Mich beschäftigt bei diesem Thema irgendwie die Frage: Gehören zum "Wehren" nicht immer zwei? Jemand, der sich wehrt, und jemand, der das - in welcher Form auch immer - zulässt? Oder anders gesagt: Entfaltet sich unser eigenes Verhalten genau wie das Verhalten unserer Tier nicht ausschließlich mit einem anderen "Gegenspieler"? Dann könnte man die Frage nämlich komplett umdrehen: warum bringen wir Pferde (oder Hunde, oder unseren Partner, oder unsere Kinder,... lässt sich beliebig fortsetzen) in Situationen, in denen sie sich (unserer Meinung nach) besser wehren sollten?
Spannende Frage! Ja, Du hast völlig Recht. Unser eigenes Verhalten entfaltet sich mit einem "Gegenspieler" und du kannst Deine Frage sogar noch weiter fortspinnen: warum bringen uns Pferde in Situationen, in denen wir sie "klein" halten wollen? Vielleicht ist die Frage nach dem Warum gar nicht zielführend. Vielleicht kommt man weiter, wenn man sich bewusst macht, was da eigentlich passiert, wenn mensch Pferd unterdrückt.
Ich bin mir sicher, wenn jemand aus unserem Stall diesen thread hier lesen würde, würde er es ganz weit von sich weisen, sein Pferd irgendwie zu misshandeln oder zu unterdrücken. Dass die Peitsche am Hintern des Pferdes, das nicht in den Hänger will, zerbricht, weil so stark zugeschlagen wurde, wird gar nicht als Misshandlung empfunden. "Wir haben doch alle unsere Pferde sooooooooo lieb" ist das Credo.
Oder aber: wie kommt es, dass wir so oft gar nicht wahrnehmen, wenn ein anderes Lebewesen sich wehrt? Denn auch "sich wehren" gibt es doch zweifelsfrei in sehr verschiedenen Variationen. Wenn ich den Thread durchlese, scheint immer von spektakulären, ziemlich aggressiven Abwehrreaktionen die Rede zu sein, aber ist es nicht so, dass "sich wehren" schon in ganz kleinen, fast unbedeutenden Dingen zum Vorschein kommt?
Mein Vorschlag einer Antwort auf diese Frage: die Fähigkeit, eine eigene Grenzüberschreitung (in der Täterrolle) bewusst wahrzunehmen und zu spüren, ist genauso weit oder eben nicht weit entwickelt wie die Fähigkeit, Grenzüberschreitungen (in der Opferrolle) bewusst wahrzunehmen und zu spüren.
Wer selbst tief im "Ich muss-Modus" verankert ist und sein ganzes Leben damit verbringt, sich für , Familie, Karriere, Lebensunterhalt etc. ohne wirkliche Rücksicht auf die eigenen Reserven abzurackern, der leidet zwar irgendwie darunter, aber "irgendwie leiden" ist nicht dasselbe wie "bewusst wahrnehmen und spüren". So jemand wird genau dasselbe von einem anderen Wesen auch fordern, ohne bewusst wahrzunehmen, was er da eigentlich anrichtet. Wer seine eigenen Grenzen nicht spürt, spürt auch die der anderen nicht. Also komme ich auch hier wieder dazu: es ist eine Frage der eigenen Bewusstheit. In dem Maße wie diese zunimmt, nehmen die Übergriffe sich selbst und anderen gegenüber ab.
Bei "sich wehren" geht es doch um eine Grenzsetzung. Wie soll ein Wesen, das seine eigenen Körpergrenzen nichtmals bewusst spürt, da eine Grenze setzen? Das ist doch genauso wie bei uns Menschen auch.
Die Art, wie die Pferde sich wehren, ist in der Regel nicht effektiv. Verzeiht mir den drastischen Vergleich, aber das ist wie bei geprügelten Ehefrauen, die zwar auch weinen und leiden unter ihrem gewalttätigen Mann, aber unfähig sind zu einer klaren Grenzziehung und sich wieder neu einlassen. Auch das ist für mich eine Frage der Bewusstheit. Eine wirklich erwachsene, klare Frau würde so etwas niemals mit sich machen lassen, bzw. würde schon gar nicht erst einen solchen Mann anziehen. Und Pferde sind eben ein bisschen wie Kinder oder auch wie Frauen, die ihre eigene Kraft völlig vergessen haben. Nur bin ich mir bei Pferden nicht sicher, wie weit entwicklungsfähig die überhaupt sind. Hat vielleicht damit zu tun, was wir ihnen zutrauen und wie wir sie sehen?!
Weiterhin nachdenklich,
Tanuschka