ADHS und Reitunterricht

Moderator: Stjern

ehem User

ADHS und Reitunterricht

Beitrag von ehem User »

Hallo an Alle!

Ich habe derzeit ein 13 Jähriges Mädel beim RU mit ADS.
Nun benötige ich ein paar Erfahrungen und Tipps um damit besser "arbeiten" zu können.

Das Mädel bekommt regelmäßig Tabletten gegen ihren Zappelphillip. Wegen Schule etc..
Im Umgang mit dem Pferd ist sie sehr umsichtig und eher vorsichtig.
Beim Unterricht habe ich das Gefühl, dass sie fast einschläft und man alles dreimal sagen muss bevor es ankommt.
Dieses tranige schiebe ich jetzt mal auf die Tabletten.

Würde es Sinn machen die Eltern zu bitten die Tabletten für den Unterricht nicht einzunehmen?
Wie sollte ich den Unterricht an dieses Kind anpassen?
Was habt ihr für Erfahrungen gemacht mit solchen Kindern?
Wie "streng" sollte ich sein?
jella
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Re: ADHS und Reitunterricht

Beitrag von jella »

Hallo Scheckenschreck!!!

Auch wenn ich mir hiermit keine Lorbeeren verdiene mit meinem Kommentar, aber ich sehe immer wieder, dass Kinder gerne ruhig gestellt werden. Es gibt eine Auswertung, die besagt, dass von den Kindern, die mit Ritalin behandelt werden, nur 1,7 % WIRKLICH ein Problem im Gehirn haben. Aber das ist eigentlich nicht deine Frage ... Auf die antworte ich auch gerne!

Die erste Frage, die ich habe, wäre, WILL das Kind wirklich diesen Unterricht? Oder möchten die Eltern dies? Wenn sie das wirklich möchte, würde ich sie zur Mitarbeit motivieren. Und das mittels Strenge. Sie ist 13 u. somit kein kleines Mädchen mehr. Meistens können diese Kinder mit Strenge mehr anfangen, weil die Ansagen deutlicher sind. Ich habe einige Male bei unserer Heiltherapeutin zugeschaut, die ebensolche Kinder betreut. Ich hab feststellen können, dass die Kinder besser zuhören u. dies dann auch entsprechend umsetzen.

Die Tabletten absetzen wird sicher nicht gehen, ich hatte mal eine Freundin, deren Tochter ebenso behandelt wurde u. ich weiß, dass es nicht möglich war u. vor allem auch nicht ratsam, die Tabletten abzusetzen. Also, es mag natürlich sein, dass dieses Mädchen zu denen gehört, die die Tabletten wirklich benötigt.

Ich würde sie immer wieder mit ihrem Namen ansprechen u. immer wieder betonen, was GUT läuft. Darf sie das Pferdchen auch mit fertig machen oder kommt sie nur zum Reiten? Das therapeutische Reiten findet auch bei uns auf dem Hof statt u. ich war immer wieder erstaunt, wie ruhig die kleinen Wirbelwinde plötzlich im Umgang mit dem Pferd waren ...
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WaldSuse
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Re: ADHS und Reitunterricht

Beitrag von WaldSuse »

Mein Sohn ist inzwischen 32 Jahre alt und ist ein ADHS Mensch.Als er klein war,kam das gerade auf.Er hat kein Ritalin bekommen und dementsprechend schwer war es für uns alle.Auch für ihn.
Ich habe eine zeitlang Kinder im orientalischen Tanz unterrichtet.Dabei waren zwei Mädchen,die Ritalin bekamen.Bei der einen war ein großer Unterschied feststellbar.Auf einmal war sie wach,konzentriert und konnte dem Unterricht folgen.Bei der anderen war es so wie bei deinem Fall.Müde und nicht aufnahmefähig.Ich gebe dazu keinen Kommentar ab.
So,ich habe also ein wenig Erfahrung damit.Ganz wichtig ist nicht "Strenge",sondern klare Ansagen.Durch meinen Sohn,der erst als Erwachsener zu seiner ADHS stehen kann,weiß ich,daß bei solchen Menschen das Kurzzeitgedächtnis nicht funktioniert,sie "vergessen" sofort wieder etwas,weil es nicht verankert werden kann.Wenn das Mädchen nicht gleich reagiert,dann in Ruhe die Ansage wiederholen.Und viel loben,ganz wichtig!Ich habe da viel bei meinem Sohn versäumt,das weiß ich heute......diese Kinder fühlen sich sehr oft wie ein Alien oder haben Angst,nicht ganz "normal" zu sein.
Nicht müde werden,
sondern,
dem Wunder leise,
wie einem Vogel,
die Hand hin halten.
hafibande
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Re: ADHS und Reitunterricht

Beitrag von hafibande »

Huhu,

habe beruflich z. T. mit ADHS-Kindern zu tun. Folgendes kann ich ergänzen:
Für viele Eltern ist das Ritalin ein guter Weg (nicht meine Meinung), weil sie es gelernt haben, dass man Probleme mit Tabletten behandelt, weil der Arzt es doch wissen muss und weil sie so Erleichterung im Alltag erfahren, denn ein nicht-behandeltes ADHS-Kind ist wahrhaftig sehr, sehr anstrengend.
Es ist also kein guter Weg, die Eltern zu bitten, dass sie die Tabletten weglassen (doch, ich bin da auch sehr kritisch eingestellt, aber wir können die Eltern nicht von einem Weg abbringen, den sie für gut und richtig halten).
Es mag aber sein, dass die Tabletten, die das Kind mittags nimmt, zu stark sind. Von daher könntest Du Deine Beobachtungen schildern und die Eltern fragen, ob das Kind in der Schule noch wacher ist und dem entsprechend über die Dosis beratschlagen bzw. dabei den Arzt hinzuziehen. Kann sein, dass sie Mittags weniger braucht als morgens?!

Was den unmittelbaren Umgang anbelangt, stimme ich unbedingt dem zu, was Waldsuse geschrieben hat. Was mir im Umgang mit diesen Kindern noch unbedingt hilft:
Kurze Sätze - zu viel Info wird nicht verdaut, auch keine langen Erklärungen (obwohl ich Erklärungen in der Pädagogik echt wichtig finde, aber was hilft es, wenn sie nicht ankommen) UND, wenn möglich:
Bei der Ansprache Körperkontakt herstellen. Vielleicht kannst Du neben dem Pferd herlaufen und sie dann, wenn Du sie ansprichst, am Bein berühren. Das würde ich vorher so mit ihr besprechen. "Meine" Unruhegeister fasse ich gern mal am Unterarm an, und das ist eine "gewöhnlichere" Zone zum berührt-werden. Weiß aber nicht, ob das geht, sie sitzt ja auf dem Pferd. Bein ist halt schon bisschen intim und ungewöhnlich, daher würde ich das vorher fragen.

Und eine Bitte; versuche die Eltern einzubeziehen. Die sind oft selbst verzweifelt und sehen sich vielen Anschuldigungen ausgesetzt. Manchmal mögen diese nicht ganz unberechtigt sein, aber egal ob berechtigt oder nicht: Anklagen helfen soundso nix...

So long,
alles Gute

Stefanie
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Berry
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Re: ADHS und Reitunterricht

Beitrag von Berry »

Ich kann mich den Meinungen der andern (fast) anschließen ;)
Meine Kinder haben beide ADS bzw. ADHS und ich habe mich jahrelang damit befasst (und muss es immer noch :roll: ).
Bist du sicher, dass deine Schülerin ADHS hat? Oder "nur" ADS? Bei ADS ist man ja eher ruhig, verträumt, unaufmerksam...
Wenn ein Kind mit ADHS Ritalin nimmt und dann ruhig und tranig ist, dann ist die Dosis der Medikamente evtl. zu hoch. Wobei Methylphenidat nicht wirklich "ruhig stellen" kann, es ist ein Aufputschmittel.
Mein Sohn hat (nachdem ich mich jahrelang gewehrt habe :( ) Ritalin genommen und war seit dem nicht mehr von anderen Kindern zu unterscheiden. Vorher hat man ihn schon von weitem gehört und bemerkt, mit Ritalin war er immer noch lebhaft und aktiv, aber eben nicht mehr so viel mehr, als andere Kinder in seinem Alter, er war keinesfalls ruhig und schläfrig. Wenn AD(H)S wirklich richtig und sicher diagnostiziert ist, ist Methylphenidat ein Segen - nicht nur für die Eltern, sondern vor allem für das Kind! Mein Sohn hatte Suizidgedanken, was der Grund war, das ich meinen Widerstand gegen Medikamente aufgegeben habe - fast schon zu spät für ihn, ich hätte ihm viel Ärger und Demütigungen ersparen können :(
Ich habe meinem Sohn meine Anweisungen wiederholen lassen, damit ich wusste, er hat es auch wirklich verstanden. Trotzdem hat er öfter was vergessen und ich musste es wiederholen. Das muss man dann einfach ruhig machen, ärgerlich werden usw. hilft nichts. Berührungen sind auch prima, um die Aufmerksamkeit zu erlangen, ist aber beim Reitunterricht wohl eher schwierig.
Leider muss man mit ADHS-Kindern sehr streng sein, Konsequenz ist das wichtigste! Und wie hafibande schreibt, keine langen Erklärungen. Das war für mich sehr schlimm, ich wollte meinen Kindern alles erklären, gemeinsam mit ihnen entscheiden, habe aber bald gemerkt, dass es nichts bringt.
Damit ich meinen Sohn nicht immer vor anderen ermahnen musste bzw. er sich dafür geschämt hat, hatten wir ein Geheimwort vereinbart. Bei uns war das "Frosch", wenn er sich also daneben benommen hat, habe ich nur "Frosch" gesagt und er wusste, dass er sich zurück nehmen soll. Das war für sein Selbstbewußtsein prima, weil er ja gemerkt hat, dass alle (Lehrer usw.) ihn viel mehr ermahnen, als die anderen.
Wichtig ist ganz viel Lob, dem Kind einfach zeigen, dass es trotz ADHS genau so viel kann, wie andere Kinder. So wenig wie möglich Ermahnen, weil das für die Kinder schlimm ist, zu merken, dass sie einfach nicht so (brav) sein können, wie andere obwohl sie sich bemühen. Wenn sich ein Kind daneben benimmt, ihm erklären, was es macht. Der Hauptsatz von meinem Sohn war: die schimpfen immer alle und ich mach doch gar nichts! Das ist keine Ausrede, die Kinder merken das echt nicht...
Die Eltern würde ich auch nicht bitten, die Tabletten abzusetzen. Schon deshalb, weil das ein sehr sensibles Thema ist und viele sowieso ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie ihren Kindern Ritalin geben und sich dafür oft verteidigen müssen (oder meinen, es zu müssen). Deine Beobachtung, dass das Mädchen sehr schläfrig ist, kannst du aber den Eltern mitteilen. Man kann Ritalin nur richtig dosieren, wenn man Rückmeldungen vom Umfeld hat, wie sich das Kind benimmt. Von unserem Arzt haben wir deshalb alle paar Wochen Fragenbögen für uns, die Lehrer und z.B. Vereinsleiter mitbekommen, die dort das Verhalten der Kinder beschreiben sollten. Danach wurde dann die Ritalindosis eingestellt.

Alles Gute
Sabine
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Re: ADHS und Reitunterricht

Beitrag von b.e.a.s.t »

Mein Sohn hat ADHS und hat insgesamt 6 Jahre Medikamente bekommen, das A und O ist die Dosis und der Stoffwechsel, an manchen Tagen wenn er zu wenig gegessen hat wirkte er auch so lethargisch. Über das WE und in den Ferien haben wir das immer abgesetzt... Das ist auf alle Fälle ein heikles Thema und Eltern reagieren da oft über, wenn sich Fremde in die Medikation einmischen.

Man hört viele Ratschläge, aber was das wirklich heißt als Eltern, können viele sich nicht vorstellen.

Mein Tip, sprich die Mutter an und schildere ihr wie die Tochter auf dich wirkt und frage nach ob ihr evtl mal später am Tag Unterricht machen könnt, wenn die Wirkung mehr nachgelassen hat.

Wir hätten immer Stress mit den Lehrern und einer rief mir an und sagte mein Sohn wäre heute außer Rand und Band, der Lehrer die Stunde später meinte, er wäre ruhig und lethargisch....alles subjektiv!!!

Wir sind jetzt seit 2 Jahren medikamentenfrei!!!!!!!!!
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ehem User

Re: ADHS und Reitunterricht

Beitrag von ehem User »

Vielen, vielen Dank für Eure Antworten und Erfahrungsberichte!!!

Werde die Mama wegen der Medikation noch mal ansprechen um das Ganze auch besser verstehen zu können und um ihr meine Beobachtungen mitzuteilen.
Ich werde um Himmels willen keinen verurteilen, oder die Tabletten schlecht reden, oder ihr vorschreiben wollen wie sie etwas zu machen hat.


Intuitiv habe ich für den Anfang wohl alles richtig gemacht. Bei mir gibt es ruhige und klare Grenzen, in kurzen Ansagen während des Unterrichtes!
Diskussionen und tiefgründige Erklärungen finden während des trocken Reitens statt oder in einer Verschnaufpause für Pferd und Reiter.

Das Pferd muss sie mit fertig machen und wenn kein anderer Schüler danach dran ist, ihn dann auch wohl versorgt in den Feierabend entlassen.
Und "Nur Reiten" ist nicht meine Unterrichtsphilosophie. Es gehört ja viel mehr dazu! ;)
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Re: ADHS und Reitunterricht

Beitrag von Nelchen »

Scheckenschreck, wie reagiert denn das Pferd auf das Mädel? Gibts da einen Unterschied zu anderen Kindern, den du feststellen könntest?
Das Thema interessiert mich ein bisschen. :)
LG Katrin

Ein Tänzer scheint nur denen verrückt, die die Musik nicht hören.
ehem User

Re: ADHS und Reitunterricht

Beitrag von ehem User »

Also, dass der überhaupt mal Unterricht läuft hätte ich nieeeee gedacht!! Der war vor ein paar Jahren Reiterschreck Nummer 1! Da hat sich keiner drauf getraut.

Mittlerweile nimmt er´s gelassen. Solange man ihm nicht im Maul rumzieht und sich festhält am Zügel!

Bei Kindern passt er richtig auf und hält lieber an, wenn ihm etwas unsicher erscheint. Schaut zu mir und wartet meine Reaktion ab. :herzi:
Da er sehr auf mich fixiert ist, kann ich ihn auch gut mit meiner Stimme steuern. Ist manchmal ganz witzig :mrgreen: .

So ein Schulpferd gab es mal im Reitverein wo ich war. Bei guten Reitern ein Ar....lo....! :twisted:
Bei den geistig oder körperlich behinderten ein wahres Vorzeigeschaukelpferd! :shock: :-D

Außerdem achte ich sehr darauf, dass die Kinder lernen, dass das Maul des Pferdes KEIN Bremspedal ist!
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Re: ADHS und Reitunterricht

Beitrag von Nelchen »

Und merkst du einen Unterschied bei dem ADHS Kind, wenn es ihn reitet?
LG Katrin

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