "He, interessantes Thema", hatte aber keine Zeit. Jetzt habe ich mal alles nachgelesen und der Kopf rauchte

Nach langem überlegen will ich hier gern mal von uns berichten, kurz wird es sicher nicht

Vornweg möchte ich noch kurz sagen, dass ich alle Seiten ein Stück weit verstehe, die die provozieren und die die sich provoziert fühlen. Auf mich trifft (hoffentlich) keins von beiden zu, mich hat Piepalds Fred zum nachdenken angeregt, da es mir gerade so geht:
Ich bin an sich verkappter Dressurreiter, habe aber keine begabten Pferde und nicht den nötigen Ehrgeiz, daran viel zu ändern. Egal, auch nicht weiter schlimm, seit ein paar Jahren reite ich Distanzen - just for fun. Mit meinen beiden Oldies waren Geländeritte immer sehr schön. Ich war vor allem mit meiner Fella immer viel draußen unterwegs. Früher waren regelmäßig Wochenendgeländeritte von gut 4 h mit Fresspausen auf der Wiese, Eispausen für den Reiter und auch mal Stücken zu Fuss keine Seltenheit. In der Woche waren es dann eher mal kürzere Runden. Im Winter die dann kaum oder sehr kurz (30 min) in der Dämmerung durchs Wohngebiet, um den Stall, um die Felder - je nachdem wo die Hühs gerade wohnten. Ich muss dazu sagen, dass beide Pferde eher zum Typ Equus oeconimicus gehören - Energiesparmodelle, ein kurzer Sprint ja, aber treiben im Gelände war mir nicht unbekannt, dafür war das alles auch fast immer am langen/hingegebenen Zügel. Selbst im Frühling, wenn dann doch mal der Arsch juckte war das alles nicht so schlimm - buckeln, hüpfen, rennen. Aber wir blieben alle beieinander. Komischerweise waren fast alle anderen (fremden) Pferde anders drauf im Gelände. Nix mit triebig, eher dass ich auch mal zufassen musste oder locker flockig vorwärts, kurz ich bin auch sehr viele andere verschiedene Pferde geritten. Habe angstvolle Minuten und Stunden auf Bucklern und Durchgängern verbracht und genauso viel Zeit auf traumhaft fleißig vor sich hin laufenden Pferden. Aber es war immer Freude beim reiten dabei. Es gab eigentlich kein Pferd wo ich gesagt hätte, da setze ich mich nicht mehr drauf, höchstens unter anderen Umständen.
Dann kam Frau Schimmel in mein Leben. Die letzten Jahren bevor sie zu mir kam bin ich weniger fremde Pferde geritten und mittlerweile hatte sich auch ein Teil einer meiner Bandscheiben verabschiedet. Und ich musste feststellen als Erwachsener überlegt man viel, schätzt ab was passieren kann - Kopfkino vom feinsten. Früher habe ich mich auf jedes Pferd gesetzt, das mache ich jetzt nicht mehr.
Darina (Schimmelin) ist verdammt schnell. Schon nur diese ungewohnte hohe Geschwindigkeit die sie an den Tag legen kann war für mich am Anfang der totale Atemräuber. Schlecht ausgebildet, schlecht behandelt, gesundheitlich und mit Psychomaken vorbelastet kam sie zu mir. Und sie ist ein Durchgänger, eine Kämpferin, sie gibt nicht auf, sie mag Menschen nicht leiden, wenn sie nicht will, flüchtet sie, wenn sie das nicht kann, kämpft sie und sie weiß, dass sie stärker ist. Sie ist unheimlich intelligent und dominant, anderseits auch sehr sensibel und empfindlich.
Sie will Freiheit. Freiheit zu entscheiden, Freiheit zum rennen. Sie liebt es zu rennen, sich frei zu bewegen. Sie hat aber ungern Balast dabei an Bord, der sie in ihrer Freiheit einschränkt. Und da kommt das Problem erst so richtig.
Ich halte meine Pferde seit 1 3/4 Jahr nun in Eigenregie. Es ist ein Kompromiss. Ich wohne und arbeite in der Großstadt (sicher eine der kleinsten, aber doch ein enges dicht besiedeltes Gebiet mit nem dicken Fluß in der Mitte). Meine Pferde wohnen nun auch hier. Meiner Meinung nach sind wir Pferdebesitzer, Reiter etc. nur wenige Stunden bei unseren Pferden. Den Rest der 24 h sind sie in der Haltungsumgebung (Stall, Weide etc.) die wir Ihnen vorgeben. Daher habe ich versucht es soweit es mir finanziell und überhaupt möglich ist die Haltung zu optimieren. Der Kompromiss - trakkifan hatte es auch so ähnlich schön geschrieben - guter Stall, sch*** Gelände. Wobei es in Sachsen für meine und Frau Schimmels Ansprüche fast nur sch*** Gelände gibt.
Piebald, ich gebe dir recht, dass wir sicher weniger Probleme hätten könnte Darina jeden Tag raus ins Gelände. Hätten wir ein Gelände vor der Tür wo sie sofort in jeder Gangart los könnte. Frei entscheiden könnte wohin und wie lange und wie schnell. Diese schönen Erfahrungen habe ich mit ihr auf den Distanzritten oder Besuchen bei Freunden in Brandenburg machen können. Wenn dann auch sie am langen Zügel nur über Stimme und Sitz lenk- und parierbar ist. Ich jederzeit einen Galopp fordern bzw. zulassen kann, weil der Boden gut ist und nicht in 80m der Weg abzweigt/Schotter/eine Strasse/eine Horde Spaziergänger/ein steiler Abhang kommt. Dann freuen wir uns beide und ja, dann sehe ich das als Grundrecht für Pferd und Reiter.
Nur hier zu Hause habe ich das nicht. Mir eigentlich begeistertem Geländereiter macht das keinen Spaß mehr mit ihr. Ich hasse es wenn ich von Anfang bis Ende auf der Bremse stehen muss. Darina gegen die Hand, die sie hält kämpft, den Rücken wegdrückt und wir beide geschafft und frustriert aus dem Gelände wieder kommen. Gelände ist bei uns zum einen die Elbwiesen - nix unendliche Weiten, häufig unterbrochen durch größere Rinnsale, Wege, Fähranleger, Koppeln, überwucherte Abschnitte mit unbekanntem Boden (Überflutungs-/Schwemmgutfläche) Schlossparks bzw. in die andere Richtung Innenstadt und dazu noch Müll, Löcher von Hunden und Menschen (liegend, sitzend, laufend). Im vollen Galopp ist das alles nicht so prall, eher das Gegenteil. Mit Fella und Willi ist das nur langweilig, aber nicht gefährlich. Die gehen aber auch nicht ab. Sind fast immer händelbar, lassen sich überreden einen Gang runter zu schalten. Darina so gut wie nie bzw. erst nach seehr vielen Kilometern im fleißigen Tempo. Dazu kommt noch ein schwer zu beschreibendes Gefühl des Unwohlseins ihrerseits an den Elbwiesen.
Zweiter Teil Gelände - durch die Stadt den Berg hoch ins kleine Wäldchen. Verkehrssicher ist sie, kein Thema. Das Wäldchen ist wirklich klein, hat aber viele schmale Wege, die meisten sandig, viel hoch und runter, aber alles keine langen Stücken, schlecht einsehbar und eng. Voll Speed ist da saugefährlich, weil es ist Stadtgebiet. Hinter jeder Wegbiegung, hinter jedem Baum könnte ein Jogger, Hund, Kinderwagen was weiß ich auftauchen. Ich bin mir eigentlich zu 99 % sicher ,dass sie immer die Bremse bekommt. Aber bekomme ich die auch und was ist wenn sich jemand dadurch belästig fühlt, erschrickt, Hund losreißt....? Das Wäldchen kann uns ganz schnell verboten werden zum reiten. Das möchte ich nicht. Und ich möchte auch nicht, dass sie mir dort durchgeht und den Elbhang im gestreckten Hang runterbrettert, dass traue ich ihr auch zu.
Dritter Teil Gelände - die Heide. Am schnellsten (ca. 30 min) gehts eine recht stark befahreren Strasse hoch bis an den Waldrand, vorher über eine große Kreuzung am Brückenkopf. Alles kein Thema macht sie super. Erst wenn ein LKW zu dicht ran kommt, gibts Seitengänge auf der Strasse. Oben im Wald gibt es erstmal keine Reitwege. Da kommt das nächste Problem, neben eh schon nicht so pferdefreundlichem Naturboden und dem Wahn der Befestigung der Waldwege mit Schotter u. ä. kommt noch unser besch******* Reitwegegesetz - reiten nur da wo es ausdrücklich erlaubt ist. Und Pferde lieben doch so sehr (Vorsicht Ironie

) Asphalt, Schotter, breite befestigte Wege, Beton oder Tiefschlammpisten. Ja, jetzt werde andere Sachsen sagen, halte dich doch nicht an die Wege. Mache ich auch sehr oft nicht, zumal die Ausschilderung tw. sehr mäßig ist. Aber ich habe ein schlechtes Gewissen bei, fühle mich unwohl, erwarte immer erwischt zu werden. Und für was? Für Wege die kaum besser sind. Hier gibt es kaum lange, vom Untergrund gute Strecken wo ich sie mal laufen lassen kann. Frau Schimmel ist nicht mehr ganz gesund. Harte Wege soll sie nicht mehr schneller als im Schritt laufen. Ja, sag ihr das mal einer wenn sie brettert, wenn nach 100 m weicher Boden da plötzlich Steine, Schotter, knüppelharter Boden, ne Straße da sind

zum heulen ist es.
Letzten Endes bin ich letztes Jahr mit ihr zu Hause fast gar nicht ins Gelände. Ich habe sie ein bis zweimal im Monat verladen und bin für Trainingsritte nach Nordsachsen oder Brandenburg gefahren oder eben die eigentlichen Distanzritte. Nun kommt aber noch dazu, dass sie am liebsten so schnell es geht zurück in den Stall möchte, auch wenn wir in Geselllschaft unterwegs sind. Auch auf den Ritten in fremden Gelände weiß sie immer wo der Hänger steht und will dann hin. Sie biegt dann auch schon mal aus dem vollen Galopp 90° ab. Was ich schon an Kilometern mit ihr im Schritt nach Hause bin, weil einfach an antraben nicht mehr zu denken war...
Letztes Jahr sind wir das erste Mal zusammen im Galopp gestürzt. Wir hatten Glück, ich geprellten Fuß, sie nur ein paar Schrammen. Aber meine Glauben an ihre absolute Trittsicherheit war damit auch dahin. Ja, es sind immer wieder auf ihr Momente in denen ich Angst habe, die mir nicht geheuer sind. Ich bin letztes Jahr ein mir fremdes Pferd zum Ende vom Winter, der auch schon ein Weilchen nicht draußen im Gelände war geritten. Der war auch recht flott und machte auch lustige Sätze, und ab und zu, dachte ich auch so "ohoh", aber ich war nie in Wohnungsnot. Ich denke mal ich bin kein so schlechter Reiter und ich finde es auch schön wenn ein Pferd freudig und fleißig vorwärts geht, wenn es von sich aus zieht. Ich bin ja schließlich auch kein Wander- sondern Distanzreiter. Aber das ungezwungene schöne und entspannte habe ich mit ihr verloren. Es nützt auch nichts wenn ich mal eine Woche irgendwo mit ihr hin fahre und sie jeden Tag ins Gelände kommt, zu Hause ist das Problem immer noch da. Sie wird davon nicht anders. Sie ist in anderem Gelände einfach schon ganz anders drauf. Sie weiß, dass sie dort (zumindest in weiteren Grenzen) so laufen darf wie sie möchte.
Ende Oktober habe ich nun beschlossen sie den Winter über nicht zu reiten, selbst auf dem Reitplatz war es nicht toll. Sie wird nun sporadisch bespaßt mit Bodenarbeit, Longenkurs, Freilauf, Zirkuslektionen. Spazierengehen wird gern mit zurückwollen, hüpfen und ansteigen quittiert sobald es aus ihrer Sicht zu weit geht. Sie wird weiter gefüttert wie auch letzten Winter und sie wird nicht zu fett

sie ist auch nicht anders drauf. Ich glaube nicht, dass sie das reiten an sich vermisst. Gar keine Zuwendung und Ansprache, dass wäre sicher nicht toll und das laufen das braucht sie (mit den Oldies auf der Koppel geht nichts ab). Ich versuche, dass sie sich wenigstens einmal die Woche auf dem Reitplatz austoben darf. Seit kurzem versuche ich ihr richtigen Freilauf zu gönnen. Und hier ist wieder ein Problem. In der Zivilisation (ich will mal nicht pauschal in Deutschland sagen) ist es quasi ein Ding der Unmöglichkeit sein Pferd frei laufen zu lassen. Warum? Bei Hunden geht das doch auch. Darina würde niemals freiwillig zu Menschen hingehen, Hunde interessieren sie nicht. Sie ist nicht gefährlich, wenn man nichts von ihr will. Und doch ist da wieder dieses ewige schlechte Gewissen etwas Verbotenes zu tun (ist das eigentlich in Dt. verboten?). Die Angst erwischt zu werden und Ärger zu bekommen, die Angst den Stallplatz meiner Pferde dadurch zu verlieren. Ich achte peinlichst darauf, das keiner zu dem Zeitpunkt auf den Elbwiesen unterwegs ist und lasse sie dann ab und zu frei zur Koppel laufen, während ich die anderen Beiden führe. Sie guckt immer wo wir sind und entfernt sich nie weiter als 200-300 m. Gerade das letzte Mal, war es so schön ihr zu zusehen. Wie sie trabte und galoppierte, graste und wieder loslegte, an uns vorbei und wieder zurück, bremsend und auch mal auf der Stelle hüpfend, die Nase im Wind und das Schwänzchen in die Höh

Wenn ich dann die andern Beiden in die Koppel gestopft habe, lässt sie sich problemlos einfangen bzw. kommt auf Zuruf, vorher nicht.
So, das ist unsere Geschichte zum Thema. Ich weiß, das ist kein Dauerzustand so. Ich will reiten, ich reite gerne, ich finde das andere alles auch gut, aber ich bin ein fauler Mensch. Das reiten so an sich, das funktioniert und es macht mir Spaß. Es ist so zwiespältig, einerseits würde ich sie nie mehr her geben. Wem auch? Wem soll ich guten Gewissens (dem Pferd und dem Menschen gegenüber) dieses Pferd verkaufen? Sie komplett weg zu stellen (Psychorente) und mir ein anderes Pferd kaufen, kann ich auch nicht (drei Pferde sind schon hart an der Grenze) und Darina fände das auch nicht so toll. Ich bin ihr Mensch. Ich weiß es ehrlich nicht, wie es jetzt weiter geht. Ich habe viel probiert, viel Geld und Zeit in Sattler, Physio, Tierarzt und TK gesteckt

(Piebald) die meisten Baustellen kenne ich nun. Ob wir uns beide damit und mit der Lösung dieser arrangieren können? Nun das wird die Zeit zeigen. Ich hoffe es sehr. Nur eines ist sicher, mehr Zeit als jetzt wird mir auch in Zukunft nicht zur Verfügung stehen. Da ist nix in der Woche mit 3stündigen Ausritten und auch am WE steht sehr oft vieles anderes an und wenn es einfach mal ausruhen ist.
Nun aber genug. Ich hoffe, ich habe nicht zu wirr geschrieben, alles konnte ich eh nicht schreiben. Mein Resümee zu Piebalds Aussage: Nein zu dem Grundrecht auf Reiten, Ja zu dem Grundrecht den individuellen Bedürfnissen nach gehalten zu werden und sich bewegen zu dürfen
Danke Piebald für das Thema und die Chance für mich, mal meine aktuellen Sorgen und Gedanken reflektieren zu können.
Ach ja, zum Thema Bewegungsbedürfnis von Nutztieren kann ich nur mal zwei eigene Erlebnisse beisteuern. Das eine war vor ein paar Jahren auf der Alm in Südtirol. Ich besuchte eine Freundin, welche als Hirtin den Sommer über auf der Alm war. Den einen Tag kamen mir buckelnd im Galopp mit kerzengradem Schwanz in die Höh das Jungvieh vom Berg entgegengerannt - herrlich! Den anderen Tag mussten wir die Viecher suchen, da sie auf Erkundung an den steilsten Hängen unterwegs waren. Und die gingen ab als wir sie wieder ins Tal treiben wollten. Spaß, Eigensinn, Entdeckerlust, Lebens- und Bewegungsfreude pur. Das andere ist noch länger her. Schweine in Freilandhaltung, neugierig erkundete eine Truppe die andere Ecke vom großen Auslauf und plötzlich (ohne ersichtlichen Grund) kamen die quietschend und buckelnd zum Rest zurückgaloppiert und mischten die Truppe auf. Ich hätte schwören können, die grinsten von einem Ohr zum andern
