'Selbsthilfegruppe' Weiterbildung Biomechanik/Muskulatur

Moderator: Stjern

puscheltier
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Re: 'Selbsthilfegruppe' Weiterbildung Biomechanik/Muskulatur

Beitrag von puscheltier »

Danke, Stjern, ich bemühe mich.
Um zu wissen, was möglich ist und was nicht, muss man eigentlich eine möglichst genaue Diagnose haben, oder?
Mich beschäftigt die Frage auch - eingeschränkte Pferde gibt es ja zur Genüge.
Denn auf der anderen Seite bin ich der Überzeugung, dass Gymnastizierung den Pferden guttut (gilt genauso für alte Pferde) und auch ein gesundes Pferd wird nie sagen 'Ach klar, lass mich mal mehr Last hinten aufnehmen, damit ich meine Vorhand entlaste und mich insgesamt geschmeidiger und balancierter bewegen kann' (vereinfacht und überspitzt gesagt), sondern ich muss immer wieder vorsichtig an den oberen Grenzen des Möglichen herumtasten, um eine Verbesserung zu erzielen.

Dafür braucht man eine Diagnose, und man muss sein Pferd gut kennen. Ich finde das auch echt schwierig zu entscheiden, was nun ok ist und fördert, und was zu viel ist. Man ist selbst ja auch selten perfekt gerade, ausbalanciert und locker. Bei mir selbst habe ich aber eine andere Wahrnehmung und kann einschätzen, wo die Schwelle zum Unangehmen kommt. Beim Pferd muss ich beobachten und eben wissen wie die Dinge zusammenhängen, sonst wird das nix.
Und 'wer rastet der rostet' gilt eben auch....
puscheltier
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Re: 'Selbsthilfegruppe' Weiterbildung Biomechanik/Muskulatur

Beitrag von puscheltier »

Achja, und Stjern, du hast recht, das zieht sich über Hals und Genick und Kiefergelenk bis durch zu den Zähnen. Er zeigt das immer als erstes durch leichtes Verwerfen an, wenns mal wieder ziept.
Stjern
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Re: 'Selbsthilfegruppe' Weiterbildung Biomechanik/Muskulatur

Beitrag von Stjern »

O.k., ich glaube ich verstehe, wohin die Fragen zielen. Ich schaffe heute nicht mehr auf alles zu antworten.
Dazu müssen wir Grundbezeichnungen klären. Am Besten beginnt man mit Grundlagen.

Ursprung und Ansatz, Agonist und Antagonist, Synergisten

Muskeln werden mithilfe von Sehnen am Knochen befestigt. Ein Muskel befestigt sich - über ein Gelenk ziehend (dieses soll ja bewegt werden) - an zwei Knochen. Diese Befestigungspunkte nennt man Ursprung und Ansatz. Was Ursprung und was Ansatz ist, macht sich an der ausgeführten Funktion fest.
Und so schlau wie die Natur nunmal ist, kann also je nach Bewegung, die ausgeführt wird Ursprung und Ansatz vertauscht werden ;)
Manche Muskeln begnügen sich auch nicht mit jeweils einem Ansatz und einem Ursprung, sondern haben mehrere Befestigungspunkte, also mehrere Ansätze/Ursprünge.
Hieran wird schonmal klar, dass ein Muskel, jenachdem welche Anteile aktiv werden etwas unterschiedliche Funktion ausüben kann.
Ein Muskel arbeitet auch niemals alleine an einem Gelenk, denn er kann das Gelenk ja nur in eine Richtung bewegen z.B. beugen. Er kann das Gelenk aber nicht strecken. Das macht ein anderer Muskel. Das sind dann die beiden Agonist und Antagonist.
Auch sind an der Ausführung einer Bewegung oft nicht nur ein Agonist und ein Antagonist beteiligt, sondern sie bekommen Hilfe. Dies sind die Synergisten. Synergisten sind die Muskeln, die dem jeweiligen "Hauptmuskel" bei einer bestimmten Bewegung helfen. Also grob gesagt in die gleiche Richtung arbeiten.
Damit wird wiederum deutlich, dass eine Bewegung also von Muskelgruppen gemacht wird.

Und um die Verwirrung zu steigern: Jetzt ist es wiederum die ausgeführte Funktion, die ausmacht, welcher Muskel ist der Agonist und welche Muskeln sind seine Synergisten. So kann ein Muskel Agonist für eine bestimmte Bewegung sein. Für eine andere Bewegung kann der gleiche Muskel aber "nur" Synergist sein.

Und was bedeutet es für bspw. den Agonisten, wenn der Antagonist seine Aufgabe nicht gut erfüllt?
Ist der Agonist dann auch eingeschränkt? Oder übernimmt er dann Aufgaben des Antagonisten? - Wobei, letzteres dürfte ja eigentlich gar nicht gehen, oder?

Damit klärt sich die eine Frage, was passiert, wenn der Antagonist aus irgendwelchen Gründen schwächer ist als der Agonist. Der Antagonist holt sich (so es denn geht) die verstärkte HIlfe seiner Synergisten für die Bewegung. Oder der Körper macht Ausgleichbewegungen anderer Art, um den Muskel (den schwachen Antagonisten) zu schonen (man hinkt z.B.)

In der Regel ist es sogar so, dass Agonist und Antagonisten nicht genau gleich stark sind. Das ist sehr natürlich. Z.B. sind beim Menschen die Armbeuger von vorneherein kräftiger als die Armstrecker. Die Armbeuger müssen ja aber auch viel mehr gegen die Schwerkraft arbeiten, wenn ein Mensch etwas hebt. Die Armstrecker könne die Schwerkraft mitnutzen.
ehem User

Re: 'Selbsthilfegruppe' Weiterbildung Biomechanik/Muskulatur

Beitrag von ehem User »

Ja, ich merk auch, dass bei mir doch noch viel mehr offen ist, als ich zuerst gedacht hatte.
Bzw. dass doch viel mehr Tiefenwissen nötig ist, um das zu verstehen, was ich verstehen will.
(Wie es allen anderen hier geht, weiß ich nicht, kann nur von mir sprechen)

Stjern und Sunday, da ihr offensichtlich mehr Ahnung habt, könnt ihr wirklich gern so anfangen, wie ihr es für sinnvoller haltet.
Das muss hier auch kein reiner Erklärthread von euch werden, im Gegenteil, ihr könnt ja auch gezielte Fragen stellen und dann müssen wir (oder ich - keine Ahnung, wer noch mitmacht :lol: ) uns Dinge und Zusammenhänge selbst erschließen.
Das finde ich persönlich sogar noch besser, grad für mich hat das einen anderen Lerneffekt.
Könnte aber für euch viel schwerer sein :kratz:


Auf die letzen Beiträge kann ich jetzt mangels Zeit leider wohl erst Mittwoch eingehen.

Aber ich werd mal auch nochmal in meinen Büchern kramen :-n
Antigone
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Re: 'Selbsthilfegruppe' Weiterbildung Biomechanik/Muskulatur

Beitrag von Antigone »

vielleicht ist aber gerade der "Rumpf Trumpf". Um wieder auf die Muskelschlingen zurückzukommen ziehen diese immer vom Rumpf weg (oder hin). Sie habe immer eine Verbindungslinie zur Wirbelsäule.
In eine Richtung arbeitet der Agonist ("Spieler") immer konzentrisch (anspannend) der Antagonist ("Gegenspieler") immer exzentrisch (bremsend), wenn der Muskel die Spannung beibehält arbeitet er isometrisch. Bewegt sich der Knochen wieder in die Ausgangsposition so wird getauscht der Agonist wird zum Antagonisten, die Arbeit bleibt die gleiche. Der Agonist spannt an der Antagonist bremst ab.
Bei dem Pferd fällt es mir schwer zu sagen, was genau immer gegen die Schwerkraft arbeitet, denn irgendwie ist es immer der Rücken, die Kruppe, der Hals. Nur die Extremitäten variieren und davon sind dann noch 4 zu koordinieren, die dann auch noch in verschiedenen Phasen auf fußen und abheben, also die Variabilität Standbein, Spielbein ergeben. Am "uncoolsten" sind dabei wohl die Einbeinstützen im Galopp, wenn einmal das Vorderbein und einmal das Hinterbein die Gesamte Körpermasse trägt. Besteht in diesem Moment ein ungünstiger Synergismus (Zusammenspiel) von Agonist und Antagonist, gewinnt der stärkere und das Pferd wird in eine Richtung gezogen.......Je "schlaffer" dabei der Rumpf ist umso mehr lastet er auf der jeweiligen Extremität, je mehr Körperspannung der Rumpf hat, umso "leichter" wird er - ganz ohne abnehmen :)
Daher kann es bei Überforderung dazu kommen, dass irgendwelche Muskelgruppen aktive werden (häufig natürlich die stärksten) d.h. dann aber nicht, dass diese Muskelketten auch etwas mit der Bewegung zu tun haben, sondern das nicht können einfach kompensieren- in trotzdem tun.

Literatur, die ich empfehlen kann ist "Auf dem falschen Fuß" - "Kritische Betrachtungen zur modernen Struktur" von Jean Claude Racinet. Dort gibt es auch mal anders als bei bspw. Heuschmann Vektoren, die eine Biomechanik erkennen lassen, und Muskulatur/bzw. deren Schlingen in Zusammenhang mit einer Funktion bringen.(Vielleicht kann man den Thread noch um "funktionelle Anatomie" erweitern, denn das ist es eigentlich- Biomechanik sind nur tröge Pfeile und doofe Winkel......)

Plüschtiger
Im Kapitel 5 des oben beschriebenen Racinet Wälzers, geht dieser auf die Fehlauffassung ein "Dass das Anheben des Halses des Brustkorbes unabwindbar dazu führt, dass der Rücken hohl wird"(er (Racinet) zitiert wiederrum General Albert Decarpentry): Racinet`s Conclusion zu dieser These: S.55 "...dass die Verbindung zwischen dem Brustkorb des Pferdes und den Schulterblättern relativ schwach ist". Diese Muskeln gehören also definitiv nicht dazu freiwillig viel anzuspannen oder sich "Rampensau" mäßig in den Vordergrund zu spielen, wie es ggf. die des Unterhalses tun- aber das ist eine neue Geschichte......
"Du musst nichts akzeptieren, was dir überhaupt nicht passt
Wenn du deinen Kopf nicht nur zum Tragen einer Mütze hast"
Die Ärzte "Deine Schuld"
ehem User

Re: 'Selbsthilfegruppe' Weiterbildung Biomechanik/Muskulatur

Beitrag von ehem User »

Kurzer Einwurf - gestern abend noch in S.Bruns' Trainingslexikon gefunden:
Wenn die Schulter durch einen verkrampften/festgehaltenen Bauch und/oder Rücken in ihrer Bewegung behindert wird, agiert das Pferd in der Vorwärtsbewegung vermehrt aus dem Ellbogen statt aus der Schulter heraus.

...wäre eine Erklärung für unverhältnismäßig starke Bemuskelung in diesem Bereich...
ehem User

Re: 'Selbsthilfegruppe' Weiterbildung Biomechanik/Muskulatur

Beitrag von ehem User »

Sunday hat geschrieben:
plüschtiger hat geschrieben:Kurzer Einwurf - gestern abend noch in S.Bruns' Trainingslexikon gefunden:
Wenn die Schulter durch einen verkrampften/festgehaltenen Bauch und/oder Rücken in ihrer Bewegung behindert wird, agiert das Pferd in der Vorwärtsbewegung vermehrt aus dem Ellbogen statt aus der Schulter heraus.

...wäre eine Erklärung für unverhältnismäßig starke Bemuskelung in diesem Bereich...
Warum ist der Bauch fest/verkrampft?
Liegt es an fehlender Rumpfstabilität?
Ist die Schulter zu schwach gegen den festen Bauch?
Hatte das Pferd mal Probleme im Magen-Darmtrakt und deshalb ist es dort noch verkampft?
usw. usw
Man kann das nicht so punktuell sehen, ein Pferdekörper ist eine Abfolge vieler Zusammhänge, da greift ein "Zahnrad" in das andere...
Das ist mir absolut klar!

Aber wenn ich um Zusammenhänge wie in meinem letzten Post weiß, kann ich die nachfolgenden Fragen zum einen gezielter stellen und zum anderen auch das Training besser angehen.
Ich habe gerade das Gefühl, dass du schon fünf Schritte weiter bist als ich, die ich hier gefühlt immer noch auf dem ersten Meter unterwegs bin ;)
ehem User

Re: 'Selbsthilfegruppe' Weiterbildung Biomechanik/Muskulatur

Beitrag von ehem User »

Gerade was die Hufe angeht, finde ich es aber teilweise schwierig, die tatsächliche Ursache herauszufinden.
Ein schlechtes Bewegungsmuster, ausgelöst durch eine Verspannung oder Kompensation irgendwo im Körper, die zu Fehlhaltungen und damit zu ungesunder Fußung (und Hufstellung) führt - oder eine falsche Hufstellung (die kommt doch meist von der Bearbeitung, oder? :-e ), die sich bis ans hinterste Ende des Körpers zieht?
Neulich habe ich bspw. bei einem Vortrag im Rahmen eines Kurses gelernt, dass ein hängender Rumpf eine zu lange Zehe begünstigt. Habe ich jetzt ein Pferd mit hängendem Rumpf und zu langer Zehe, erübrigt sich aber mMn ein bisschen die Frage nach der Ursache, denn beide 'Symptome' sind ja vorhanden und müssen angegangen werden. Es bringt aber nichts, nur eins der beiden Dinge zu bearbeiten, eben weil sie zusammenhängen.
Und ja, der hängende Rumpf wiederum hängt muskulär ja mit dem ganzen Körper zusammen, sodass man natürlich nicht 'einfach' nur sagen kann, das Pferd müsse isoliert den Rumpf heben lernen, ohne Kopf/Hals/Schulter/Hinterhand zu betrachten und mit einzubeziehen.
Aber wenn ich um gewisse Zusammenhänge gar nicht erst weiß, übersehe ich sie doch viel leichter oder beachte sie gar nicht.

Verstehst du, woher mein Gedankengang kommt? :kratz:

Ich fühle mich überhaupt nicht angegriffen, keine Sorge, und mir ist ja bewusst, wie schwer und komplex dieses ganze Thema ist.
Ich bin nur auf der Suche nach Anhaltspunkten, würde ich sagen.

Und welches Buch findest du jetzt zu komplex?
Das Higginsbuch? Finde ich eigentlich nicht unbedingt - vielleicht bilde ich mir das aber auch nur ein :kicher: -, denn es ist ja auch für Reiter gedacht, nicht für Mediziner.
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Nelchen
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Re: 'Selbsthilfegruppe' Weiterbildung Biomechanik/Muskulatur

Beitrag von Nelchen »

liest du in meinem TB mit?
Da ist das auch grad Thema
:-? Nö ...ist ja witzig. Ich bin auf die Faziengeschichte gestoßen, weil ich eine PSSM Stute habe, und Möglichkeiten gesucht habe, ihre verklebten Muskelfasern zu entkleben. Meine Physio brachte dann mal den Begriff und Google die Ergebnisse.
Ich finde das so simpel und so effektiv, dann noch mit Magnetfeld ergänzt und das Pferd wurde vom Angsthasen und Nervenbündel zum liebenswerten Begleiter für die Kids. So bekommt der Westernsporn eine ganz neue Aufgabe! ;)
Es ist echt erstaunlich, welche Muskelpartien da drauf angesprochen haben und an was für Stellen das eine Reaktion auslößt und vor allem, wie die Pferde das genießen, wenn sie gerädelt werden. Ich finds genial und einfach.
LG Katrin

Ein Tänzer scheint nur denen verrückt, die die Musik nicht hören.
Antigone
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Re: 'Selbsthilfegruppe' Weiterbildung Biomechanik/Muskulatur

Beitrag von Antigone »

plüschtiger hat geschrieben:Kurzer Einwurf - gestern abend noch in S.Bruns' Trainingslexikon gefunden:
Wenn die Schulter durch einen verkrampften/festgehaltenen Bauch und/oder Rücken in ihrer Bewegung behindert wird, agiert das Pferd in der Vorwärtsbewegung vermehrt aus dem Ellbogen statt aus der Schulter heraus.
wenn das Schulterblatt nicht auf dem Brustkorb entlanggleiten kann, bzw. wenn der Brustkorb der das Schulterblatt trägt, sich nicht hebt, wird die Bewegung aus einem tiefer stehenden Gelenk erfolgen, weil die Schultermuskulatur sich nicht ausreichend kontrahieren kann um dann den "Oberarm"/ Buggelenk nach vorn zu setzten,

in Denoix/ Pailloux "Physiotherapie und Massage bei Pferden" werden auf S.194 Kontrakturpunkte beschrieben, der des M. triceps brachii liegt im Bereich des Ellbogenglenkes
Mit der Beschreibung "...der triceps brachii hat eine Doppelfunktion, er ist Beuger des Schultergelenkes und Strecker des Ellbogengelenkes", Funktion "....beim Landen und der Stoßdämpfung verriegelt er das Ellbogengelenk" , "darüber hinaus spielt er eine Rolle beim Vorwärtsschub beim Abfußen"
plüschtiger hat geschrieben:...wäre eine Erklärung für unverhältnismäßig starke Bemuskelung in diesem Bereich...
in welchem Bereich ? Schulter, Ellbogen, Bauch, Rücken ?
"Du musst nichts akzeptieren, was dir überhaupt nicht passt
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