Da ich per PN gefragt wurde, ob ich das doch noch erklären kann, schreibe ich hier mal ein paar Gedanken dazu auf. Für wen das nix ist, der kann es ja einfach ignorieren. Ich schreibe einfach mal ganz kleinschrittig wie ich vorgehe, wenn das Pferd wirklich große Angst hat. Ist es weniger ängstlich sondern nur ein kleines bisschen unsicher, kann man sicherlich einiges davon abkürzen.Romy hat geschrieben:Oder soll es eher lernen, dass es solche Situationen auch ganz allein meistern kann, ohne die Unterstützung seines Freundes - oder dass es für es selbst vielleicht sogar besser ist, wenn es das alleine schafft?
Das Prinzip beruht darauf, dass Annäherung an eine Gefahr für das Pferd etwas sein soll, das es kann und darf, nichts etwas, das es muss. Das mache ich deshalb, weil mein Ziel bei der ganzen Sache ist, dass mein Pferd gruselige Dinge als eine Herausforderung ansieht, die es sich lohnt zu meistern. Deshalb versuche ich nicht, das Pferd aktiv dazu zu bringen, da hin zu gehen, sondern selbst einfach daran interessiert zu sein. Das Pferd darf dann gern mitmachen.
Zuerst würde ich vom Boden aus beginnen. Sobald das Pferd beim Ausritt vor einer Gefahr stehen bleibt, würde ich absteigen, dem Pferd eine Belohnung geben ("Danke, dass du mich gewarnt hast und für unsere Sicherheit sorgst!") und erstmal überhaupt keine Anstalten machen, zu dem Gegenstand hin zu gehen. Einfach weil ich jeglichen Druck dort hinzugehen vermeiden möchte, und sei es nur der psychische Druck, mir folgen zu wollen. Das einzige was ich tue ist dafür sorgen, dass das Pferd nicht ganz wegrennt, also zum Beispiel nicht weiter als die Länge meiner Longierleine es zulässt. Auf diese Weise warte ich einfach so lange, bis das Pferd innerhalb des Rahmens, den die Leine ihm lässt, einigermaßen ruhig ist.
Währenddessen fokussiere ich selbst interessiert auf das Objekt, aber wiederum so, dass es MEIN Interesse ist und kein Versuch, das Pferd dort hin zu bewegen. Oft wird geraten, dass der Mensch die Gefahr ignoriert, um so dem Pferd zu vermitteln, dass es nichts Besonderes ist. Wenn ich mich aber in das Pferd hineinversetze und mir zum Beispiel vorstelle ich sei im Dschungel und würde dort einen Tiger sehen, dann würde es mich ganz sicher nicht beruhigen, wenn mein Dschungelführer den Tiger nicht bemerkt oder nicht ernst nimmt. Ich würde daraus schließen, dass ich sicherer bin, wenn ich selbst aufpasse, anstatt mich auf diese offensichtlich blinde Person zu verlassen. Ganz genau dieses Gefühl möchte ich meinem Pferd nicht vermitteln. Dieses Achtsamsein des Menschen allein kann schon riesengroße Effekte haben (es gibt dazu einen sehr berührenden Erfahrungsbericht von jemandem, den ich auf Wunsch gern als PN versenden kann).
Sobald die ganz große Panik des Pferdes vorbei ist, wird es sich früher oder später dem Objekt nähern. Ich belohne dabei relativ passiv jeden Schritt, ohne aber zu versuchen, die Annäherungsversuche aktiv vom Pferd zu erfragen. Nun reagieren ja Pferde sehr unterschiedlich auf Gefahren, einige sind von Natur aus eher explorativ und andere neigen dazu, bei Angst einfach abzuschalten und dann nur noch rumzustehen als seien sie eingeschlafen. Gerade bei letzteren Pferden hilft es meiner Erfahrung nach sehr, wenn ich als Mensch völlig passiv bin. Schon ein freundliches Animieren mit Lob und Leckerlis kann das Pferd ausschalten. Bei diesen Pferden schaue ich dann irgendwo in die Ferne und richte keinerlei Aufmerksamkeit auf das Pferd, auch nicht, wenn es sich nähert. Ich halte die Leckerlis einfach passiv hin und das Pferd kann sie sich abholen, wobei ich ganz beiläufig mich und meine Leckerlihand näher und näher zur Gefahr hin positioniere. Weicht das Pferd zurück, gehe ich ebenso passiv mit. Eine detaillierte Beschreibung mit Videos gibt es hier.
Der Stand ist jetzt also der eines Pferdes, das aktiv und aus eigener Initiative versucht, sich der Gefahr zu nähern. Da ich ja wie vorab beschrieben relativ passiv bin, wird es vielleicht sogar schon vorausgehen, sollte das aber nicht der Fall sein, dann gehe ich selbst zum gefährlichen Gegenstand und beschäftige mich mit diesem, zum Beispiel indem ich ihn anfasse oder vorsichtig dagegen trete. Jede Berührung des Gegenstandes durch das Pferd belohne ich sehr enthusiastisch, so dass der Gegenstand ein Target wird und das Pferd lernt, dass es spezifisch dafür belohnt wird, diesen mit der Nase oder dem Huf zu berühren. Tue ich das bei allen möglichen Gegenständen, so lernt das Pferd früher oder später, dass das Explorieren solcher Gegenstände belohnend ist und es wird aktiv nach ihnen suchen, um sie zu berühren und dafür belohnt zu werden. Dabei muss man natürlich ein bisschen aufpassen, dass dieses Verhalten nicht selbst zur Gefahr wird - eine Freundin von mir hat sich auf diese Weise zum Beispiel ein Pferd herangezogen, das dann irgendwann zu jedem Traktor hinrennen wollte, egal ob stehend oder fahrend, um seine Nase dagegen zu drücken.
Innerhalb dieses Annäherungsspiels kann ich dann auch noch variieren, mit welcher Intensität und Geschwindigkeit das Pferd das tut. So hat zum Beispiel eine andere Freundin von mir immer ihr Pferd belohnt, wenn es einen geworfenen Ball zuerst berührte, aber sich anstatt dessen selbst mit einem Möhrenstück belohnt, wenn sie schneller war, so dass das ganze zu einem richtigen Wettlauf wurde. Ich mache das manchmal so, wenn ich mit mehreren meiner Pferde gleichzeitig trainiere: Wer zuerst am Ball ist, bekommt die Belohnung. Das kann man sicherlich auf die Situation mit dem ängstlichen Pferd und dem Beschützerpferd im Gelände übertragen.
Nun habe ich ganz viel über Annäherungen an Gefahren am Boden geschrieben, aber noch nichts übers Reiten. Das ist deshalb so, weil es kaum noch einen Unterschied macht, wenn das Pferd das Prinzip der aktiven Annäherung an die Gefahr erstmal verinnerlicht hat. Zumindest bei den Pferden die ich kenne ist der große Unterschied zwischen Reiten und Geführtwerden im Umgang mit Gefahren der, dass vom Boden aus der Mensch die aktive Rolle einnimmt und das Pferd nur noch folgen muss, wogegen es beim Reiten plötzlich auf sich allein gestellt ist und vielleicht sogar noch von hinten (also vom Reiter) Druck bekommt. Wenn aber schon vom Boden aus das Pferd es ist, dessen eigenständige Aktivität in Richtung der Gefahr belohnt wird, dann muss ich als Mensch beim Reiten eigentlich nur noch dasselbe machen: passiv bleiben und selbständige Annäherung belohnen.
Wenn das Pferd in solchen Situationen rückwärts rennt, dann würde ich nicht am Symptom arbeiten - also am Rückwärtsrennen - sondern viel grundlegender an der Bewertung der Situation ansetzen, also daran, dass gefährliche Dinge toll sind, weil sich eine Annäherung immer lohnt. Natürlich ist es hier ganz genau so wie beim Menschen: Wenn mir jemand vermitteln will, dass etwas toll ist, dann erscheint mir das weniger glaubwürdig, wenn er mich mit Druck dorthin bewegen muss. Kann gut sein, dass sich das "Rittigkeitsproblem" im Sinne von "Ich muss auf die Anweisungen hören, egal was ich davon halte" nicht löst. Meine Interaktion mit Pferden fühlt sich allerdings wesentlich sicherer an, seit die Pferde wissen, dass sie nicht gezwungen werden, sich Gefahren zu nähern, sondern das Gefühl haben, dass sie immer einfach stehenbleiben oder bei Bedarf ein Stück weit davon weg können. Paradoxerweise ist dadurch fast jedes Bedürfnis, sich tatsächlich zu entziehen, verschwunden.