Das (natürliche) Herdenleben

Moderator: Stjern

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Ayira
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Das (natürliche) Herdenleben

Beitrag von Ayira »

Mich würde das natürliche Herdenleben beim Pferd interessieren. Gibts hier Experten, die mir darüber etwas sagen können?
Konkret geht es mir um folgendes:

Herdenhierachi, eh klar, jeder hat seine Position. Es gibt die Leitstute, sie geht vorn und führt die Herde zu Nahrung und Wasser. Die Herde folgt ihr bedingungslos, weil sie wissen, sie will ihnen Gutes und am Ziel gibt es etwas, das sie brauchen.
Der Leithengst geht hinten und gibt das Tempo vor. Er deckt seine Stuten und hält seine Herde zusammen.

So. Bezüglich des Hengtes: Hat er noch mehr zu melden, auch im Bezug auf Fohlenerziehung? Oder ist er da einfach außen vor, da es die Aufgabe der Mutterstute ist, ihr Fohlen zu erziehen bzw. erziehen sich die Fohlen im Spiel miteinander auch selbst?

Wie lang wird - bzw. sollte - ein Fohlen von seiner Mutter gesäugt werden, damit es überlebt? Ab wann kann es Futter allein verwerten, um nicht zu verhungern, wenn die Mutter plötzlich weg sein sollte?

Wäre super, wenn mir da jemand ein paar Eindrücke geben könnte. :-D
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Katja1
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Re: Das (natürliche) Herdenleben

Beitrag von Katja1 »

Finde ich auch sehr interessant :gut:
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ehem User

Re: Das (natürliche) Herdenleben

Beitrag von ehem User »

ich finde schon den begriff leithengst irreführend.
es ist der herdenhengst, der hengst eben, der sich das vorrecht erkämpft hat, die entsprechende gruppe von stuten zu decken. er hat sich also eine anzahl von stuten monopolisiert und wird damit beschäftigt sein, erstens rivalen von den stuten und 2. 'seine' stuten von rivalen fernzuhalten
es ist ja nicht so, dass der hengst in einem großen turnier alle rivalen nett besiegt und sämtliche burgfäulein werfen sich ihm dann zu füßen und schwören ihm ewige treue. die stuten würden sich auch mit anderen hengsten paaren, wenn der herdenhegst das nicht verhindert. je nach rahmenbedingungen hat er da schon zu tun.

ich bin nicht sicher, was du mit erziehen meinst. ein fohlen wird in erster linie ja sozialisiert - und zwar in der interaktion mit allen herdenmitgliedern und durch das feedback was es von denen bekommt. je nach alter zunächst natuerlich vor allem durch die mutter, zunehmend dann gleichaltrige, tanten und schwestern, nicht verwandte herdenmitglieder. und klar, wenn ein übermütiges fohlen dem herdenhengst auf die füße hopst, wird es auch von dem feedback bekommen.

dann gibt es die beobachtung, dass ein herdenhengst einen junghendgst, oft sohn, vielleicht auch bruder, toleriert.
von den herden, in denen mein pferd stand, kenne ich durchaus kooperation zwischen nicht verwandten ranghohen wallachen. das kann auch zwischen nicht verwandten hengsten durchaus sinn machen - zu zweit die herde halten und zu 50% vater aller fohlen sein ist besser als allein theoretisch 100% aller fohlen zu zeugen aber die herde zu verlieren, bevor man zum zug kam. oft besteht in der natur aber schon ein verwandtschaftserhältnis

aber die frage, ob der hengst 'in bezug auf fohlenerziehung was zu melden hat' ist schon ziemlich vermenschlichend. ist ja nicht so, dass zwischen pferdeherden unterschiedliche ansichten bestehen, was ein fohlen lernen muss.
ich nehme auch an, so hast du es nicht gemeint, ich weiß bloß nicht, was du da an erziehungspotential in einem wilden fohlen siehst.

übrigens hatte ich neulich mal studien gesucht zum thema aggressives verhalten von hengsten gegen fohlen bis hin zum infantizid - das gibt es unter pferden auch, ist unter huftieren wohl eine große ausnahme - und ist abhängig von der sicherheit der vaterschaft - also je unsicherer die vaterschaft, desto mehr aggressives verhalten gegenüber fohlen durch hengste wird beobachtet
aber das ist ein bisschen OT
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elcaracol
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Re: Das (natürliche) Herdenleben

Beitrag von elcaracol »

Hallo,
also ich dachte bis vor kurzen auch, dass es eine festes Gefüge gibt in einer Gruppe, doch habe ich teilweise etwas anderes beobachtet.
z.B. meine Stute steht mit 1 Stute und 3 Wallchen zusammen. Die beiden Stute bilden eine Clique mit einen Hafiwallach und die 2 Wallache (zufällig Geschwister). Nun wird meine Stute beim fressen von den Hafiwallach weggeschickt, meine Stute schickt einen der 2 Wallache weg und dieser scheucht den Hafi. Also Hafi scheucht Stute, stute scheucht wallach, dieser scheucht hafi... :? Ich finde es spricht gegen eine Rangfolge.
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Sheitana
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Re: Das (natürliche) Herdenleben

Beitrag von Sheitana »

Wobei die von dir beschriebene Herde auch im Grunde nichts mehr mit einem natürlichen Herdenleben zu tun hat...

Bei den Herden bei uns in der Gegend beobachte ich kaum noch richtiges Herdenverhalten. Denn im Grunde sind es alles nur zusammengewürfelte Pferde.

Einzig unsere Pferde stehen in einer Herde, die ich noch als einigermaßen natürlich bezeichnen möchte.

Ein Wallach, der lange Hengst war und sich - bis auf dass er nicht deckt - auch so benimmt, eine Leitstute, eine Jungstute, seit Neuestem noch eine ältere Stute und 2 Jungpferde, Stute (Tochter der Leitstute) und Wallach.

Dort kann man - z.B. wenn ein neues Pferd in die Nähe kommt und auch so - noch natürliche Verhaltensweisen beobachten.
Oder aber damals, als die 2jährige in der Herde geboren wurde.
Aber im Grunde sind auch diese Pferde nur zusammengewürfelt und arrangieren sich in einer alles Andere als natürlichen Umgebung, wenn auch vielleicht noch naturbelassener als in anderen Herden.
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WaldSuse
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Re: Das (natürliche) Herdenleben

Beitrag von WaldSuse »

Da gebe ich dir recht,Sheitana.Wir Menschen packen ohne Rücksicht Pferde zueinander,sie haben kein Mitspracherecht.Natürlicherweise sind Herden oder Rudel Familienverbände,in denen den Elterntieren sehr viel Respekt gezollt wird.Und den berühmten "Leithengst" oder "Leitwolf" ,die mit Gewalt und Unterdrückung "reigieren",gibt es nur in der menschlichen Fantasie.
Und da diese Zusammenwürfelei der Pferde mit natürlicher Herdenhaltung nix mehr zu tun hat,bin ich inzwischen für die Trennung der Geschlechter in der Pferdehaltung.Ist stressfreier.Und reine Junggesellenverbände gibt es auch bei den Wildpferden.Und die Stuten sind auch lieber unter sich und passen gemeinsam auf die Kinder auf,in der freien Wildbahn.
Nicht müde werden,
sondern,
dem Wunder leise,
wie einem Vogel,
die Hand hin halten.
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Re: Das (natürliche) Herdenleben

Beitrag von Sheitana »

Und wenn Wallache dazu, dann welche wie z.B. unseren, der weiß was er da hat und tut... ;) Aber bei ihm wissen wir eben auch, dass ein 2. älterer Wallach wahrscheinlich nicht ginge. Mit dem Jungen klappt es, weil er eben schon als Absetzer (und fast verhungert und damit echt harmlos noch dazu) zu uns kam.
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Hina_DK
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Re: Das (natürliche) Herdenleben

Beitrag von Hina_DK »

Ich finde auch, dass nichtmal mehr annähernd ein natürliches Herdenverhalten möglich ist. Zum einen ist es ja so, dass es doch in den meisten Herden mehr oder weniger oft Ab- und Neuzugänge gibt, zum anderen, dass eine freilebende Herde ja bestimmte Aufgaben verteilt/erfüllt, die sie bei uns als domestizierte Haustiere überhaupt nicht haben. Bei uns zieht keine Herde mehr täglich kilometerweit durch die Gegend auf Futter- und Schutzsuche. Selbst ein Padock Paradies kann das nur im sehr geringen Maße simulieren, weil es da immer nur die selben Wege mit vorgegebenen Stellen für alles mögliche und ohne Gefahren gibt. Es gibt auch keine Kleingruppen bzw. Familienverbände, die sich gelegentlich zu größeren Herden zusammenschließen und dann wieder auseinander gehen. Nicht zuletzt würfeln wir ja auch jede Menge Rassen aus den verschiedensten Urprungsgebieten zusammen. Und auch wenn das alles Pferde sind, so haben verschiedene Rassen dennoch oftmals ihre jeweiligen Eigenheiten, angefangen von verschiedenen Futterbedürfnissen über oft doch auch spezifische Art der Sozialkontakte bis manchmal auch hin zum Umgang untereinander. Wir nehmen darauf keine oder wenig Rücksicht, weil wir es meist gar nicht können. Wir sind gar nicht in der Lage, die Bedingungen für ein natürliches Herdenleben auch nur annähernd zu simulieren, auch wenn wir uns noch so große Mühe um artgerechte Haltung geben. Wir bauen Ställe oder Unterstände, unsere Pferde stehen nicht im Wald. Wir haben günstigstenfalls ein paar Hektar kultivierte Weide für sie aber keine natürliche Steppe. Wir servieren ihnen Futter und Wasser aber sie müssen nicht selbst erkunden, ob es in der Nähe überhaupt etwas fressbares und eine Wasserstelle gibt. Wir sehen zu, dass sie möglichst keinerlei Gefahren ausgesetzt werden, schneiden ihnen aber durch unsere Zäune Fluchtwege ab. Unsere Pferde haben aber sehr gut gelernt, damit klar zu kommen. Pferde sind Wunderwerke der Anpassung. Nur können wir dann auch nicht mehr ein natürliches Herdenverhalten von ihnen erwarten.

Ich sehe es auch so wie WaldSuse, dass eine Geschlechtertrennung für die meisten von uns selbst zusammengestellten Herden oftmals am stressfreisten funktioniert. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Es gibt immer ein paar Individuen, die überall Stress machen. Ich sehe es aber auch bei unseren vieren. Die drei Wallache sind total harmonisch miteinander aber Stütchen Josi ist oft etwas abseits oder wird nicht beachtet. Sie ist schnell mal die Dumme, die im Regen stehen muss, weil sie ansonsten zwischen den Jungs rumzickt. Dann schicken sie sie einfach raus.
Viele Grüße
Hina

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Sheitana
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Re: Das (natürliche) Herdenleben

Beitrag von Sheitana »

Ich denke mit einem natürlichen Herdenleben kann man die Pferde bei uns wirklich nicht mehr vergleichen.

Trotzdem denke ich, dass sich ein Herdenleben bildet, wenn man die Pferde lässt.
In unserer Herde sehe ich definitiv so etwas. Nur geht es eben nicht mehr um Futter- und Wassersuche und kaum noch um Fortpflanzung, selten nur noch um Flucht.
Trotzdem kann man noch ein paar natürliche Dinge beobachten. Wie der Leit"hengst", unser Wallach Duende z.B. noch die Herde schützt. Sie irgendwo wegtreibt, wenn er es für nötig hält. "Fressfeinde" - wenn sich mal ein Hund auf die Weide verirrt - vertreibt. Der gemeinsame Sozialkontakt wird intensiv gepflegt, auch immer sehr schön zu beobachten die familiären Zusammenhänge, da zumindest Abby in die Herde hineingeboren wurde, aber auch Jamie gehört dazu, den Georgia sehr schnell nach seiner Ankunft adoptiert und ähnlich wie ein eigenes Fohlen behandelt hat.
Ich könnte noch unendlich viele Beispiele schreiben, wo ich schon sehe, dass wir eine wirklich wunderbare Herde haben, die vielleicht so natürlich ist, wie es in Gefangenschaft eben geht.
Es ist wirklich ein riesen Unterschied zu den noch mehr zusammengewürfelten Herden um uns rum.

Zum Thema Rangordnung:

Grundsätzlich denke ich schon, dass es so eine Art Rangordnung gibt. Allerdings nicht so, wie es gerne immer verkauft wird, als "Hackordnung".
Ich denke die Streitigkeiten, die man in gefangenen Herden beobachten kann a la "schau, der ist Chef, der verjagt die Anderen" kommen so in der Natur nicht vor. Denn weder ist der Platz begrenzt, noch das Futter. Das sind alles vom Menschen gemachte Streitigkeiten, weil er zuviele Pferde auf zu engem Raum einsperrt und dann nur begrenzt Futter reicht.

Bei uns in der Herde sieht man schon, wer Leit"hengst" ist und wer Leitstute.
Ich sehe sehr sehr selten, dass irgendwie gezickt wird. Und noch seltener, dass ein Pferd vom *Ranghöheren* weggeschickt wird, weil das Futter an der Stelle besser ist. Im Gegenteil, ich habe eher schon mal gesehen, wie Jamie - der wenn man es so sehen will wirklich ganz unten steht - Georgia, die Leitstute weggeschickt hat, weil er uuuunbedingt an ihrer Stelle fressen muss.
Bei genauerem Hinsehen sah man aber deutlich, wie sie wohl genervt dachte "Mööönsch, dann geh halt dahin wenns unbedingt sein muss, Hauptsache ich habe meine Ruhe, 1m weiter ist das Heu genauso gut".

Also im Grunde halte ich es für Quatsch, dass solch aggressive Verhaltensweise, wie sie oft in der Literatur als Randordnung beschrieben sind in guten Herden vorkommen.
Klar, auch bei uns kommt es vor, dass eine der Stuten die Zwerge maßregelt, wenn sie über die Stränge schlagen.. ;) Das ist auch gut und richtig so, aber niemand würde dem anderen Pferd sagen "du musst".
Ich denke auch das kommt in der Natur nicht vor. Entweder man folgt der Leitstute, oder man tut es nicht (und stirbt vielleicht), aber die Leitstute würde nie sagen "du gehts jetzt mit mir".

Gezicke und angebliche Rangordnungsschwierigkeiten sehe ich nur in Herden, die zusammengewürfelt sind.
Besonders, wenn Pferde sich zum Leittier auserkoren fühlen, die dazu aber eigentlich nicht in der Lage sind und im Grunde nur unter Stress stehen.

Von daher denke ich wirklich: Grobe Rangordnung ja, aber niemals so, wie es in der Literatur häufig geschrieben steht.
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