Erlernte Hilflosigkeit

Moderator: Keshia

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Sanojlea
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Re: Erlernte Hilflosigkeit

Beitrag von Sanojlea »

Das ist ja dann aber nicht Laissez Faire. Sonst hätte sie es nicht binnen 15 Minuten geschafft. Dann hätte sie das "Nein" ihres Pferdes als gesetzt betrachtet und wäre unverrichteter Dinge von Dannen gezogen. Oder habe ich da was falsch verstanden?
15 Minuten waren es nicht, sndern vorher 15 Monate.
Romy hat das "nein" meines Ponys zum Halfter akzeptiert und es auch weggenommen. Trotzdem hat sie weiter gemacht und das Halfter einfach auch intressant gemacht für Ayla.

Ich wollte nur sagen das es einen Menschen nicht unintressant macht wenn er das "nein" akzeptiert. Obwohl... Ich bin mir grade auch unsicher ob es zwischen "Laissez Faire" und dem was Romy macht nicht doch Unterschiede gibt. Vielleicht hab ich deinen Beitrag jetzt auch zu sehr als Antwort auf ihren interpretiert.
"Ich will alles daran setzen und mein Bestes geben, damit diese Pferde in ihrem freundlichen Wesen gut über mich urteilen und damit Harmonie walte, getragen vom Einvernehmen zwischen zwei Lebewesen."
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kolyma
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Re: Erlernte Hilflosigkeit

Beitrag von kolyma »

Nein, der war vollkommen unabhängig davon.

Ich habe heute mal experimentiert, wie mein Pferd und ich miteinander klar kommen, wenn es keine Regeln gibt. Mein Dicker ist ja ein recht selbstbewußter Kerl.
Das ganze war sehr interessant. Ich habe unsere gemeinsame Stunde sehr Laissez Faire gestaltet. Das heißt, ich habe keine Vorgaben gemacht. Ich habe nen Vorschlag gebracht, was wir tun könnten. Und danach habe ich mich vollkommen zurück genommen und ihn machen lassen. So wie man es halt aus dem reinen Laissez Faire kennt. Keine Korrektur, keine weiteren Vorschläge...

Mein Pferd hat am Anfang sehr euphorisch auf die Regellosigkeit reagiert. Ist hierhin und dahin gestromert und hat die neugewonnene Freiheit in vollen Zügen ausgekostet. Ich hab ihn machen lassen und ihm zugeschaut.
Irgendwann ist er zu mir gekommen und wollte, dass ich jetzt irgendwas mache. Ich habe einen Vorschlag gemacht. Aber da ich nicht unbedingt ihn zur Umsetzung animieren wollte, war das ganze tatsächlich auch nur ein Vorschlag. Mein Pferd ging anfangs darauf ein, verlor aber relativ schnell das Interesse daran und hat sich desinteressiert abgewendet.
Irgendwann kam er wieder an und hat gefordert. Also nächstes Vorschlag - ich habe ein Spiel initiiert... Aber auch da gabs keine klaren Regeln... Schnell verlor mein Pferd wieder das Interesse.
Am Ende haben wir uns noch auf Kuscheln geeinigt.

Ich wollte das einfach mal ausprobieren, was passiert, wenn man ohne Plan und Struktur zum Pferd geht und komplett alles offen lässt - aber auch nichts verfolgt.
Ich möchte das jetzt auch nicht abschließend bewerten. Es war nur ein Versuch. Ich habe herausgefunden, dass mein Pferd gerne eine klare Linie von mir hätte. Es hat immer wieder versucht von mir mehr Direktheit zu fordern. Blieb die aus, hat er sich abgewendet.

Zufällig hatte ich meine Fahrgerte mit auf dem Platz genommen, da ich nicht wusste, wie es sich entwickelt. Mein Pferd kennt die vom Longieren und der Freiarbeit. Mir ist aufgefallen, dass er sich immer wieder mit der Fahrgerte in meiner Hand beschäftigt hat - als wollte er sagen: Jetzt mach halt endlich mal was!

Angestoßen zu dem Experiment hat mich das Buch "Selbstbwußte Pferde", welches ich gerade lese und was mich sehr nachdenklich gestimmt hat. Vielleicht kennt es jemand?
Bild Geduld ist die hohe Kunst sehr langsam wütend zu werden...:ohm2: :sofort:


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Heupferdchen
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Re: Erlernte Hilflosigkeit

Beitrag von Heupferdchen »

Uii ...
ich wollte bloß anmerken, dass ich unsere Diskussion sehr spannend finde :gut:
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SunnyShadow
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Re: Erlernte Hilflosigkeit

Beitrag von SunnyShadow »

"Selbstbwußte Pferde", welches ich gerade lese und was mich sehr nachdenklich gestimmt hat. Vielleicht kennt es jemand?
Das habe ich mir auch schon reingezogen. Mit welchem Fazit? Schwierig zu beantworten. Ich meine aber, ein Weg dahin ist, sich selbst dazu zu bringen, immer mit 100 % Aufmerksamkeit in der Situation zu sein, nicht allzu weit vorausdenken - zumindest in Gegenwart des Pferdes. Auch mehr reagieren auf das was Pferd tut und sei es nur ihm in Gedanken zu antworten, also noch nicht mal sowas wie 'ne Korrektur, eher eine Kenntnisnahme dessen, was Pferd gerade tat - eben Kommunikation.
Meinem Wallach(Shadow) wollte ich beibringen sozusagen an der Aufstiegshilfe einzuparken. Sunny stand immer gefühlt im Weg. Bis ichs geschnallt hatte - sie stand genau perfekt. Hab ich noch gedacht, na Du spinnst ja, oder doch nicht?
Das nächste Mal: ich auf Aufstiegshilfe, Shadow in Position, Sunny steht mit dem Kopf an seiner Schulter (90°), ich mach mich bissl groß wegen drüberlehnen-wollen, Mister Sensibel bekommt die Tendenz loszulaufen, ich greife dezent in den Strick, nuschle 'Bleib daa', Sunny schwenkt rum und steht jetzt vor Shadow, der keinen wirklichen Schritt getan hatte. Da war ich dann doch baff - hab Sunny natürlich jedesmal gelobt.
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kolyma
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Re: Erlernte Hilflosigkeit

Beitrag von kolyma »

Ich denke immer, im Zusammenleben von Spezies gibt es Regeln. Und wenn zwei Wesen miteinander Regeln aufstellen, dann kann man sich innerhalb dieses Regelwerkes frei bewegen. So ist auch Kreativität möglich.
Vor einigen Jahren habe ich Schüler in Werken unterrichtet. Ein sehr kreatives Fach. Ich selbst bin ein sehr kreativer Mensch und kann sogar aus Mist irgendwas bauen. Aber bei vielen Kindern funktioniert das nicht. Sie sind überfordert und frustriert. Sie trauen sich nicht und wissen nichts mit dieser Freiheit anzufangen.
Also macht man Vorgaben. Erst sehr enge um dann immer mehr Freiraum zu gewähren. Und dann blühen sie direkt auf. Vor allem weil die Angst vor dem Versagen schwindet.

Ich denke so ist es auch mit unseren Pferden. Ich kann Erfolgserlebnisse nur dann garantieren, wenn ich Möglichkeiten schaffe, dass sie erreicht werden können.
Bringe ich (nur als Beispiel) meinem Pferd im Sattel Schenkelweichen bei, reicht es bei weitem nicht, wenn ich nur den Schenkel anlege und das Gewicht verlagere. Die Möglichkeiten fürs Pferd nicht zu verstehen und das vermeintlich falsche zu tun, sind zu hoch. Also gebe ich dem Jungpferd vermehrt Stellung und gebe mehr Impulse mit dem Schenkel. Ganz am Anfang habe ich noch eine Hilfsperson vom Boden aus. Das ist ein sehr eng gesteckter Rahmen in dem das Pferd wenig andere Möglichkeiten hat zu interpretieren was ich möchte.

Die Theorie mit der vollkommenen Übereinstimmung finde ich sehr schön und erstrebenswert. Aber ich glaube, oft wissen wir nicht wie der Weg dahin aussehen kann. Und da ich ja definitiv mehr Einfluss auf die Welt haben als mein Pferd habe ich oft das Gefühl in einem riesigen Meer voller Theorien und Möglichkeiten zu schwimmen und in meinem Bedürfniss das Richtige zu tun uns selbst im Wege zu stehen - auch vor Angst, mein Pferd zu übervorteilen und mundtot zu machen...
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kolyma
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Re: Erlernte Hilflosigkeit

Beitrag von kolyma »

Was mir über Nacht noch zum Thema eingefallen ist, möchte ich hier gerne noch als Denkanstoß reinschreiben.

Viele meinen ja, totbrave und desinteressierte Pferde fallen in die Kategorie "erlernte Hilflosigkeit" - das ist ja schon ein hartes Urteil über einen psychischen Zustand, der in Versuchen bisher mit sehr brutalen Mitteln erzeugt worden ist.

Mein Dicker war anfangs auch ein Pferd von der Sorte, den nix so wirklich vom Hocker gehauen hat. Er hat alles brav mit sich machen lassen. War nicht schreckhaft und echt total fügsam.
Im Laufe der Zeit hat sich das gewandelt. Je mehr Kraft durch Training er bekam, desto wacher wurde er. Plötzlich zeigte er Widersetzlichkeit oder eigene Initiative.
Ich kenne seine Vorgeschichte nicht so genau, aber er durfte im letzten Jahr bei der Vorbesi eigentlich nur Pferd sein. Sagen wir es mal so - er wurde vernachlässigt. Es wurde nix mit ihm gemacht, er baute Muskeln ab und musste vermutlich auch viel hungern.

Der Zustand war keine erlernte Hilflosigkeit sondern einfach körperliche und geistige Schwäche. Er wurde ja nicht gefordert - also war jedwede geistige Anstrengung plötzlich wahnsinnig viel für den jungen Kerl. Mit dem richtigen Futter und aufgepäppelt blühte er auf.
Und ich denke, so gehts vielen Pferden, die zwar optisch gut aussehen, aber an und für sich geistig verhungern. Weil entweder ständig die selben Lektionen gebüffelt werden, man im Gelände grundsätzlich nur die eine Runde schlappt, wo es nicht viel Neues zu gucken gibt, usw. usf...

Ich hab auch festgestellt, je weiter wir uns reiterlich entwickeln, desto mehr fordert er von mir auch Korrektheit. Anfangs hat er jeden Reitfehler verziehen... Naja - sagen wir es so - er kannte nur "drücken" und "ziehen". Also hat er rumgehampel auf sich eher stoisch ertragen. Lust hatte er sowieso keine.
Das hat sich mit fortschreitender Ausbildung grundlegend geändert.

Die Vorbesi war vor einigen Wochen da und war erstaunt wie sehr sich das Pferd optisch und vom Charakter her gewandelt hatte.
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Sanojlea
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Re: Erlernte Hilflosigkeit

Beitrag von Sanojlea »

Ich meine das man erlernte Hilflosigkeit auch noch an einem bestimmten Verhalten von einem "braven" Pferd das einfach wenig bis kein Mitspracherecht kennt unterscheiden kann:
An dem "sich ergeben".
Ich kenne ein paar "brave" Pferde, die wirken oft sehr gelangweilt, machen halt mit und erwarten nicht viel, das Feuer fehlt eindeutig im Umgang mit dem Mensch, in der Herde sind sie aber ganz normal. Ausserdem sagen sie durchaus deutlich ihre meinung wenn sie keinen Bock haben, oder grasen unter Anfängern z.B. mal.
Und dann kenne ich Mimi. Mimi ist eine etwa 20 jährige Shettystute, es ist bekannt das sie beim Vorbesitzer sehr hart angefasst wurde. Mimis Blick ist immer stumpf, in der Herde verhält sie sich zwar so weit normal, betreibt auch Fellpflege ect. aber so wirklich lebensfroh sieht man sie kaum. Wenn man mit einem Halfter auf Mimi zugeht dann läuft sie weg! Intressant wird es jedoch wenn man sie eingeholt hat, oder in eine Ecke gestellt: Sobald man an ihr dran steht, z.b. wenn ein 4 jähriges Kind den Arm um ihre Brust legt, oder Jemand die Hand vor sie hält, versteinert sie! Man kann sie quasie mit imaginären Fesseln binden und so einfangen. Das aufhalftern ist dann nie ein Problem und danach kann man mit ihr wirklich machen was man will. :(
Mimi ist für mich das Beispiel für erlernte Hilflosigkeit, vorallem ihre Augen wenn man sie dann holt könen einen zum weinen bringen. Ich hab das natürlich alles mit viel Liebe gemacht, hab ihr was mitgebracht und so weiter, aber das alles kommt gegen Jahre des Missbrauchs einfach nicht an. Von der Besitzerin wird sie freundlich behandelt, aber eben im Schulbetrieb benutzt.
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Re: Erlernte Hilflosigkeit

Beitrag von brexi »

kolyma hat geschrieben:Ich denke immer, im Zusammenleben von Spezies gibt es Regeln. Und wenn zwei Wesen miteinander Regeln aufstellen, dann kann man sich innerhalb dieses Regelwerkes frei bewegen. So ist auch Kreativität möglich.

...

Ich denke so ist es auch mit unseren Pferden. Ich kann Erfolgserlebnisse nur dann garantieren, wenn ich Möglichkeiten schaffe, dass sie erreicht werden können.

...
Danke :-) :-d
Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein....
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Hina_DK
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Re: Erlernte Hilflosigkeit

Beitrag von Hina_DK »

Manche Pferde leben auch einfach nur durch nicht gerade optimale Fütterung total untertourig. Eigenständigkeit kostet sie Energie, die sie sparen. An den Tieren hat niemand was durch bestimmte Erziehungsmethoden versaut. Nach einer Futterumstellung sind die plötzlich ganz da. Man muss wirklich sehr vorsichtig mit den Einschätzungen sein, woher irgendwas kommt. Auch Pferde haben unterschiedliche Charaktere und manchmal können sogar zwei Selen in einer Brust sein. Mein Reddi ist auch so ein total autonomes Pferd. Bei der Bodenarbeit und beim Reiten sagt er einem sehr deutlich bescheid, was er zu allem meint. Am Anbindeplatz ist er der große Faxenclown und beim Führen von A nach B hat man das Gefühl, man ist mit einem Pferd unterwegs, was überhaupt keine Meinung hat.
Viele Grüße
Hina

Probiers mal mit Gemütlichkeit
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Heupferdchen
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Re: Erlernte Hilflosigkeit

Beitrag von Heupferdchen »

Habt ihr beobachtet, dass solche Reaktionen pferdetypabhängig sind - also bestimmte Pferde eher in ein solches Schema verfallen als andere?

Ich kenne einige Tinker und auch einen Kaltblüter, die solche Tendenzen zeigen. Insgesamt Tiere, die bei Gefahr eher dazu neigen, zu 'erstarren'. Häufig eher langsam lernende, geistig unflexiblere Tiere. Beim KB muss ich fast lächeln, wenn ich den sehe, stehen Körpermasse und Persönlichkeit in einem so krassen Missverhältnis.

Bei den Tinkern kenne ich eigentlich nur zwei Typen: Den, der gelernt hat, seine Masse entsprechend einzusetzen und den Gewalt zum Angriff animiert. Und das Schnecken-Tinkerchen, das erstarrt (wie im Artikel beschrieben). Sind jetzt die Iren alle Tierquäler?

Ich denke nicht - möglicherweise rutschen Tinker schneller in die EH als andere Rassen. Und - leider ist Einschüchterung immer noch legitimiertes 'Erziehungsmittel'.
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