Wie viel Vorwärts? Wohlfühltakt!

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Luftikus
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Wie viel Vorwärts? Wohlfühltakt!

Beitrag von Luftikus »

Hallo Reitwaisen,

mich beschäftigt momentan wieder das Thema "vorwärts reiten". Es gibt da ja geteilte Meinungen, wie viel man ein Pferd vorwärts reiten soll.
Es geht ja auch in erster Linie um den "Wohlfühltakt" eines Pferdes, den man herausfinden sollte. Und da ist ja jedes Pferd verschieden, das ist klar. Darf der eine in einem Trab daher kommen, der soweit ok ist, aber dennoch eher etwas matt wirkt, während der andere frisch, fleißig und enorm nach vorne geht?

Ich war z.B. mal auf einem Seminar, bei dem der Bundestrainer der Schweizer Para-Reiter anhand verschiedener Pferde aufzeigte, an was für Dinge in fünf Tagen davor gearbeitet wurde. Das ging von der Remonte bis zum S-Pferd. Der Trainer kannte weder Reiter noch Pferde und hat mit ihnen eben fünf Tage lang gearbeitet, bevor das Seminar war. Er vertrat die Meinung, dass oft über den "Wohlfühltakt" hinaus geritten würde und weniger manchmal mehr ist und die Pferde sich viel besser loslassen würden in einem ruhigeren Tempo. Wobei das schon auch immer temperamentabhängig sei.

Dann habe ich letztens bei zwei Stallfreundinnen im Unterricht bei einer Grand-Prix-Reiterin zugeschaut. Die legte sehr viel Wert auf vorwärts, vorwärts, vorwärts. Die Hand sollte regungslos stehen bleiben und es wurde nur vorwärts geritten. Nicht eilig, aber sehr sehr frisch vorwärts. Eine der Reiterinnen erzählte mir dann, dass sie irgendwann nicht mehr hätte treiben müssen und ihr Pferd schön ins Schwingen gekommen wäre und einfach wie von selbst den Gang drin hatte. Mir kam es manchmal aber dennoch so vor, als würden die Pferde nicht wirklich locker über den Rücken laufen und einfach über ihren "Wohlfühltakt" hinaus gehen und eher erstmal im Rücken festhalten. Vielleicht habe ich mich auch getäuscht.

Meine Freundin und zugleich RLin ist wiederum auch eher der Meinung, dass meine Stute zwar fleißig vom Hinterbein her, aber dennoch in einem eher ruhigeren Tempo geritten werden sollte, weil sie sich so besser los lässt. Meine Süße ist ja eher der etwas trägere Typ, den man aufwecken muss (außer auf dem Turnier, da hab ich oft ne Rakete und Bombe zugleich unter mir :-? ).
Und so beschäftigt mich die Frage, wie soll ich letztendlich mein Pferdi reiten? Die HH ist ja eh immer so ein Thema bei ihr. Sie wird nie ein wirklich flinkes Hinterbein bekommen, aber der ganzen Trab etwas frischer dürfte evtl. doch sein. Oder wie seht ihr das mit dem Vorwärts oder eher ruhiger?
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Schnucke
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Re: Wie viel Vorwärts? Wohlfühltakt!

Beitrag von Schnucke »

Wobei du von Tempo sprichst, denn der Takt sollte innerhalb der Gangart erhalten bleiben, verändert er sich hat man einen Taktfehler.
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kolyma
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Re: Wie viel Vorwärts? Wohlfühltakt!

Beitrag von kolyma »

Das müsste man sehen um es bewerten zu können. Das Pferd sollte fleißig aber nicht eilig sein. Matt wäre mir schon wieder nicht fleißig genug. Wenn das Pferd Fleiß zeigt ist die Hinterhand aktiv, das Pferd tritt ans Gebiss heran und stößt sich von diesem ab. Es wird gleichzeitig leicht, lässt sich los. Ist es zu eilig zeigt es keine Losgelassenheit.
Ist es zu träge zeigt es diese aber auch nicht, da das Pferd dann auf der Vorhand herum latscht und somit auch nicht im Takt läuft da die Vorhand dann zu spät vom Boden weggkommt (Pferd tritt sich ggf. vorne in die Eisen/den Ballen)

Es ist auch immer eine Frage des Charakters. Mein Pferd muss man auch erst mal aufwecken. Das heißt am Anfang in der Lösungsphase reite ich vermehrt frisch vorwärts. Ist das richtige Tempo gefunden schnaubt er meistens auch ab, ich spüre wie ich seinen Rücken bekomme. Rennt er mir unterm A... weg, hab ich auch keinen Rücken mehr.

Ob ein Pferd fleißig läuft, zu matt oder zu eilig, kann man nur beurteilen wenn man das Pferd sieht.

Der Wohlfühltakt ist m.E. aber nicht das Maß dieser Dinge. Wenn es anfänglich nach meinem Pferd gegangen wäre, wäre Wohlfühltakt auf alle Fälle zu untertourig gewesen. Der hätte stundenlang vor sich hinschleichen können ohne sich unwohl zu fühlen. Der Wohlfühltakt - der gesunde - wird meist im Laufe der Zeit gefunden. Und meist erspürt man das irgendwann.
Die meisten Freizeitpferde, die ich kenne, werden aber eher zu untertourig geritten. Meistens mit Reitern drauf, die glauben, nur weil die Pferde ihren Rücken nicht bewegen (sie kommen untertourig ja nicht zum schwingen) und sie toll zu sitzen wären, das wäre genau richtig so... Leider. Finde das Vorwärts wird oft zum Preis von Geschleiche vernachlässigt. Aber genau das ist Gift für die Pferdebeine. Kann man ja mal beim joggen ausprobieren - einfach ewig lange ganz langsam joggen. Die Knie werden die ersten sein, die zeigen, dass das auf Dauer nicht gut tut. Auch hier muss man etwas Energie aufwenden um den Körper optimal vorwärts zu bewegen - und das möglichst ermüdungsfrei.
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Luftikus
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Re: Wie viel Vorwärts? Wohlfühltakt!

Beitrag von Luftikus »

@Schnucke: Dennoch kann der Takt eiliger werden und dabei im eiligeren Takt bleiben. Also kein Taktfehler.
Aber du hast Recht, ich sollte eher vom Wohlfühltempo schreiben, nicht vom Wohlfühltakt ;)
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Luftikus
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Re: Wie viel Vorwärts? Wohlfühltakt!

Beitrag von Luftikus »

kolyma hat geschrieben: Der Wohlfühltakt ist m.E. aber nicht das Maß dieser Dinge. Wenn es anfänglich nach meinem Pferd gegangen wäre, wäre Wohlfühltakt auf alle Fälle zu untertourig gewesen. Der hätte stundenlang vor sich hinschleichen können ohne sich unwohl zu fühlen. Der Wohlfühltakt - der gesunde - wird meist im Laufe der Zeit gefunden. Und meist erspürt man das irgendwann.
So ist meine auch, die würde ewig so vor sich hin schlendern und sich wohl fühlen. Aber ich schaue auch, dass ich sie anfangs immer frischer reite, vor allem im Galopp. Sie schnaubt dann ab und wird locker. Wobei es eher wieder mal klemmt, wenn ich sie in dann "arbeite". Ich treibe zwar nach, aber habe eher immer das Gefühl, sie will da nicht mehr so richtig frisch vorwärts, ist aber dennoch losgelassen und hängt mir nicht auf der Hand o.ä. Wenn ich dann ein Video anschaue, ist es gar nicht so schlimm, wie es sich für mich in dem Moment anfühlt. Ich meine eben immer, ich müsse sie noch mehr vorwärts treiben.
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kolyma
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Re: Wie viel Vorwärts? Wohlfühltakt!

Beitrag von kolyma »

Das geht mir auch so. Vor allem wenn wir versammelnde Arbeit machen hab ich manchmal das Gefühl, er wird zu "träge"... Allerdings achtet meine RL enorm auf das vorwärts. Frage ich bei ihr nach, versichert sie mir dann, dass das schon richtig so ist. Ich denke ich werde schon noch erfühlen wie es richtig ist.
Ich denke man übt das auch sehr gut, wenn man immer mal wieder Tempounterschiede reitet. Das fördert ja auch die Duchlässigkeit und man kann erfühlen wie sich dieses oder jenes Tempo anfühlt und in der MItte dürfte dann in etwa das richtige Tempo liegen.
Hab jedenfalls ein knappes, halbes Jahr gebraucht bis ich unser Arbeitstempo wirklich "gewusst" habe.
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Lisa-Marie

Re: Wie viel Vorwärts? Wohlfühltakt!

Beitrag von Lisa-Marie »

Wie wäre es mit Video-Aufnahmen? Ich finde, von außen sieht das Ganze oft anders aus, als es sich anfühlt. Hab selbst oft eher das Gefühl, mein Pferd rennt, dabei sieht es von außen einfach fleißig aus...
Mir helfen Aufnahmen, mein inneres Gefühl mit der Außenwirkung besser zu synchronisieren.
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Muriel
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Re: Wie viel Vorwärts? Wohlfühltakt!

Beitrag von Muriel »

Ich finde das ist so eine klassische "Das kommt drauf an" - Frage.
Bei manchen Pferden kann es angebracht sein, etwas über Tempo zu reiten, weil sie sich im Schleichmodus schwerer tun, überhaupt etwas mehr Energie zu entwickeln. Um eine aktive Hinterhand zu bekommen, muss ich dann erstmal Kraftaufbau im Hinterbein betreiben und das schrittweise mit in den Rücken etc hineinnehmen.
Wenn mir das Pferd aber aufgrund mangelnder Balance nach vorne fällt und wegrennt, kann ich so nicht arbeiten, sondern muss mir die Kraft über Tempounterschiede, Seitengänge, Rückwärts-Vorwärts, Haltparaden und wieder Antreten etc erarbeiten.
Ich möchte da aber auch kein "Gegenhalten und herantreiben", sondern eigentlich nur Stellung und Biegung vorne vorsichtig anfragen und nach und nach die Hinterhand und den Rücken aktivieren.
Es gibt viele Pferde, die ihr Leben lang glücklich im Schleichmodus unterwegs sind und damit auch "nett" laufen. Allerdings wird man dann, wenn man halt doch mal mehr möchte, an Grenzen stoßen, weil sie eben nie gelernt haben, Schwung zu entfalten. Und Schwung ist nichts anderes als die Kraftübertragung von der Hinterhand über den Rücken in die Bewegung.
Daran mangelt es aber sehr sehr vielen Pferden, auch vielen die in höheren Klassen laufen, weil sie eben nur "eingespannt zwischen die Hilfen" wurden und eben über Tempo vorwärtsgelaufen sind. Das ist Basisarbeit, die einfach überall fehlt. :(

Wenn man es aber schafft das mit dem Pferd zu erarbeiten (was durchaus auch länger dauern kann, also: Jahre) dann bekommt man ganz viel dann geschenkt, weil es eben der logische Aufbau ist: Losgelassenheit - Takt - Schwung - Durchlässigkeit. Die Versammlung ergibt sich dann daraus.
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kolyma
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Re: Wie viel Vorwärts? Wohlfühltakt!

Beitrag von kolyma »

Das stimmt. Stimmt die Basis fällt einem so nach und nach alles in den Schoß.
Ich brauche mein Pferd nicht "hoch holen" sondern es richtet sich von selbst auf. Das geht aber nur, wenn es taktklar, losgelassen über den Rücken läuft und sich hinten setzen kann. Das Pferd richtet sich ja eigentlich nicht auf sondern setzt sich hinten. Das verlangt aber eine gekräftigte Hinterhand. Wenn also Takt und Losgelassenheit da sind - also auch durch eine entsprechendes vorwärts gegeben - kräftigt man durch Stellung, Biegung und Seitengängen die Hinterhand. Dann ist es eigentlich völlig egal wie der Reiter den Rahmen vorne vorgibt - das Pferd trägt sich selbst und richtet sich seiner natürlichen Aufrichtung entsprechend auf. Ohne dass der Reiter noch viel dafür tun müsste.

Dafür muss aber der Grundstock stimmen. Und wenn man hier nachlässig ist, hat man es nacher umso schwerer. Die Basis muss stimmen, dann fallen später die schönsten Dinge wie reife Äpfel vom Baum.
Das Vorwärts ist mit eines dieser Dinge die von Anfang an gründlichst erarbeitet werden müssen. Nicht zu viel, nicht zu wenig - das richtige Maß für jedes Pferd.
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Lisa-Marie

Re: Wie viel Vorwärts? Wohlfühltakt!

Beitrag von Lisa-Marie »

Vielleicht noch interessant:
Lese gerade das Buch "Pferde sinnvoll lösen" von K.M.... (Seite 52): Damit ein Pferd sich im Trab lösen kann, ist das passende Grundtempo elementar. Geht das Pferd auch nur geringfügig schneller, ist loslassen nicht möglich! Reiten Sie deshalb zu Beginn in betont ruhigem Tempo. Das Pferd braucht einen ruhigen Ablauf, um seine Gelenke beugen und seinen Rücken lösen zu können. In diesem ruhigen Tempo treiben Sie nur dann, wenn das Pferd in den Schritt zu fallen droht, also nur zum Erhalt des gleichmäßigen Taktes. Ansonsten warten Sie passiv ab, bis das Pferd beginnt, sich loszulassen. Wenn Sie fühlen, dass es anfängt, über den Rücken zu gehen (es hebt seinen Widerrist an, zieht über die Halsbasis nach vorn, beginnt zu schwingen), können Sie leicht treiben, um das Pferd im gleichen Takt zu raumgreifenderen Tritten zu veranlassen.

Weiter hinten gibt es dann eine Passage, aus dem Wohlfühltempo des Pferdes (=das Tempo, bei dem sich das Pferd am besten entspannen kann und sich (s.o.) losgelassen an den Reiter "andehnt" (dies ist jetzt von mir verkürzt ausgedrückt ;) ) Rahmenerweiterungen zu reiten, alles -wie ich finde- sehr schön erklärt. :)
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