Reiten als Grundrecht des Pferdes

Moderator: Sheitana

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Avaris
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Re: Reiten als Grundrecht des Pferdes

Beitrag von Avaris »

Piebald hat geschrieben:Das zwanglose Laufen und Umherstreifen im Gelände in allen Gangarten gehört mMn zu den Grundrechten des Pferdes. Jedem Tierchen sein Plaisierchen, und das Plaisierchen des Pferdes ist nun mal in erster Linie das freie und zwanglose Laufen durch Wald und Flur in allen Gangarten.

Wenn ein Pferd in Gefangenschaft in einer Herde auf mehreren ha abwechslungsreicher Weide und Wald nach belieben laufen kann, ist das für mich auch genug zwanglose Bewegung in allen Gangarten und dann ist Reiten und jede andere Tätigkeit mit dem Menschen für das Pferd völlig überflüssig.

Aber die meisten Haltungsbedingungen die ich sehe und erlebe - einschließlich meiner eigenen - sind eben nicht so.

Es geht ja nicht nur um die physische Zwanglosigkeit, sondern auch um die seelische und geistige, es geht um Grenzenlosigkeit, Spontanität und Orientierung, deshalb ist Spielen und Bewegung auf der Koppel zwar gut, aber nicht dasselbe wie das zwanglose Laufen im Gelände in allen Gangarten.


Deshalb halte ich das zwanglose Reiten in allen Gangarten - und sei es als Handpferd - für ein sehr erstrebenswertes Ziel und finde es falsch, es gegenüber anderen Tätigkeiten mit dem Pferd abzuwerten oder unterzuordnen. Es ist ein wichtiges Element der artgerechten Pferdehaltung welches mMn niemand der ein Pferd hat aus den Augen verlieren sollte, wenn sie ihrem Pferd nicht auf andere Weise lange Streifzüge in allen Gangarten durch die Natur bieten kann.


Das ist mal ein interessanter Beitrag, diese Thematik konnte ich so noch nirgendwo sonst finden.

Ich stimme dir, Piebald, in fast allen Punkten zu und finde es wirklich sehr angenehm zu lesen, dass sich (noch) jemand so intensiv Gedanken über die artgerechte Pferdehaltung und die äußeren Umstände, die ein Pferd sowohl körperlich als auch seelisch benötigt, um zufrieden sein zu können, macht. :breitgrins:

Aus eigener Erfahrung kann ich allerdings zur Thematik noch folgendes erzählen:

Aus genau den von dir beschriebenen Gründen bin ich mit meinem Pferd oft ausgeritten, in allen Gangarten, so zwanglos wie nur irgendwie möglich (auf Pads, mit gebissloser Zäumung). Ich wollte ihm Abwechslung bieten, er sollte sich "mal auspowern" können und mal was anderes sehen, als immer nur den Paddock.

Als ich aber begann, mir mein Pferd genauer anzuschauen und immer mehr versuchte, zu ergründen, wie ihm unser Umgang und unsere, ich sage mal, "gemeinsamen Aktivitäten" so gefallen, desto mehr fiel mir auf: Er mochte das gar nicht so gerne, wie ich immer dachte. Für ihn war das Ausreiten alles andere als zwanglos: Ich bestimmte die Richtung, ich bestimmte die Gangart, ich bestimmte das Tempo, ich bestimmte wann und wo er anhalten muss, ich bestimmte wann wir ausreiten, ich bestimmte, wann wir wieder zurückreiten...so betrachtet hatte das Ganze wirklich nicht mehr viel mit zwanglos zu tun.
Dazu kam noch, dass ich bemerkte, dass es ihn doch körperlich sehr anstrengte, mich tragen zu müssen. (Dabei war ich nicht mal sonderlich "dick" mit 65 kg auf 1,65, und er auch kein absoluter Winzling mit 1,44 m ... ich denke inzwischen, es ist einfach wirklich so, dass ein Pferderücken nicht zum Draufsitzen gedacht ist - da kann man noch so viel trainieren und aufbauen, gesund und förderlich ist das Draufsitzen halt nicht :nix: )

Das war es dann mit dem Reiten für uns :breitgrins2:

Allerdings sehe ich es nach wie vor so, dass ich ihm - so er das denn möchte - natürlich sehr gerne viel von der Welt außerhalb des Paddocks zeigen möchte. Dabei habe ich über die Wochen und Monate bemerkt, dass sowohl er als auch ich die Ausflüge zu Fuß viel mehr genießen, als die Ausritte damals :breitgrins: Bei diesen geht es nicht darum, eine bestimmte Runde gehend zu absolvieren. Nein, wir verbringen Zeit zusammen, erkunden das Gelände zusammen...mal fragt er einen Weg an, mal schlage ich einen vor...er darf und soll sich gerne alles, was ihn interessiert, ganz genau anschauen und darf in diesem Zusammenhang natürlich auch draußen Sachen, die ihm besonders lecker erscheinen, gerne futtern.
Natürlich sind wir dabei nicht immer im Schritt unterwegs. Wir rennen auch zusammen, inzwischen bin ich sogar so schnell dass er nebenbei galoppieren kann - jetzt muss ich nur noch an meiner Kondition arbeiten :breitgrins2:

Ich habe das sichere Empfinden, dass ihm diese gemeinsamen Erkundungsausflüge sehr viel mehr Spaß bringen, als die Ausritte damals.
Vielleicht auch, weil wir gerade dadurch, dass wir zu Fuß unterwegs sind, auf einmal so viele Möglichkeiten haben, die Natur, die wir da durchstreifen, so genau zu untersuchen.

Völlig zwanglos ist dies natürlich immer noch nicht - wir sind entweder am Halfter oder am Halsring unterwegs, und bei manchen seiner Vorschläge (sich mitten auf die Straße stellen zum Beispiel) ist es dann an mir zu sagen "Nein, das geht jetzt leider nicht, machen wir doch lieber was anderes, zum Beispiel ... ". Aber es erscheint sowohl ihm als auch mir doch sehr viel freier, als es unsere Ausritte je waren :breitgrins:

Ich muss sagen, dass mir das Reiten an sich kein Stück fehlt. Im Gegenteil...ich möchte überhaupt nicht mehr reiten, und ich möchte ehrlich gesagt auch nicht, dass mein Pferd geritten wird - das sehe ich inzwischen so: Kein Pferd MUSS geritten werden, und er darf ruhig die Freiheit genießen, niemanden herumschleppen zu müssen :breitgrins:
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Jackeline
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Re: Reiten als Grundrecht des Pferdes

Beitrag von Jackeline »

Schöner Beitrag. :breitgrins:

:-d
ehem User

Re: Reiten als Grundrecht des Pferdes

Beitrag von ehem User »

Das finde ich auch :-D
milli
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Re: Reiten als Grundrecht des Pferdes

Beitrag von milli »

Wirklich ein sehr schöner Beitrag. Gefällt mir sehr gut. Eure Ausflüge klingen toll :-)
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Avaris
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Re: Reiten als Grundrecht des Pferdes

Beitrag von Avaris »

Danke ihr Lieben :breitgrins:

Ich muss ehrlich sagen, es freut mich sehr, hier auf so liebe und verständnisvolle Menschen zu treffen.
ehem User

Re: Reiten als Grundrecht des Pferdes

Beitrag von ehem User »

Ich finde sowohl Piebalds Beitrag als auch Avaris schön. Es zeigt sehr gut, die beiden grundsätzlich unterschiedlichen sichtweisen, ohne aber die ander zu verurteilen!

Ein Wort zur Zwanglosigkeit: letztendlich ist nichts wirklich zwanglos. Auch ein Wildpferd unterliegt/unterlag Zwängen. Es ist gezwungen weite Strecken zu einem Wasserloch zurück zu legen, damit es nicht verdurstet. Es ist gezwungen, seine Weidegründe zu verlassen, da dort nicht mehr genug wächst. Es ist gezwungen die Flucht zu ergreifen, weil ein Berglöwe angreift. Es ist gezwungen seine Herde gegen einen Rivalen zu verteidigen.

Ich will damit nur zeigen, dass man alles auch etwas entspannter sehen kann. "Zwänge" sind im Grunde ein Teil jedes Lebens (Pferd und Mensch), auch wenn wir sie nicht unbedingt als solche wahrnehmen.
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Re: Reiten als Grundrecht des Pferdes

Beitrag von jaz »

Zwei Gedanken von mir:

Ich denke dass man bei "Zwängen" grundsätzlich unterscheiden sollte wie "willkürlich" oder "egoistisch" sie erscheinen. Ob sie für das Pferd Sinn machen. Der Unterschied zwischen "Wir gehen jetzt alle ans Wasserloch weil wir Durst haben" oder ob Mensch sagt "Ich will dass Du jetzt da lang gehst weil ich das so sage!"

Im Miteinander muss man immer Kompromisse eingehen und auf des anderen Grenzen genauso achten wie man seine eigenen gewahrt sehen möchte und notfalls auch durchsetzen muss. Das kann man jetzt auch als Zwang interpretieren, oder als höfliches Miteinander sehen.
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wiassi
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Re: Reiten als Grundrecht des Pferdes

Beitrag von wiassi »

Sehe ich auch so, ich unterliege auch div. Zwängen, wenn ich mein Dasein, Hobby etc. finanzieren will. Aber ich habe mir beim Kauf meines ersten Jungpferdes als einjähriges Fohlen vorgenommen, ihm den Naiven Glauben dass Menschen gut sind zu erhalten. Als ich schnell gemerkt habe, wie begeistert er alles aufnimmt, wie gerne er lernt habe ich mir die Aufgabe gestellt, ihn so auszubilden und so mit ihm umzugehen, dass ich ihm dieses erhalte. Jetzt wird mein "Fohlen" nächsten Monat 17 und er ist nach wie vor unverstellt neugierig, freut sich auf jedes Zusammensein ob ich mein Reitzeug heraussuche oder den Bodenarbeitskram und das freut mich jedes Mal wieder total. Nur Weide langweilt ihn und daher ist die Beschäftigung auch Teil meiner Verpflichtung für ihn und da er so potitiv darauf reagiert denke ich, dass ich mit den unvermeidbaren Zwängen irgendwo behutsam genug umgegangen bin, obwohl ich mich darauf nie ausruhen würde, sondern es auch als meine Grundaufgabe betrachte, mich immer weiter zu bilden, um meinem Pferd sein Leben so schön wie möglich zu machen.
Einem Tier zu helfen, verändert nicht die ganze Welt.
Aber die ganze Welt verändert sich für dieses Tier.

http://www.reitschwein.de
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lungomare
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Re: Reiten als Grundrecht des Pferdes

Beitrag von lungomare »

ich hab mich letzte woche mit jemandem unterhalten, der inzwischen das Reiten auch komplett eingestellt hat und nur nocoh mit Pferd durch gelände läuft und joggt - die war so weit zu sagen, dass reiten für sie schon fast einer vergewaötigung nahe käme, weil man sich das pferd ja - wie auch immer - gefügig macht, mit opfstück reitet (schon aus versicherungtechnischen Gründen) und es dabei eben einer Belastung unterzieht, der es vom Gebäude nicht wirklich gewachsen ist.

Ich kann den Gedankengang zwar nachvollziehen, mag aber diese ganz krasse "Vergewaltigungstheorie" dann doch nciht akzeptieren (zumindest nicht bei denen, die sich eben Gedanken drum machen und nciht mit zugeknebeltem Pferd in Rollkur auf dem Platz unterwegs sind oder ihnen eben aus unwissenheit mit völlig unpassender ausrüstung schmerzen zufügen.

Ich stelle aber grad in letzter zeit immer wieder fest, dass unsere gesattelten Spaziergänge dem POny durchaus auch gefallen. wir laufen recht lang erstmal spazieren, damit die Arthrosebeine warm werden. wenns dann passt kletter ich hoch - und meist kommt dann das oberfleißig "ich will jetzt gefallen" Pony zum vorschein, das mir auch recht deutlich anbietet: duuu, wenn Du schonmal oben bist, dann können wir aber auch mal schneller, oder??? ich bin tatsächlich kein jogger und mag nicht lange neben pony herrennen, damit sie im gelände traben kann :tuete: also nutze ich ihr angebot, lasse mich in ihrem Tempo und nach ihrem Gutdünken mal in schnellerer Gangart fortbewegen, wenn sie genug hat, wird sie langsamer. vielleicht rede ich es mir nur schön, aber ich hab irgendwo schon das Gefühl, dass es ihnen bisweilen auch spaß macht, uns an ihrer Kraft und energie teilhaben zu lassen.
länger als 15-20 min am stück sitz ich eh selten drauf, wenn sie aber meint, es wär jetzt genug, bleibt sie stehen und dreht die nase an meinen Fuß: so, hab dich jetzt getragen, jetzt kannste auch mal wieder selbst laufen.

Würde wohl jeder Dominanz-lastige Trainer als schwere Unverschämtheit deuten und unterbinden. ich nehms halt als Nachricht und steig dann ab um wieder zu laufen :-)
Choose being kind over being right and you'll be right most of the times.
... die mit der buchstabenfressenden Tastatur..
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Re: Reiten als Grundrecht des Pferdes

Beitrag von kolyma »

Muss vermutlich jeder erspüren was sein Pferd möchte.
Mein Pferd ist auf alle Fälle eine Geländetier und da ich ihm die nötige Bewegung unmöglich durch Spaziergänge ermöglichen kann (so schnell laufen, dass er galoppieren kann ist einfach nicht drin...), ist nur reiten möglich. Und da hab ich auch überhaupt kein schlechtes Gewissen. Wir genießen es beide - und oft ist es so, dass er auf dem Heimweg noch eine Verlängerung vorschlägt. Wenns mir zeitlich passt, dann gehen wir die auch noch. Würde ihm irgendwas stören würde er sicher nach Hause wollen - jedenfalls glaube ich kaum, dass er freiwillig verlängern würde.
Wir gehen auch viel spazieren - aber motivierter ist er beim reiten. Wenn ich längere Zeit nicht reiten kann, dann wird er ziemlich unleidlich. Selbst wenn ich tägliche Spaziergänge mache.
Natürlich ist er entsprechend im Training - das ist vermutlich wie bei nem Sportler, der braucht halt seine tägliche Bewegung. Ein Couchpotatoe ist sicher mit nem Spaziergang zufrieden zu stellen. Aber wir machen teisl zweistündige Ausritte und legen dann gerne 15 Kilometer zurück - das wäre zu Fuß gar nicht machbar.

Offen gestanden bin ich da schon bei Piebald. Ein Pferd ist ein Lauftier, welches in freier Natur durchaus ihre Kilometer zurücklegen. Egal wie unsere Einstellung zu den Pferden auch sein mag - aber selbst im Offenstall haben sie nicht diese Bewegungsqualität wie im geradeaus im Gelände. Dass ich da noch draufsitzen muss ist halt notwendiges Übel (für mein Pferd - für mich ja nicht.) - aber in unserer zersiedelten Welt einfach anders nicht machbar. Und da hab ich auch nen Anspruch an mich selbst ihm diese Bewegung zu Teil werden zu lassen. An der Hand ist das aus meiner Sicht einfach nicht in dieser Qualität leistbar.
Bild Geduld ist die hohe Kunst sehr langsam wütend zu werden...:ohm2: :sofort:


"Besser wenig und das Wenige gut."Egon v. Neindorff

leidenschaftliche Pferdefotografie: https://www.facebook.com/melanie.viereckel.photography
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