Dominanz - und Relevanz dieses Konzeptes

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Sheitana
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Re: Dominanz - und Relevanz dieses Konzeptes

Beitrag von Sheitana »

Lottehüh hat geschrieben:Trotzdem hat sie keine Lust, einen höheren Rang in der Herde einzunehmen.
Ich glaube aber nicht, dass das etwas mit Dominanz oder fehlender Dominanz zu tun hat.

Nicht jedes Pferd strebt danach Chef zu sein... Und nicht jedes Pferd, das ranghoch ist ist gleich dominant gegenüber dem Menschen... Ich beschreibe zur Verdeutlichung mal die (Ex-)Mitglieder unserer Herde.

Bis vor Kurzem hatten wir einen Wallach in der Herde. Er war lange Hengst und war immer und sofort unangefochten Chef in jeder Herde. Auch in seiner Neuen. Dabei beschützt er die Herde und sorgt dafür, dass es keinen Streit gibt. Er ist höchst dominant und setzt das in der Herde auch durch (wenn auch IMMER ohne Schlagen und Beißen. Er ist einfach so souverän, dass der das nicht nötig hat). Er ist wirklich immer nach kürzester Zeit Chef, auch bei Herden, wo die Chefs ihre Position eigentlich verteidigen wollen würden.
Dem Menschen gegenüber ist er höchst vorsichtig, er weicht lieber einmal zuviel als zu wenig, würde nie Rempeln oder Überholen, ist höchst zuvorkommend und schmeichelnd. Würde man ihn anschreien würde man ihn (aufgrund seiner Vergangenheit) in Todesangst versetzen.
Zum Ende hin war er soweit, dass er auch beim Menschen - immer noch höchst schmeichelhaft - seine Dominanz kund tat, er war Meister im Leckerlies erbetteln... :P Dennoch hätte ihn niemand als dominant eingeschätzt.

In unserer Herde steht noch eine alte Tinkerstute, irgendwas Ü20. Sie hat und hatte nie den Drang Chef zu sein. Auch sie würde ich nach o.g. Definition als dominant einschätzen. Sie weiß was sie will und wo sie steht und ist auch durchaus bereit, ihre Wünsche gegen den Menschen durchzusetzen, auch vehement wenn nötig. Trotzdem steht sie in der Herde nicht sonderlich hoch.
Sie hat in der Zeit als die Leitstute beim Hengst war die Führung übernommen und den Jungpferden damit Sicherheit gegeben. Nicht, weil sie unbedingt wollte, aber anscheinend sah sie es als ihre Aufgabe an während der Zeit, wo die Leitstute fehlte. Als diese zurück kam trat sie sofort wieder von diesem Posten zurück.

Die Leitstute selbst würde man vermutlich nur bedingt als dominant einschätzen. Sie kann durchaus auch ihren Kopf vehement gegen den Menschen durchsetzen, hat das aber einfach nicht nötig. Wir kommunizieren auf einer Ebene, die das einfach nicht nötig macht. Zu Kindern ist sie ein Lamm und auch sonst in der Regel zu Menschen nett. Erwartet aber von denen, die mit Pferden umgehen bzw. reiten können durchaus Korrektheit.

Meine Jungstute, Tochter der Leitstute ist das, was ganz viele Reiter wohl als dominantes Miststück bezeichnen würde. Ich bin sicher, dass sie in falschen Händen Beißen, Treten und Steigen und gnadenlos ihren Kopf gegen den Menschen durchsetzen würde. Im Grunde ist sie nicht viel anders als ihre Mutter, aber sie ist erst im besten Teeniealter, strotzt nur so vor Selbstbewusstsein und "was kostet die Welt" und hat ihr Leben lang gelernt, dass sie durchaus auch ihre Rechte hat.

Im Grunde ist auch die Rangstruktur gar nicht immer so fest. Es ist bei uns deutlich, dass die Leitstute ebendiese ist und die Herde führt. Heißt aber nicht, dass sie nicht auf mal aus dem Weg geht, wenn z.B. eines der Jungpferde spielen will und sie darauf keine Lust hat. Oder wenn jemand Anders unbedingt der Meinung ist DA schmeckt das Heu jetzt besser...

Und ich denke, jetzt kommen wir an einen weiteren wichtigen Punkt:

Entscheidend, ob ein Pferd dominant gegenüber dem Menschen ist oder nicht ist doch letztlich die Haltung und der Umgang.

Die Tinkerstute z.B. war nur sehr schwer zu führen in ihrem alten Stall. Ganz oft riss sie sich los und rannte zum nächsten Grün. Seit sie bei uns in der Herde ihren festen Platz gefunden hat und ihre Ruhe ist sie wie ausgewechselt. Auch die Besitzerin ist angekommen und dadurch natürlich auch anders in ihrer Einstellung.

Ich selbst halte mich für einen Menschen, der in gewisser Weise doch recht strenge Regeln aufstellt im Umgang mit dem Pferd. So erwarte ich im Umgang schon viele Dinge, die einfach sein müssen. Trotzdem ist das Verhältnis zu meinen Pferden vor Allem durch Freundschaft geprägt. So haben wir z.B. keinerlei Probleme im Umgang miteinander, trotz nach landlaufiger Meinung äußerst dominanter Pferde, während andere im Stall sich immer wieder mit einfachsten Dingen "quälen" müssen.
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Re: Dominanz - und Relevanz dieses Konzeptes

Beitrag von ehem User »

Lottehüh hat geschrieben:Würdet ihr dann unterscheiden - es gibt eine Dominanz dem Menschen gegenüber und eine Dominanz den Pferden gegeüber? Das würde für mich eigentlich keinen Sinn machen - entweder ich bin der Typ "dominant" oder eben nicht.
ich glaube schon, das man da unterscheiden kann. pferde und menschen gehören ja nicht der gleichen art an und unterscheiden sich ja in ihren verhaltensweisen. wir menschen haben andere umgangsformen als pferde sie haben. wir drohen weder mit angelegten ohren noch rempeln wir unser gegenüber an. im idealfall klären wir probleme mir worten.

als beispiel: ein pferd, das durch den menschen nicht gelernt hat im pferd-mensch-taem sich so und so zu verhalten (am strick zu folgen, nicht zu drohen, rempeln, beißen, etc) muß dadurch in der herde keine probleme haben. in der herde sollte es die pferdespielregeln kennen und ordnet sich seiner position entsprechend unter. wenn es nachfragt, wird ihn jemand zurechtweisen.

ein pferd, was in der herde ranghoch ist wird vielleicht länger brauchen um die menschlichen spielregeln zu beachten. vielleicht auch nicht wenn es souverän genug ist.

meist ist es doch so, daß pferde als dominat dargestellt werden, weil sie nicht das tun, was von ihnen verlangt wird. wenn sie sich wehren auf den hänger zu gehen, sich losreißen usw wird angst und streß mit dominaz gleichgestellt oder sogar verwechselt.
für mich ist dominantes verhalten, getreu dem duden, etwas beherrschen oder bestimmen zu wollen (z.b. mich aus der box zu jagen, über die weide zu treiben, mir den weg abzuschneiden). ich kenne kein pferd was sich so verhält. und das thema dominanz spielt für mich im umgang mit meinen pferden keine rolle. erziehung und vertrauen hingegen eine sehr große. in unserer beziehung darf jeder kontrolle bewahren. wenn sie, aus welchen gründen auch immer, keine lust haben heute durch den wassergraben zu gehen, ist das ok für mich.
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Sheitana
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Re: Dominanz - und Relevanz dieses Konzeptes

Beitrag von Sheitana »

abby hat geschrieben:meist ist es doch so, daß pferde als dominat dargestellt werden, weil sie nicht das tun, was von ihnen verlangt wird. wenn sie sich wehren auf den hänger zu gehen, sich losreißen usw wird angst und streß mit dominaz gleichgestellt oder sogar verwechselt.
Wir hatten früher ein Pony im Stall, mit dem die Kids nicht klar kamen. Es zog sie am Strick durch die Landschaft, trat.... Wir boten an uns ihn mal anzusehen. Es stellte sich heraus, dass er im Grunde null Ahnung hat, was Mensch von ihm möchte.. 5 Mal mit ihm was gemacht, ihm erklärt, was von ihm verlangt wird und er war das absolut liebste Kinderpony.
abby hat geschrieben: für mich ist dominantes verhalten, getreu dem duden, etwas beherrschen oder bestimmen zu wollen (z.b. mich aus der box zu jagen, über die weide zu treiben, mir den weg abzuschneiden). ich kenne kein pferd was sich so verhält.
Ich kenne eine Menge Pferde die das tun. Dafür braucht man sich im Grunde nur mal in den Reitställen umzuschauen. Wieviele Menschen können ihr Pferd z.B. am losen Strick führen? Die Wenigstens. Da wird dann drauf beharrt, dass das Pferd in Position xy läuft und sie keinen mm vor oder zurück bewegt, der Strick ist gespannt... Die Pferde rempeln den Menschen an, schieben einen zur Seite um aus der Box zu rennen. Bis hin dazu, das mit angelegten Ohren oder sogar gebleckten Zähnen der Mensch von der Weide/aus der Box gejagt wird.
Sicherlich ist dafür kein dominantes Verhalten im Sinne des Dudens ausschlaggebend, sondern immer menschliche Fehler, aber das gibt es durchaus
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Re: Dominanz - und Relevanz dieses Konzeptes

Beitrag von Wallinka »

und dann ist wieder die Frage, ob dieses Verhalten wirklich Dominanz ist oder ob es zB Angstaggression ist.
Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie, was man bekommt.
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Re: Dominanz - und Relevanz dieses Konzeptes

Beitrag von ehem User »

Sheitana hat geschrieben: Die Pferde rempeln den Menschen an, schieben einen zur Seite um aus der Box zu rennen. Bis hin dazu, das mit angelegten Ohren oder sogar gebleckten Zähnen der Mensch von der Weide/aus der Box gejagt wird.
das wäre für mich hochaggressives verhalten. ausgelöst durch frust, schmerz, bewegungsmangel, falsche fütterung etc.
würde man diesen pferden ein artgerechtes leben ermöglichen (ganz einfach ausgedrückt), wieviel aggression bleibt da übrig? und sind diese pferde dominant, wenn sie nicht mehr aggressiv wären?
ich stimme dir natürlich zu, sheitana, es gibt solche pferde. aber ich frage mich sind die alle von natur aus so, oder wurden sie dazu gemacht. ich glaube die anzahl menschlicher fehler und auslöser ist weitaus größer als die anzahl wirklich dominanter pferde.
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Sheitana
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Re: Dominanz - und Relevanz dieses Konzeptes

Beitrag von Sheitana »

abby hat geschrieben: ich glaube die anzahl menschlicher fehler und auslöser ist weitaus größer als die anzahl wirklich dominanter pferde.
Ich gehe sogar soweit, dass ich sage dominante Pferde im Sinne von der Beschreibung, wie es im Duden steht gibt es gar nicht.
Ich glaube nicht, dass Pferde ein anderes Lebewesen "beherrschen" wollen. Sie setzen vielleicht ihren Willen durch, weil sie das für ihr (Über-)Leben für wichtig/besser/nötig halten, aber doch nie mit dem Ansinnen das Gegenüber beherrschen zu wollen.

Ich sehe das Problem ausschließlich beim Menschen und behaupte mal, dass weit über 50% der Pferdebesitzer NICHT in der Lage sind, ihr(e) Pferd(e) zu verstehen und grobe Fehler macht. Entweder man hat Glück und ein nettes Exemplar erwischt, was in sich soweit gefestigt ist, dass es damit umgehen kann oder dem man nicht wichtig ist. Oder man hat "Glück" und ein Exemplar, das abschaltet und alles über sich ergehen lässt. Oder aber man hat eben das Pech (für den Menschen... ;) ), dass Pferd ganz klar sagt "NEIN!"

Das ist übrigens ein Grund, warum Appaloosa oft so verschrien sind. Als ich meine Georgia kaufte wurde mir gesagt "bei dem Vater, die ist nicht ganz richtig im Kopf, dazu noch ein Appaloosa, um Gottes Willen".
Und man hätte das auch meinen können, trat sie doch und ging mit gebleckten Zähnen auf mich los...
Fakt ist aber leider, dass viele Appaloosa noch nicht auf "ich bin brav und ertrage alles, was der Mensch mit mir tut" gezüchtet sind und es daher eben vermehrt zu "Auseinandersetzungen" kommt.
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Re: Dominanz - und Relevanz dieses Konzeptes

Beitrag von ehem User »

Sheitana hat geschrieben:Ich gehe sogar soweit, dass ich sage dominante Pferde im Sinne von der Beschreibung, wie es im Duden steht gibt es gar nicht.
Ich glaube nicht, dass Pferde ein anderes Lebewesen "beherrschen" wollen. Sie setzen vielleicht ihren Willen durch, weil sie das für ihr (Über-)Leben für wichtig/besser/nötig halten, aber doch nie mit dem Ansinnen das Gegenüber beherrschen zu wollen.
da stimme ich absolut mit dir überein. und je länger ich über dieses thema/ wort (dominanz) nachdenke, desto mehr geht mir dieses "mode-thema" (ohne in irgendeiner weise diesen tread in frage zu stellen!!!) auf die nerven. es ist der falsche begriff für ein verbreitetes problem. unfähigkeiten der menschen werden mit dem bösen dominanzproblem der pferde gerechtfertigt. ich finde diese unterstellung haben sie nicht verdient.

ansonsten unterschreibe ich deinen letzten beitrag komplett :)
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Romy
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Re: Dominanz - und Relevanz dieses Konzeptes

Beitrag von Romy »

abby hat geschrieben:und je länger ich über dieses thema/ wort (dominanz) nachdenke, desto mehr geht mir dieses "mode-thema" (ohne in irgendeiner weise diesen tread in frage zu stellen!!!) auf die nerven. es ist der falsche begriff für ein verbreitetes problem.
Ja, aber die Intention meiner Frage war weniger, zu erfahren was Dominanz für euch NICHT ist und welche Fehlinterpretationen es da gibt (ich glaube da sind sich die meisten hier einig und haben das schon etliche Male diskutiert). Anstatt dessen interessiert mich vor allem, was Dominanz für euch dann wirklich ist, wenn ihr überhaupt denkt, dass dieses Konzept für euch in Bezug auf Pferde Sinn macht. Und noch mehr interessieren mich eure Gedanken zu dominantem Verhalten jenseits von Aggression oder Problemsituationen (einfach weil für mich das eine mit dem anderen nur wenig zu tun hat, das aber leider ständig als Paket diskutiert wird). :-)

Danke schonmal für die vielen Antworten. :danke2:
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Sheitana
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Re: Dominanz - und Relevanz dieses Konzeptes

Beitrag von Sheitana »

Ich glaube dann verstehe ich deine Frage nicht :kratz: Meinst du vielleicht, wie wir in Bezug dazu stehen Grenzen zu setzen bzw. dem Pferd zu sagen "wos lang geht"?
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Romy
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Re: Dominanz - und Relevanz dieses Konzeptes

Beitrag von Romy »

Sheitana hat geschrieben:Meinst du vielleicht, wie wir in Bezug dazu stehen Grenzen zu setzen bzw. dem Pferd zu sagen "wos lang geht"?
Ne, das eigentlich eben gerade nicht. Mich interessiert eher, welches Verhalten eure Pferde zeigen, das ihr als dominant empfindet (also konkret: Wie äußert sich für euch Dominanz des Pferdes?), ob ihr das als Problem anseht oder welche positiven Aspekte das für euch vielleicht auch hat. Oder ob eure Interpretation von Verhalten als dominant eure Reaktion auf das Verhalten beeinflusst. Oder ob ihr - angenommen ihr empfindet euer Pferd als dominant - das eher fördern oder reduzieren möchtet, oder aber es einfach so stehen lasst und es für euren Umgang mit dem Pferd keine Rolle spielt. So in die Richtung...
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