"Herdengefühl" auf Distanz?

Moderator: Keshia

ehem User

"Herdengefühl" auf Distanz?

Beitrag von ehem User »

Durch ein Erlebnis beim Spazierengehen mit meiner Araberstute bin ich auf eine Frage gekommen, die mir jetzt im Kopf herumgeistert. Was meint ihr dazu?

Die Situation war: Etwa 100 m Luftlinie von unserer Weide entfernt unten im Dorf stehen zwei uns unbekannte Pferde auf einer Weide, meine beiden können von oben dahingucken, allerdings sind ein paar Häuser dazwischen, das heißt es gibt keinen direkten dauernden Blickkontakt.
Als ich neulich mit meiner oft etwas nervösen Stute da entlangspaziert bin, schossen die beiden fremden Pferde (vor allem das eine) auf uns zu an den Zaun, es gab eine echte Araber-Einlage von meiner Stute (Schweif seeeehr hoch, Nüstern seeeehr weit auf und mächtiges Abschnauben, tänzeln, enorme Spannung ...) - deutlich mehr als bei sonstigen Pferdebegegnungen, die sie schon mal etwas aus der Reserve locken, aber nicht so.
Auf dem Rückweg habe ich mich extra vorher innerlich gewappnet - aber es passierte nix. Beide Parteien waren gänzlich uninteressiert.

Irgendwie hatte ich bei dem ganzen das Gefühl, die "kennen" sich schon und sind jetzt endlich mal körperlich so nah beieinander (trotz Zaun dazwischen), dass sie ihre Rangordnungsverhältnisse "fertig ausloten" können.

Und das ist meine Frage: Gibt es zwischen Pferden, die nicht zu einer Herde gehören, aber räumlich in einer gewissen Nähe stehen, "Herdengefühle" und Rangordnungsfragen?
Habt ihr dazu irgendetwas erlebt oder gelesen?

LG
Lizari
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Lottehüh
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Re: "Herdengefühl" auf Distanz?

Beitrag von Lottehüh »

Also etwas näher ist das bei uns schon, aber wir haben 5 Pferde in 4 Stallteilen, jeder Stallteil ist großzügig für 2 Pferde ausgelegt. Klar, die in der Mitte haben Sicht- und Schnuffelkontakt, aber Stall 1 und Stall 4 sind doch schon ein Stückchen entfernt. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Koppel von Stall 1 in eine komplett andere Richtung geht als die von Stall 4 (die führt quasi ums Haus rum und ist komplett auf der anderen Seite). Wenn ein Pferd sich aufregt, ist es doch so, dass ALLE zusammenhalten, also wenn sich in Stall 4 die Stütchen aus irgendeinem Grund wirklich aufgeregt haben, haben Stall 1-3 das auch getan. Insofern zeigt sich mir immer wieder, dass die Pferde - trotz der räumlichen Trennung - EINE Gemeinschaft sind.
Das Leben schenkt Dir ein Pferd - reiten musst Du schon selber.
:schritt:
ehem User

Re: "Herdengefühl" auf Distanz?

Beitrag von ehem User »

:kratz:

Unser Reitplatz wird von zwei Reitern vom Nachbarhof auf ihren Lippizanern mitbenutzt. Nelli ist es schnurzegal dort vorbei zu gehen, wenn ihre Herdenmitglieder auf diesem Platz sind. Die können dort traben und galoppieren, sie guckt dann kurz und gut ist es.

Sind aber die beiden Lippizaner auf dem Platz, dann dreht sie fast durch. Ich habe regelrecht das Gefühl, dass sie ihr Angst machen. Sie guckt dann so panisch dort hin, als wäre der Teufel hinter ihr her. Einmal ist sie mir daher auf dem Weg zur Weide ohne Unterlass gestiegen und wild um mich herum gesprungen. Und besonders schlimm ist das, wenn diese im Galopp gearbeitet werden. Der Galopp wirkt aber auch, als wären die Pferde selbst auf der Flucht - nicht schön anzugucken. :?

Manchmal frage ich mich, ob Nelli deren Spannung auffängt und denkt, da oben auf dem Platz passiert was ganz Schlimmes :panik: Kommen die Lippizaner nämlich reitenderweise am langen Zügel einfach nur an der Wiese vorbei, dann gibt es kein außerordentliche Neugierde oder Aktionen beiderseits.

Ich denke schon, dass es da eine Verbindung unter den Tieren gibt. Oder eine gewisse Empathie.
Nucades
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Re: "Herdengefühl" auf Distanz?

Beitrag von Nucades »

Samtnase hat geschrieben:Ich denke schon, dass es da eine Verbindung unter den Tieren gibt. Oder eine gewisse Empathie.
Davon bin ich auch überzeugt. Mein Pferd, selbst Rappschecke, begrüßt andere Schecken immer aufs Herzlichste mit viel Wiehern, Blubbern, Schauen und auch Präsentieren (vor allem, wenn es Mädels sind ;) ). Dabei ist es egal, ob der andere Schecke zu uns auf den Hof kommt oder wir ihm an dessen Koppel o.ä. begegnen. Ich bin mir sicher, dass mein Pferd Schecken für "seine Leute" hält, da er mit anderen Schecken aufgewachsen ist.
Bei uns gibt es auch noch einen außenliegenden Stall, die Pferde, die dort stehen, werden regelmäßig bei uns in der RH geritten. Da habe ich das Gefühl, dass man sich kennt, aber an ein Herdengefühl glaube ich in diesem Fall nicht. Das gilt doch eher nur für die, die man jeden Tag sieht.
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Cashew
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Re: "Herdengefühl" auf Distanz?

Beitrag von Cashew »

In unserem alten Stall standen 13 Pferde, verteilt auf 5 Herden. Zusätzlich noch etliche andere Pferde in der Nachbarschaft. Einige dieser Herden standen zeitweise in Sichtweite, andere nicht. Ich denke schon, dass die Pferde sich "kannten" und auch eine Art übergreifendes Herdengefühl hatten. Meine RB erzählte immer, dass die Zeitzyklen der unterschiedlichen Herden sich aneinander anpassten, zB. die Schlaf- und Spielzeiten - unabhängig davon, ob sie sich sahen oder nicht.
Viele Grüße,
Sarah und Co


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Re: "Herdengefühl" auf Distanz?

Beitrag von ehem User »

Dass Pferde auch über eine gewisse Distanz in Verbindung sind, davon bin ich auch absolut überzeugt. Das schaffen ja sogar wir Menschen ;) .
Eure Beispiele für Pferde, die sozusagen zum selben "Stall" gehören, aber auf verschiedene Herden und Weiden aufgeteilt sind, rufen in mir "systemische Bilder" auf. Dass es da zeitliche Übereinstimmungen etc. gibt, wundert mich nicht, sie sind eben eine "Familie".

Jetzt hab ich überlegt, dass unser Fallbeispiel vielleicht bedeuten könnte, dass es nicht unbedingt ein "Herdengefühl" war, aber trotzdem ein Abklären der Rangordnung? Oder einfach ein spannendes Verhältnis zwischen diesen Pferden aufgrund von wesensmäßigen Resonanzen, und das hatten sie vorher über Luftlinie schon gemerkt?
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Re: "Herdengefühl" auf Distanz?

Beitrag von Cashew »

Lizari hat geschrieben:Dass Pferde auch über eine gewisse Distanz in Verbindung sind, davon bin ich auch absolut überzeugt. Das schaffen ja sogar wir Menschen ;) .
Eure Beispiele für Pferde, die sozusagen zum selben "Stall" gehören, aber auf verschiedene Herden und Weiden aufgeteilt sind, rufen in mir "systemische Bilder" auf. Dass es da zeitliche Übereinstimmungen etc. gibt, wundert mich nicht, sie sind eben eine "Familie".

Jetzt hab ich überlegt, dass unser Fallbeispiel vielleicht bedeuten könnte, dass es nicht unbedingt ein "Herdengefühl" war, aber trotzdem ein Abklären der Rangordnung? Oder einfach ein spannendes Verhältnis zwischen diesen Pferden aufgrund von wesensmäßigen Resonanzen, und das hatten sie vorher über Luftlinie schon gemerkt?
Wer weiß? Ich kann mir gut vorstellen, dass es auch unter Pferden Konstellationen gibt, die eher Funken werfen als andere. Und Pferde merken das bestimmt viel feiner und über weitere Distanzen als wir.
Viele Grüße,
Sarah und Co


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Hina_DK
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Re: "Herdengefühl" auf Distanz?

Beitrag von Hina_DK »

Ich bin auch davon überzeugt.

Reddi stand ja auf dem Nachbarhof. Ich bin ihn schon einige Monate geritten, bevor er zu uns kam und bin natürlich auch regelmäßig mit ihm an unserer Koppel vorbei geritten, habe dann immer kurz angehalten und die Pferde haben sich alle begrüßt. Meist standen unsere anderen dann schon da und warteten auf uns. Als Reddi dann zu uns kam, war es überhaupt nicht mehr nötig, ihn in üblicher Art und Weise langsam und mit Bedacht einzugliedern. Koppel auf, Pferd zu den anderen reingestellt, keine Sekunde irgendein Gehabe und Gerenne von irgendeinem unserer Pferde. Die zogen alle sofort einträchtig los, als wären sie schon immer zusammen und ließen sich gemeinsam das Heu schmecken und Tigull übergab Reddi sofort ohne igendeine Zeremonie den Chefposten. Die beiden sind vom ersten gemeinsamen Tag an ein Herz und eine Sele. Das war ein riesiger Unterschied, als Josefine, Luca, Tigull und später auch noch Shelly zusammenzubringen.
Viele Grüße
Hina

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Re: "Herdengefühl" auf Distanz?

Beitrag von ehem User »

Das ist ja ein interessantes Beispiel. Dann ist eben doch Herdengefühl dabei, wenn sie über Distanzen hinweg ihre Rangordnung klären.

Das finde ich einen ziemlich faszinierenden Gedanken. Meine Stute steht so oft oben am Rand ihrer Weide und blickt und horcht und riecht hinunter ins Tal, wo verschiedene Pferde leben. Teils welche, die bleiben, teils welche, die nur eine Weile da sind, weil wir einen Pferdehändler im Dorf haben. Und wenn sie nun solche "Fernbeziehungen" unterhält, ist es wie in Familiensystemen. Dann hat es auch Auswirkungen auf sie, wenn mit den anderen Pferden etwas passiert. Vielleicht gerade, wenn der Händler welche verlädt, um sie wegzubringen, oder die Nachbarin mit ihrem einen Pony ausreitet und das andere allein warten muss etc. etc. Unruhe überträgt sich von dort unten zu uns hoch, ohne dass bei uns etwas Besonderes passiert ...

Und wer weiß, bis zu welchen Distanzen Pferde auf diese Art kommunizieren und sich verbinden?
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Hina_DK
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Re: "Herdengefühl" auf Distanz?

Beitrag von Hina_DK »

Ich bin sogar auch der Überzeugung, dass das "Herdenleben" auch im Nachhinein noch weiterfunktioniert. Da kann man natürlich sagen, dass die Pferde sich aber auch wirklich kennen. Tigull stand ja auch, bevor er zu uns kam, vorher für einige Zeit auf dem Nachbarhof zur Grundausbildung, denn er kannte ja mit 4 Jahren noch nichtmal ein Halfter. Dort fanden wir ihn und kauften ihn auch. Damals war aber Reddi noch nicht dort. Als Tigull uns mal entwischte, rannte er schnurstacks zum Nachbarhof und lud sich da zum Abendessen ein. Und Reddi weiß ganz genau, wann Nachbarin mit welchem Pferd trainiert. Wenn Duna, seine Exgeliebte ;) dran ist und das ist nicht etwa regelmäßig zu bestimmten Zeiten, rennt er auf unseren Hügel, von dem er sehr gut fast einen Kilometer Strecke überblicken kann und wartet auf sie, bis sie wieder seinem Blick und Gehör entschwunden ist. Bei den anderen Pferden dort, schaut er auch, hat es aber nicht so eilig, auf den Hügel zu kommen oder spitzt auch manchmal einfach nur die Ohren, um zu hören, wer da wohl gerade unterwegs ist und mümmelt lieber sein Heu weiter.
Viele Grüße
Hina

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