Re: Mentaler Zwang
Verfasst: Mo 4. Mär 2013, 15:50
Hei Anni,
wir haben im Verlauf des letzten Jahres sehr viel im Freiheitsdressurbreich gearbeitet. Wir sind so weit gegangen, dass wir das Pferd "nackt" trainiert haben und es auch nahezu nicht angefasst haben (ausser gestreichelt beim Belohnen oder ganz sanft mit der Hand berührt). Das war ein unwahrscheinlich erhellender Prozess.
Erstens: das Pferd kann immer Abstand gewinnen, wenn es wil
Zweitens: man ist gezwungen seine Körpersprache und seine Ausstrahlung deutlich und präzise genug einzusetzen.
Drittens: man lernt sofort, dass man als Mensch die Fehler macht
Viertens: man lernt den Willen des Pferdes mit einem Zusammenzuarbeiten schätzen und bewundern (und hier liegt m.E: nach der Punkt, weswegen Pferde auch bei Zwang so gut funktionieren. Pferde warum auch immer WOLLEN einem zu Gefallen sein. Ich glaube, dass es ihr Beitrag zur Beziehung ist.
Fünftens: man lernt sofort, dass Strafen unnotwendig ist, weil das Pferd eigentlich immer leisten will. Dennoch kann man einem Pferd locker sagen, dass das gerade "falsch" war (bei meinem ist das "eeää" oder "nein"). Man lernt, dass man auchmal als Mensch beleidigt sein kann und etwas nicht wollen darf und das Pferd akzeptiert es. Es ist eben eine Beziehung knüpfen in Form von gegenseitigem Respekt
6. Wenn Pferde auf eine Anforderung nicht reagieren, dann wissen sie nicht was gemeint ist oder sie KÖNNEN es nicht ausführen (schlichtweg Unvermögen) oder sie trauen es sich nicht zu oder (eher selten) sie bieten einem auch mal clever eine leichtere Übung an (dann hilft "eeää" oder ignorieren) - kann aber auch schon ein Zeichen von Ermüdung sein
7. Man lernt, dass Pferde manchmal zum Nachdenken etwas Zeit brauchen
7.a man lernt, dass Pferde zu einer Erkenntnis gelangen können und in Zukunft ihr Handeln anhand des Erkenntniszuwachses ausrichten. Deswegen sind sie "wandelbar". Also die Aussage mein Pferd ist immer so oder immer so, kann nicht stimmen, denn es kann lernen und sein Verhalten ändern. Beispiel bei dem Pferd meines Mannes: er tat sich schwer mit dem Stellen und geführt werden am Kappzaum. Er hing auf der Vorhand und lief in einen rein. Beim Anhalten hatte er den Charme eines Zuges mit Bremsweg, der den Bremsbalken noch eine Weile vor sich hinschiebt. Mein Mann war gefrustet und genervt und meckerte und probierte es nochmal. Das Pferd strengte sich aufgrund des Gemeckers an. Mein Mann lobte und wir beide sahen es. Das Pferd wurde mit der Erkenntnis geschlagen: "ich muss mich auch anstrengen". Das war ein magischer Moment. Von da an hat er das getan und er hat spielend in der Entwicklung mein Pferd, dass baulich bessere Voraussetzungen und es somit leichter hat, überholt. Jetzt reagiert das Pferd meines Mannes aber traurig, wenn man nicht würdigt, dass es sich anstrengt. Das ist nun unser Teil der Aufgabe. Es anzuerkennen.
8. man lernt, dass man wohl einen Plan haben darf, was man machen möchte. Aber dass man den auch aufgrund der Reaktionsweise des Pferdes spontan ändern muss.
9. man lernt, dass die meisten Pferde die Dinger im Gesicht nicht mögen, aber gutmütig akzeptieren. Ich habe Fotos von meinen Rentnern, auf denen sie durch den Schnee düsen, springen und sich wälzen. Auf diesen Fotos haben sie Halfter an. Ich verstehe heute nicht mehr, warum ich ihnen diese durchs-Gesicht-Schlacker-Teile nicht abgenommen habe. Wie konnte ich nur so ignorant sein nicht wahrzunehmen, dass Halfter bei jeder Bewegung schlackern?
10. man lernt, dass man nur anfragen und bitten kann. erstaunlicherweise kommen die Pferde den Bitten fast immer nach.
11. man lernt, dass auch Pferde einen um etwas Bitten. Z.B. können wir heute nur leichte Sachen machen? Kannst Du mit mir dahin gehen - ich will das gerne anschauen? Ich hebe das Bein, wenn Du willst, aber der Boden ist rutschig. Ich fühle mich unsicher. Würdest Du das bitte nicht anfragen?
12. man lernt, dass Pferde auch eine Würde haben, die man ihnen nicht nehmen darf.
13. man lernt, dass sogar freundliches Zupfen am Kappzaum im Verhältnis zum freien Arbeiten eine Art Zwang ist. Andererseits kann man dem Pferd schneller klar machen. Ich will, dass Du den Kopf SO hälst. Ich habe versucht es durch Anfassen am Gesicht zu ersetzten. Hier habe ich wieder etwas Neues gelernt. Das Pferd GESTATTET einem, dass man es am Kopf festhalten und rumführen darf. Interessanterweise wird es sich eher entziehen, wenn ich versuche mich durchzusetzen und festzuhalten (klappt nämlich kaum, wenn es nichts drauf hat). Es wird eher mitmachen, wenn meine innere Gedankenwelt so ausgerichtet ist: "ich will Dir mal zeigen, wie ich mir das vorstelle"
(bei mir ein wichtiges Thema, da ich ein kopfscheues Pferd gekauft habe)
14. man lernt, dass jedes Pferd eine einzigartige Persönlichkeit ist, die individuell auf die einzigartige Persönlichkeit des Menschen reagieren und das noch unter den Einflüssen der Umgebung, der Tagesform ...
15. man lernt, dass die eigene emotionale Welt auf das Ergebnis des Tages wirkt. Und negative Emotionen lassen den Tag weniger wertvoll sein. Positive Emotionen lassen den Tag gut sein, selbst wenn man "arbeitsmäßig" kaum etwas erreicht hat.
16. man lernt, dass man sich selber und seinem Pferd schuldet, dass man eigene Baustellen im Leben bearbeitet und unbeschwerter wird und sich und dem Pferd eine bessere Zeit geben kann.
ich könnte die Liste unendlich fortsetzen ...
und habe soviel geschrieben, dass ich hoffe, dass ich keinen Murks verfasst habe und es verständlich ist, was ich ausdrücken wollte
wir haben im Verlauf des letzten Jahres sehr viel im Freiheitsdressurbreich gearbeitet. Wir sind so weit gegangen, dass wir das Pferd "nackt" trainiert haben und es auch nahezu nicht angefasst haben (ausser gestreichelt beim Belohnen oder ganz sanft mit der Hand berührt). Das war ein unwahrscheinlich erhellender Prozess.
Erstens: das Pferd kann immer Abstand gewinnen, wenn es wil
Zweitens: man ist gezwungen seine Körpersprache und seine Ausstrahlung deutlich und präzise genug einzusetzen.
Drittens: man lernt sofort, dass man als Mensch die Fehler macht
Viertens: man lernt den Willen des Pferdes mit einem Zusammenzuarbeiten schätzen und bewundern (und hier liegt m.E: nach der Punkt, weswegen Pferde auch bei Zwang so gut funktionieren. Pferde warum auch immer WOLLEN einem zu Gefallen sein. Ich glaube, dass es ihr Beitrag zur Beziehung ist.
Fünftens: man lernt sofort, dass Strafen unnotwendig ist, weil das Pferd eigentlich immer leisten will. Dennoch kann man einem Pferd locker sagen, dass das gerade "falsch" war (bei meinem ist das "eeää" oder "nein"). Man lernt, dass man auchmal als Mensch beleidigt sein kann und etwas nicht wollen darf und das Pferd akzeptiert es. Es ist eben eine Beziehung knüpfen in Form von gegenseitigem Respekt
6. Wenn Pferde auf eine Anforderung nicht reagieren, dann wissen sie nicht was gemeint ist oder sie KÖNNEN es nicht ausführen (schlichtweg Unvermögen) oder sie trauen es sich nicht zu oder (eher selten) sie bieten einem auch mal clever eine leichtere Übung an (dann hilft "eeää" oder ignorieren) - kann aber auch schon ein Zeichen von Ermüdung sein
7. Man lernt, dass Pferde manchmal zum Nachdenken etwas Zeit brauchen
7.a man lernt, dass Pferde zu einer Erkenntnis gelangen können und in Zukunft ihr Handeln anhand des Erkenntniszuwachses ausrichten. Deswegen sind sie "wandelbar". Also die Aussage mein Pferd ist immer so oder immer so, kann nicht stimmen, denn es kann lernen und sein Verhalten ändern. Beispiel bei dem Pferd meines Mannes: er tat sich schwer mit dem Stellen und geführt werden am Kappzaum. Er hing auf der Vorhand und lief in einen rein. Beim Anhalten hatte er den Charme eines Zuges mit Bremsweg, der den Bremsbalken noch eine Weile vor sich hinschiebt. Mein Mann war gefrustet und genervt und meckerte und probierte es nochmal. Das Pferd strengte sich aufgrund des Gemeckers an. Mein Mann lobte und wir beide sahen es. Das Pferd wurde mit der Erkenntnis geschlagen: "ich muss mich auch anstrengen". Das war ein magischer Moment. Von da an hat er das getan und er hat spielend in der Entwicklung mein Pferd, dass baulich bessere Voraussetzungen und es somit leichter hat, überholt. Jetzt reagiert das Pferd meines Mannes aber traurig, wenn man nicht würdigt, dass es sich anstrengt. Das ist nun unser Teil der Aufgabe. Es anzuerkennen.
8. man lernt, dass man wohl einen Plan haben darf, was man machen möchte. Aber dass man den auch aufgrund der Reaktionsweise des Pferdes spontan ändern muss.
9. man lernt, dass die meisten Pferde die Dinger im Gesicht nicht mögen, aber gutmütig akzeptieren. Ich habe Fotos von meinen Rentnern, auf denen sie durch den Schnee düsen, springen und sich wälzen. Auf diesen Fotos haben sie Halfter an. Ich verstehe heute nicht mehr, warum ich ihnen diese durchs-Gesicht-Schlacker-Teile nicht abgenommen habe. Wie konnte ich nur so ignorant sein nicht wahrzunehmen, dass Halfter bei jeder Bewegung schlackern?
10. man lernt, dass man nur anfragen und bitten kann. erstaunlicherweise kommen die Pferde den Bitten fast immer nach.
11. man lernt, dass auch Pferde einen um etwas Bitten. Z.B. können wir heute nur leichte Sachen machen? Kannst Du mit mir dahin gehen - ich will das gerne anschauen? Ich hebe das Bein, wenn Du willst, aber der Boden ist rutschig. Ich fühle mich unsicher. Würdest Du das bitte nicht anfragen?
12. man lernt, dass Pferde auch eine Würde haben, die man ihnen nicht nehmen darf.
13. man lernt, dass sogar freundliches Zupfen am Kappzaum im Verhältnis zum freien Arbeiten eine Art Zwang ist. Andererseits kann man dem Pferd schneller klar machen. Ich will, dass Du den Kopf SO hälst. Ich habe versucht es durch Anfassen am Gesicht zu ersetzten. Hier habe ich wieder etwas Neues gelernt. Das Pferd GESTATTET einem, dass man es am Kopf festhalten und rumführen darf. Interessanterweise wird es sich eher entziehen, wenn ich versuche mich durchzusetzen und festzuhalten (klappt nämlich kaum, wenn es nichts drauf hat). Es wird eher mitmachen, wenn meine innere Gedankenwelt so ausgerichtet ist: "ich will Dir mal zeigen, wie ich mir das vorstelle"
(bei mir ein wichtiges Thema, da ich ein kopfscheues Pferd gekauft habe)
14. man lernt, dass jedes Pferd eine einzigartige Persönlichkeit ist, die individuell auf die einzigartige Persönlichkeit des Menschen reagieren und das noch unter den Einflüssen der Umgebung, der Tagesform ...
15. man lernt, dass die eigene emotionale Welt auf das Ergebnis des Tages wirkt. Und negative Emotionen lassen den Tag weniger wertvoll sein. Positive Emotionen lassen den Tag gut sein, selbst wenn man "arbeitsmäßig" kaum etwas erreicht hat.
16. man lernt, dass man sich selber und seinem Pferd schuldet, dass man eigene Baustellen im Leben bearbeitet und unbeschwerter wird und sich und dem Pferd eine bessere Zeit geben kann.
ich könnte die Liste unendlich fortsetzen ...
und habe soviel geschrieben, dass ich hoffe, dass ich keinen Murks verfasst habe und es verständlich ist, was ich ausdrücken wollte