Pferdehaltung im Wolfsgebiet

Moderator: Sheitana

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Romy
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Re: Pferdehaltung im Wolfsgebiet

Beitrag von Romy »

Biggi01 hat geschrieben: Mo 16. Jan 2023, 20:57Das würde also wohl wirklich darauf hinauslaufen, dass die Pferde nicht mehr raus dürften, oder?
Das kann man so sehen, klar. Ist wahrscheinlich eine Frage des individuellen Umgangs mit Risiken. Bei uns in Sachsen (Wolfsgebiet) gibt es große Mengen an unbefestigten Koppeln und 24/7-Koppelpferden. Dabei kam es 2022 laut Schadenstatistik der Fachstelle Wolf zu zwei gemeldeten Angriffen. Bei einem wurde der Wolf als Verursacher nachträglich ausgeschlossen und einer ist noch in Bearbeitung. Es kann also sein, dass letztes Jahr in Sachsen ein Angriff passiert ist. Daraus ziehen verschiedene Menschen natürlich verschiedene Schlüsse. Für mich persönlich ist es so: Bevor diese Anzahl von Angriffen mich zum Einsperren meiner Pferde motivieren würde, täte es die Todesgefahr durch Rangeleien in der Herde, Vergiftung aufgrund von über den Zaun geworfenen Gartenabfällen, oder Übergriffe durch Pferderipper. Alles davon passiert hier um ein Vielfaches häufiger als Wolfsangriffe. Mich persönlich hat das bisher nicht davon abgehalten, Pferde zu haben und auf der Koppel zu halten.

Ich frage mich manchmal, was den Wolf so außerordentlich gefährlich erscheinen lässt, wenn die Daten dazu so wenig Anlass geben. Zum Teil ist das wahrscheinlich das Verhältnis zwischen Auftretenshäufigkeit in echt und in den Medien. Ich denke aber einen weiteren Teil macht es aus, dass der Wolf neu ist und vermeidbar erscheint: prinzipiell könnte man die Ausbreitung ja verhindern, ohne massive Eingriffe am für Menschen wahrgenommenen Status quo zu machen, wohingegen das bei Herdenrangeleien, wohlmeinenden Gartennachbarn oder Pferderippern wohl eher nicht möglich ist. :-)
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GilianCo
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Re: Pferdehaltung im Wolfsgebiet

Beitrag von GilianCo »

Cashew hat geschrieben: Mo 16. Jan 2023, 14:16 Ich finde die Aussage, dass Weidetiere Recht auf Weidegang haben, ohne es direkt mit dem Leben bezahlen zu müssen, ziemlich - euhem - übertrieben? Vielleicht hast du es auch gar nicht so gemeint, aber sachlich und nüchtern liest sich das nicht.


Ich habe das große Glück, dass ich noch nicht direkt betroffen bin - und ich hoffe natürlich, dass das so bleibt. Aber in manchen Gegenden ist die Gefahr durch den Wolf eben ungleich größer. Ich finde es einfach schwierig, diese Gefahr mit Silvesterböllern, Tierquälern etc. zu vergleichen. Schon, weil ich bei vielem Maßnahmen ergreifen kann, aber für mein Verständnis die Maßnahmen, die für den Wolf "erlaubt" sind, in vielen Fällen einfach nicht ausreichen. Manch andere Gefahr erscheint mir einfach - wie soll ich das nennen - berechenbarer? Ich sehe halt das Problem in genau jenem Punkt, der schon genannt wurde, aber als "das darf nicht passieren". In meinen Augen ist da aber "das Kind schon in den Brunnen gefallen". Der Wolf lernt, und gibt an seine Jungen weiter, dass vom Menschen halt keine Gefahr ausgeht, und wird daher in seiner Jagd immer "angstfreier".

Es wurde immer gesagt, macht Euch keine Sorgen, an Pferde geht der Wolf nicht ran. Ich hätte tatsächlich, auch wenn ich mich schon um meinen Senior diesbezüglich gesorgt hätte, weil der einfach durch sein Alter und seine Gebrechen ein "perfektes Opfer" gewesen wäre, niemals geglaubt, dass der Wolf nun tatsächlich an große Pferde geht. Tut er aber. JA, es ist jetzt ein Einzelfall. Ich glaube aber nicht, dass man sich darauf verlassen sollte, dass es ein Einzelfall bleibt. Und für mich ist es eben ein Messen mit zweierlei Maß, wenn man den Beutegreifer uneingeschränkt schützt, und bei Weidetieren jeglicher Couleur quasi sagt, naja, ein Restrisiko ist halt da. Du hast natürlich recht, dass ich das in meinem letzten Beitrag etwas dramatischer formuliert habe. Ich habe aber im Bekanntenkreis schon Rissvorfälle, und für die ist das halt keine Theorie mehr, sondern bitterer Ernst, dass da nicht nur ein Tier sein Leben gelassen hat, und man zwar hinterher finanziell entschädigt wird, wenn alles richtig gemacht wurde - aber eigentlich mehr der Schutz der Tiere, als eine Entschädigung das ist, was der Tierhalter sich wünscht.

Wie meine eine Bekannte es so schön formulierte: Ich verstehe nicht, warum Frankreich, Schweden und Finnland bejagen durfen, und es in D aufgrund EU Recht nicht möglich ist. In meinen Augen sollte es möglich sein, den Wolf in Teilen wieder "einzuschränken", ohne ihn direkt wieder vollständig zu eliminieren. Irgendwie ist das wieder ein wenig "typisch deutsch", dass diese Thematik bei uns erst mal über Jahre diskutiert wird, ohne dass sich großartig etwas ändert.
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tara
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Re: Pferdehaltung im Wolfsgebiet

Beitrag von tara »

Ich verstehe nicht, warum Frankreich, Schweden und Finnland bejagen durfen, und es in D aufgrund EU Recht nicht möglich ist.
kein Wunder, daß sich Herr Isegrim in D ganz wohl fühlt.
Liebe Grüße
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Romy
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Re: Pferdehaltung im Wolfsgebiet

Beitrag von Romy »

tara hat geschrieben: Di 17. Jan 2023, 15:16kein Wunder, daß sich Herr Isegrim in D ganz wohl fühlt.
Ist das so? Wenn ich mir Verteilungskarten ansehe (die angeblich aktuellste hier auf Seite 3) kommt es mir gar nicht so vor als sei Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern besonders stark betroffen. Ja, bei uns in Sachsen gibt es einen ziemlich dunklen Fleck, aber die Zahlen der hiesigen Angriffe auf Pferde hab ich ja gestern schonmal kurz aufgeschrieben.

Ich will gar nicht in eine oder die andere Richtung argumentieren und ich hab zu der Frage auch selbst gar keinen festen Standpunkt, sondern finde die verschiedenen Positionen alle irgendwie nachvollziehbar. Aber ich mag es, die Fakten auf dem Schirm zu haben, wenn es denn welche gibt. Solche Aussagen wie "Es wurde immer gesagt, macht Euch keine Sorgen, an Pferde geht der Wolf nicht ran" hängen nämlich glaube ich stark davon ab, welche Quellen man als Evidenz verwendet, um sich sein Weltbild aufzubauen. :-)
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GilianCo
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Re: Pferdehaltung im Wolfsgebiet

Beitrag von GilianCo »

Vielleicht schaut es in D einfach aufgrund der engeren Besiedelung anders aus? Aber du hast schon recht, dass man sich natürlich nicht von den Fakten entfernen sollte.

Genau das ist es in vielen Fällen, was mich an der Diskussion vielfach stört, dass die Diskussion häufig einfach sehr emotional geführt wird, und die Fronten da schon lange verhärtet sind. Deswegen tut es mir auch leid, wenn selbst mir das passiert, und es ärgert mich. Ich will den Wolf nicht eliminieren, definitiv nicht. Ich denke dennoch, dass es wichtig und sinnvoll für ein ‚Zusammenleben‘ ist, dass der Wolf Respekt vor dem Menschen hat. Und deswegen werde ich wohl momentan auch emotional - weil ich (auch wenn es jeweils Einzelfälle sein mögen) immer wieder sehe, dass die Verantwortlichen das bis jetzt gekonnt ignorieren.

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Cashew
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Re: Pferdehaltung im Wolfsgebiet

Beitrag von Cashew »

Gillian, du hast da sicher einen Punkt. Ich verstehe zum Beispiel nur sehr schwer warum in NRW Pferdehalter im Bereich des Wolfsrudels Schermbeck sehr wohl in den "Genuss" von Schutzmaßnahmen kommen, in anderen Bereichen von NRW, die ebenfalls recht intensiv von Wölfen besiedelt werden aber (noch) nicht.

Das Rudel Hohes Venn-Eifel hat bereits den zweiten Wurf, die Jungtiere haben durch die spezielle Umgebung (ehemaliger Truppenübungsplatz, viel Platz, wenig Leute und viel Wild) auch gute Überlebenschancen. In unserer unmittelbaren Nachbarschaft (genau genommen im Wald vor meiner Haustüre) hat sich ein einzelner Wolf nieder gelassen - es ist nur eine Frage der Zeit, bis er eine Partnerin findet und eine Familie gründet. Das alles stört mich nicht. Was ich nicht nachvollziehen kann, ist dieses Warten. Ich habe den Eindruck, es wird erst reagiert, wenn das Kind schon tief in den Brunnen gefallen ist.

Aber ich denke, WIR haben da mehr Kraft, als wir denken. Ich spreche mit benachbarten Pferdehaltern, wann immer es geht. Frage, was sie dazu denken, ob sie schon Erfahrungen gemacht haben. Das war auch ein Anliegen des Wolfsberaters. Ich hätte ja gerne eine Info-Versammlung, aber er ist da sehr zögerlich, weil diverse Versuche in der Vergangenheit oft in halbe Katastrophen ausarten. Menschen hören oft nur das, was sie hören möchten. Oder sie hören tatsächlich etwas anderes und schalten auf Konfrontation... Ich hoffe, dass wir in naher Zukunft finanzielle Unterstützung für Prävention auch für "unser" Wolfsgebiet bekommen - und zwar BEVOR schlimme Bilder überhaupt auftauchen. Das wird aber sicherlich nicht einfach so kommen, sondern nur wenn man an der richtigen Stelle (zahlenmäßig) genügend Druck aufbauen kann.

Was ganz anderes... Weil ich immer so hin und weg bin wenn ich dieses Bild sehe - und ich bin beim googeln gerade wieder drauf gestoßen. Schaut euch das Alpha-Tier vom Venn-Rudel mal an (bissl weiter im Video).

https://www.youtube.com/watch?v=7rSIgfeLZ70
Viele Grüße,
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Re: Pferdehaltung im Wolfsgebiet

Beitrag von palüpony »

Wir stehen ja in engem Kontakt mit unserer Wolfsbeauftragten, sie hat auch regelmäßig Kameras in unserem Revier. Ich gebe ihr regelmäßig Fundstellen von Wolfskot durch, die dann u.a. für genetische Untersuchungen genutzt werden. Im Gegenzug werden wir auch immer gut informiert :-)
Wir haben auf einer Kamera regelmäßig Fotos immer zyklisch. Es kommt lange (durchaus wochenlang) kein Bild und dann oft ein paar Tage hintereinander. Unsere Kamera hängt ca 300m vom Ort entfernt in einem kleinen Waldstück.
Wenn Interesse besteht, kann ich gern mal Fotos von "unserem" Rudel zeigen. Sie haben ihren Hauptplatz mitten im Naturschutzgebiet und sind regelmäßig rund um unseren Ort unterwegs. 2 Ortschaften weiter in 2 Richtungen haben wir jeweils je ein weiteres Rudel. Von dem einen hatten wir auch schon Besuch im letzten Sommer.

Aktuell hatten wir das Rudel vor zwei Tagen da. Die Spuren konnten wir durch den Schnee gut abfährten am Ortsrand und die haben frühere Kotfunde bestätigt. Sie nutzen oft die gleichen Wege bei ihren Streifzügen. Es waren vier bis fünf Wölfe unterwegs.

Der Bauer, dem hier ein Kalb gerissen wurde, könnte Hilfe bekommen, verweigert diese aber :augenroll: Und so trägt er dazu bei, dass die Wölfe die Gelegenheit bekommen, sich relativ leicht an Weidevieh zu bedienen... Natürlich bekommt er keine Entschädigung und der Riss taucht auch in keiner Statistik auf.

Hier haben die Wölfe letzten Winter einen ausgewachsenen Hirsch gerissen und nicht viel übrig gelassen. Ob der schon krank war, kann man nicht sagen. Allerdings sind die mit ihren Geweih sonst schon sehr wehrhaft.

Trotzdem habe ich tagsüber keine Angst, mit Pferd und Hunden im Wald unterwegs zu sein. Allerdings bin ich nicht querfeldein oder ganz tief im Wald unterwegs. Außerdem meide ich die Dämmerung, aber das hab ich immer schon, weil das Wild einfach auch mal seine Ruhe braucht, gerade im Winter.
Tageslichtbilder ortsnah hatten wir tatsächlich erst einmal und das war ein kranker Wolf.

Vor 2 Jahren waren wir auf einer Versammlung, da hat ein Landwirt berichtet, dass sie mit Flatterband am Zaun die Übergriffe auf die großen Mutterkuhherden massiv einschränken konnten.
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Cashew
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Re: Pferdehaltung im Wolfsgebiet

Beitrag von Cashew »

Interessant Palü! Ja, mich würden Bilder interessieren. Ich bin sehr fasziniert, aber das habt ihr sicher schon bemerkt ;-)
Viele Grüße,
Sarah und Co


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tara
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Re: Pferdehaltung im Wolfsgebiet

Beitrag von tara »

So haben sie früher Wölfe gejagt: niedriger „Zaun“ mit Stofffetzen dran. Gelegentlich ging ihnen mal einer durch die Lappen.
Liebe Grüße
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Re: Pferdehaltung im Wolfsgebiet

Beitrag von Sheitana »

Cashew hat geschrieben: Fr 20. Jan 2023, 20:29 Gillian, du hast da sicher einen Punkt. Ich verstehe zum Beispiel nur sehr schwer warum in NRW Pferdehalter im Bereich des Wolfsrudels Schermbeck sehr wohl in den "Genuss" von Schutzmaßnahmen kommen, in anderen Bereichen von NRW, die ebenfalls recht intensiv von Wölfen besiedelt werden aber (noch) nicht.

Das Rudel Hohes Venn-Eifel hat bereits den zweiten Wurf, die Jungtiere haben durch die spezielle Umgebung (ehemaliger Truppenübungsplatz, viel Platz, wenig Leute und viel Wild) auch gute Überlebenschancen. In unserer unmittelbaren Nachbarschaft (genau genommen im Wald vor meiner Haustüre) hat sich ein einzelner Wolf nieder gelassen - es ist nur eine Frage der Zeit, bis er eine Partnerin findet und eine Familie gründet. Das alles stört mich nicht. Was ich nicht nachvollziehen kann, ist dieses Warten. Ich habe den Eindruck, es wird erst reagiert, wenn das Kind schon tief in den Brunnen gefallen ist.
DAS verstehe ich auch nicht. Finlay stand ja nun eine Zeit lang wirklich nahe an dem Rudel und mitten im Wald. Die SB haben sich da auch informiert was man machen kann etc. Das war leider sehr ernüchternd, man könne nix machen, das Rudel sei noch soweit weg, man solle halt auf eigene Kosten bauen oder aber die Pferde ans Haus holen.
Das ist dann halt wirklich sehr unbefriedigend. Die geben die (Pensions)Pferdehaltung u.a. deswegen jetzt auf, weil sie die Verantwortung ggü. den fremden Pferden nicht mehr tragen können und wollen, ein weiteres Aufrüsten bei den Zäunen (und dort ist wirklich schon extrem gut eingezäunt) aber auch schlicht utopisch ist :nix:

Ich glaube aber tatsächlich, dass so ein Rudel im Hohen Venn gar nicht wirklich Probleme machen wird, weil dort ist genug Platz und genug Futter.
Mir fehlt wirklich ein Fahrplan für den Umgang mit Rudeln, die anfangen sich auf Weidetiere zu spezialisieren und es dann eben auch an ihre Jungen weiter geben.
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