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Mensch lernt reiten...

Verfasst: So 28. Apr 2013, 17:29
von ehem User
sagt mal, ist irgend jemandem von euch schon mal der gedanke gekommen, dass wir zwar unsere pferde (oder hunde oder...) nach bestem wissen und gewissen trainieren, alles in handliche, verständliche, motivierende lernschritte aufsplitten und auch sonst die möglichst optimalen voraussetzungen schaffen, dass lernen stattfinden kann - dass wir selbiges für uns aber nicht tun (können)?
ich denke an reitunterricht - reitunterricht, der für menschen so aufgebaut ist, dass optimales lernen stattfinden kann. menschen shapen sozusagen :kicher: - wo trifft man das schon?
ich finde, es gibt immer wieder tolle ansätze in der reiterwelt und wenn ich ab und an mal solchen unterricht erfahren oder ein passendes buch lesen durfte, habe ich immer riesige lernschritte gemacht.

ich glaube, es bräuchte letztlich gar nicht so viel hilfe und viele menschen könnten viel "besser" reiten. besser nicht im sinn von turnieren, aber im sinn von leichtigkeit, harmonie und "gesundheit" auf dem passenden level. ich bin überzeugt, es gibt keine lernplateaus! es fehlt dann einfach an der richtigen hilfestellung zur richtigen zeit.

wie seht ihr das?


... anlässlich der lektüre eines buchs, wo ich mich mal wieder über begriffe wie "taktmässig", das pferd "lösen", "zusammenspiel der hilfen" und die vielen "so NICHT"s aufhalte :seufz:

Re: Mensch lernt reiten...

Verfasst: So 28. Apr 2013, 18:17
von ehem User
Was dem Reiter glaube ich immer im Weg steht, ist der Wunsch nach dem Ideal, also dem perfekten Sitz, der perfekten Hilfengebung usw. Der Reiter darf genauso Fehler machen wie unsere Pferde, gerade beim Clickertraining fördert man ja das ausprobieren, was richtig und was falsch ist.
Wenn ich unterrichte, stelle ich immer eine Aufgabe, bspw. einen runden Mittelzirkel reiten. Das klappt meist nicht auf Anhieb, irgendwo hängts immer ;) Häufig an der korrekten Linie, ab und an auch an unsteter Anlehnung. Wenn man nun anfängt, zu korrigieren, ist dem Reiter mmn nicht geholfen. Mein Spruch dann immer: Probiere mal rum und überleg Dir, welche Hilfsmittel Du hast (Gewicht-, Schenkel usw). Die probierst Du jetzt in Ruhe durch und schaust was Dir hilft, ohne sauer zu werden, wenn etwas nicht oder noch schlechter funktioniert. Nach ein paar MInuten ist jeder in der Lage, einen Mittelzirkel zu reiten und häufig waren dass die einzigen "Anweisungen", nämlich einfach sich selbst an dem eigenen Werkzeugkasten zu bedienen.

Ich fand das früher auch immer blöde, "eine Parade ist das Zusammenspiel aller...". Das hilft keinem Anfänger und verunsichert oft auch Reiter, die es eigentlich können.

Also, zusammengefasst, ich sehe dieses Problem auch, leider sind viele RL da etwas eingefahren, vorallem wenn die RS zu selbstständig werden, verdient man auch nichts mehr... :roll:

Re: Mensch lernt reiten...

Verfasst: So 28. Apr 2013, 18:51
von Cate
Da ich ja nur hobbymäßig unterrichte :frech: leiste ich mir den Luxus und versuche in dieser Richtung zu arbeiten.
Mein Ansatz kommt aus Richtung Centered Riding, gemischt mit Körperbewußtsein beim Menschen und ganz viel Fühlen. Da ich oft mit eher änglichen Reitern, Spät- und Wiedereinsteigern zu tun habe, dann das Ganze in (sehr) kleinen Schritten und ganz viel positiver Bestärkung. Macht Spaß! :-)

Re: Mensch lernt reiten...

Verfasst: So 28. Apr 2013, 19:22
von Hina_DK
Ich fand den sehr oft anzutreffenden RU nach 0815-System auch schon immer nicht gerade sinnvoll. Habe also lange nach einer Trainerin gesucht, die vom Grundsatz anders herangeht und habe sie gefunden. Sie ist BB- und Centered Riding-Trainerin, kommt vom Westernreiten und hat viel Gangpferdeerfahrung. Ihr Ansatz hat mir außerordentlich gut gefallen. Ich habe sie niemals sagen hören "Du musst jetzt das so und so und so machen und dann soll dies und das und jenes bei rauskommen." Wir erarbeiten uns alles, in erster Linie sind wir Probierende.

Am krassesten finde ich das ja z.B. immer beim Sitz, wenn dann solange an RS rumkorrigiert wird, bis die zwar wie eine Abbildung in einer Reitlehre der Preußischen Kavallerie aussehen aber vor Steifheit und Verspanntheit alles weh tut und das nicht nur dem Reiter, sondern auch dem Pferd. Wie soll sich da ein Pferd lösen und noch vernünftige Hilfegebung stattfinden? Unser Ansatz ist also den Sitz so zu gestalten, dass Reiten in Hamonie mit dem Pferd möglich wird. Und wenn so ein Reiter dann eben schief ist oder ein Hohlkreuz hat, dann kann ich das nicht mal eben in der Reitstunde wegkorrigieren, der sitzt sowieso in der nächsten Runde, wie immer, dann muss der Reiter eben lernen, mit seinem Problem seinen Körper wazuhrnehmen und seinen eigenen Schwerpunkt finden und den in Einklang mit dem Pferd bringen und sei es, dass es noch so merkwürdig aussieht und so gar nicht an die preußische Kavallerie erinnert ;).

Wir stellen uns eine Aufgabe und versuchen uns ranzutasten. Das Pferd kann immer nur so gut sein, wie es der Reiter nicht dabei stört. Die meisten Reiter sind aber barbarische Störenfriede, besonders wenn sie anfangen, sich in irgendeiner Weise auf dem Pferd zu drappieren, um wie ein Reiter zu sitzen ;). Wir pauken also nicht irgendwelche Lektionen, nach den Vorgaben irgendwelcher Reitlehren, sondern wir erarbeiten uns Harmonie zwischen Pferd und Reiter. Hört der Mensch auf, sein Pferd zu stören, sind einzelne Lektionen im Grunde kein Problem mehr, denn man reitet ja nicht Dinge, die der Anatomie und Biomechanik eines Pferdes widersprechen, sondern man nutzt natürliche Bewegungen des Pferdes und reitet diese bewusst bzw. verstärkt sie durch Training.

Re: Mensch lernt reiten...

Verfasst: So 28. Apr 2013, 20:00
von ehem User
ah, ich sehe, ihr versteht was ich meine :-n

tolle ansätze bis jetzt, ihr sprecht mMn lauter wichtige und richtige dinge an. schade nur, dass das nicht verbeiteter ist...

Re: Mensch lernt reiten...

Verfasst: So 28. Apr 2013, 20:21
von Hina_DK
Ja, so richtig verstehe ich das auch nicht. Es gibt doch nun laudauf, landab überall richtig gute Vorträge, Kurse, Filme, Bücher von Leuten wie z.B. Meyners, Heuschmann usw. Man muss sicher nicht in allen Punkten damit zwangsläufig übereinstimmen aber diese Leute wissen weitaus mehr über Anatomie und Biomechanik von Mensch und Pferd bescheid, als bestimmt 99 % aller RL ;). Wieso werden diese Stimmen nur so selten gehört oder so grundlegend ignoriert ? Sicher, der Mensch war schon immer sehr bequem und nicht jeder Job wird wirklich zur Berufung, wo man sein bestes geben will, sich weiterbildet, auch mal über den Tellerrand schaut. Sieht man ja schon bei den entsprechenden Verbänden in den RL-Ausbildungsrichtlinien ;). Wie viel Käse steht da drin, der jeglichen anatomischen und biomechanischen Gegebenheiten schlichtweg widerspricht. Als das da mal reingekommen ist, wusste man es evtl. noch nicht besser aber wir leben im 21. Jh und nicht im 19. Jh., als die Forschung nicht so extrem gute Möglichkeiten hatte, wie heute. Das muss ja alles nicht dazu führen, dass alle auf die selbe Art und Weise reiten aber Dinge wie CR widersprechen ja nun in keinster Weise irgendeiner Reitweise, das sind Reitweisen unabhängige Dinge.

Wie sagte der Heuschmann mal so treffend "Wenn wir nicht umdenken, holen uns andere vom Pferd". Wir können nur hoffen, dass sich das ein paar RL mehr zu Herzen nehmen.

Re: Mensch lernt reiten...

Verfasst: So 28. Apr 2013, 20:57
von ehem User
oh, nein nein, Hina, das meinte ich nicht. Ich hatte fast mein Leben lang "alternativen" RU und selbst dieser war selten so richtig, richtig gut. Also schon nicht schlecht, aber nicht so, dass ich hätte lernen können wie ich lerne, wenn ich einen RL habe, der wirklich die "wunden Punkte" findet und dann das auch richtig rüberbringen kann.

edit, ups, mein Reiterleben lang, was deutlichst kürzer ist als ich alt bin :kicher:

Re: Mensch lernt reiten...

Verfasst: So 28. Apr 2013, 21:17
von Hina_DK
Ja, wenn der RL zwar gute Ansätze mitbringt, aber Sehen und Didaktik nicht gerade seine Stärken sind, er sich nicht auf die Belange der verschiedensten Reitschüler einstellen kann, dann nutzt das dem Reitschüler auch alles nur sehr bedingt. Man sagt zwar, reiten kann man nur durch reiten lernen aber mir ist es ein viel zu platter Spruch. Es gibt so viele Reiter, die ihr Leben lang geritten sind und man sieht, dass sie trotzdem nicht reiten können. Sie halten sich auf dem Pferd aber sie wissen nicht, was sie tun, weil sie zwar mechanische Abläufe runterspulen aber das Prinzip Ursache : Wirkung nicht durchschaut haben. Und ja, ich bin auch so eine Kandidatin, die sich erst ganz langsam davon zu lösen beginnt. Für mich beginnt reiten im Kopf mit dem Verständnis. Was ich im Kopf nicht begriffen habe, kann ich auf dem Pferd nicht umsetzen.

Re: Mensch lernt reiten...

Verfasst: Mo 29. Apr 2013, 01:17
von Zissa
@Hina_Dk: ich habe leider gerade keine konkrete Vorstellung, was Du unter preußischer Reiterei versteht. Magst Du mir das erklären ?

Re: Mensch lernt reiten...

Verfasst: Mo 29. Apr 2013, 02:20
von Hina_DK
Das ist auch ein wenig ironisch gemeint ;). Sieht man alte Abbildungen, dann sitzen da Reiter wie die Zinnsoldaten kerzengerade auf dem Pferd, Arme und Beine in ganz korrekt gezeichneter und beschriebener Winkelung usw. Solche Abbildungen findet man auch gerne in dem einen oder anderen modernen Buch. Eines haben diese Abbildungen in der Regel fast alle gemeinsam. Die Pferde stehen und Ross und Reiter haben so eine Art "Normgröße". So kann kein Mensch reiten und zu einem unabhängigen Sitz gelangen aber den Reitschlülern wird gerne glauben gemacht, dass es so aussehen müsste. Und so ruft nicht selten der RL durch die Halle: "XYZ, sitz gerade." Und der arme Reitschüler grübelt die ganze Zeit, während der Reitlehrer ihn immer wieder dazu auffordert, wie er eigentlich seinen Körper gerade bekommen soll und so reckt und streckt er sich und der RL ist immer noch nicht zufrieden. Der Reitlehrer hat nämlich schlicht und einfach "aufrecht" mit "gerade" verwechselt. Was aufrecht sitzen bedeutet, darunter kann sich fast jeder etwas vorstellen und das auch bewerkstelligen, ich habe aber noch nie jemanden gesehen, der es fertig gebracht hat, seine Wirbelsäule zu begradigen, so sehr er sich auch abmühte. Das wäre ja auch furchtbar, denn dann ginge jegliche Elastizität flöten ;). Das Problem, vielen Reitschülern wird nicht nachvollziehbar erklärt, worum es überhaupt beim Sitz geht, warum der Reiter eben nicht so wie ein nasser Sack auf dem Pferd hängen soll, ihm wird nicht erklärt, was es mit dem Schwerpunkt des Pferdes und des Reiters auf sich hat und wie der Reiter das in Einklang bringen kann. Er soll einfach nur "gerade" sitzen und basta und das fällt vielen Reitschülern einfach schwer, ein Verständnis dafür aufzubauen und dieser Anweisung dann auch "korrekt" zu folgen. Zudem kommt noch die eigene Wahrnehmung, von aufrecht und schief.

Anderes Beispiel. Der Reitlehrer ruft dem Reitschüler zu, er soll den Blick nach vorne richten und das Kinn hochnehmen, sozusagen Kinn zum Hals in den rechten Winkel bringen. Wie lange wird das wohl funktionieren ? Und erklärt der Reitlehrer dem Reitschüler überhaupt, warum der sich in so eine Haltung, die ihn das Genick vollkommen versteift, brigen soll? Schafft es der Reitlehrer selbst, so eine komplette Lektion durchzureiten ? Ich wette nicht. Der Blick mag vielleicht noch in Fahrtrichtung sein, der Kopf wird in wenigen Sekunden wieder seine natürliche Haltung einnehmen.

So könnte man das ganze auch mit den Armen und den Beinen, Füßen, z.B. das berühmte Problem, dass Reitlehrer sehr gerne Hacken und Absatz als tiefsten Punkt verwechseln, ganz einfach, weil ihnen unterm Strich selbst das Verständnis für einen unabhängigen Sitz fehlt. Aber wie soll da ein Reitschüler etwas nachvollziehen und auch umsetzen können?

Aber der Sitz ist ja nur eines der vielen Dinge, die man beim reiten lernen lernt und so gibt es vieles, wofür der Reitschüler erstmal ein Verständnis aufbauen muss. Das kann er aber nur, wenn er auch die entsprechende Unterstützung seines Reitlehrers erhält. Und genau da liegt das Problem, wie wird unterrichtet. Spult der RL sein immerwährendes Programm runter oder stellt er sich auf auf seinen Reitschüler ein und geht ganz einfach mal davon aus, dass der Reitschlüler auch in die Lage veretzt werden muss, Schritt für Schritt auch zu verstehen, was passiert.

Was ich auch nicht verstehe, warum so wenige Reitlehrer nicht erstmal etwas theoretischen Unterricht mit den Schülern machen und zwar in ruhiger entspannter Atmosphäre. Statt dessen sitzt so ein Anfänger das erste mal auf dem Pferd, hat Herzklopfen, ist sowieso erstmal vollkommen angespannt, weiß nicht, was nun wohl abgehen wird und wird nebenbei noch Empfänger von Anweisungen, die er auch noch befolgen soll. Der Reitschüler wird dabei kaum in der Lage sein, tiefgründige Fragen an seinen Reitlehrer zu stellen und wird letztenlich mehr oder weniger widerspruchslos versuchen, das abzuarbeiten, was ihm aufgegeben wird. Lernt man aber wirklich auf diese Weise reiten ?