Akademische Reitkunst

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Riff
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Re: Akademische Reitkunst

Beitrag von Riff »

Das stimmt. In den meisten Ställen mit Turnuierreitern sieht man hier leider zu 90% genau das. Hauptsache der Kopf ist unten und man macht Runden.

Schultervor oder SH reitet man z.B., weil beim Turnier verlangt wird- aber wozu die Übungen gut sind, was sie bewirken kann dir da keiner sagen.

Dieses "über dem Tempo" ist normal geworden.

Und die meisten merken ja nicht mal, dass ihr Pferd auf einer Schulter mehr belastet. Nicht in Balance ist.

Da lässt du mal eine echt gute Reiterin mit ihrem gut ausgebildeten Pferd von Bande über die ML zu Bande reiten. Tritt für Tritt. Laaaangsam. Einfach gerade Linie. Und? Sie kommt nicht genau gegenüber an. Die Kontrolle über die Schulter fehlt, weil es bei normalem Tempo kaum auffällt. Gut, beim Zirkel im Trab hat man ab und an mal an der offenen Seite ein Thema. Aber sonst...

Wenn man mal langsam und bewusst arbeitet, dann merkt man erst, wo die eigentlichen Themen sind. Und man hat auch recht schnell deutliche Verbesserungen.

Da klappt nach 1 Woche das Bande zu Bande laaaangsam Reiten (ohne vorne was rumzukorrigieren) plötzlich und geht auch noch rückwärts, gerade wieder zurück.

Allerdings nie mit tiefen Kopf machen.

Das langsame arbeiten schult die Balance und beim Reiter das Gefühl dafür. Zudem ist es ein viel intensiveres Training für Muskeln und Sehnen etc.

Bei den Akademikern fehlt mir immer, dass die Pferde kaum gerade geritten werden. Immer "verschoben". Aber auch das ist Geschmackssache. SG ja und viel finde ich gut, aber es muss auch richtig gerade gearbeitet werden können. Für mich..

Und immer weg von der VH, da sind wir uns alle einig.
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tara
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Re: Akademische Reitkunst

Beitrag von tara »

Belgano hat geschrieben: Mo 9. Mär 2020, 08:38 Da zitiere ich jetzt mal meinen RL:
"Nicht eiliger sondern mehr Qualität mußt du reiten."
und ich zitiere meine RL zum selben Thema: " mehr Trab ohne mehr Fahrtwind..."
Liebe Grüße
tara
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Ändere deine Einstellung zu den Menschen, und die Menschen ändern ihre Einstellung zu dir.
Samy Molcho



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sacramoso
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Re: Akademische Reitkunst

Beitrag von sacramoso »

@ tara: :five:
gleicher Inhalt, klasse Formulierung.
Als Gott erfuhr daß Reiten nur für die Besten ist erschuf er noch Fußball :dance1:
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Fionnlagh
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Re: Akademische Reitkunst

Beitrag von Fionnlagh »

Ich habe schon ein paar akademisch gerittene Pferde live gesehen, bin auch selber schon welche geritten und hatte auch schon Akademiker an meinem eigenen Pferd (vor Jahren ganz am Anfang)...

Am eindrücklichsten war mal eine schon über 20-jährige Stute, die viele Jahre in Kursen mit BB persönlich geritten wurde. Aus verschiedenen, stallinternen Gründen hat der Stall die Kurse mit BB eingestellt und einen neuen Trainer geholt, der sich die Stute erst mal nur ansehen wollte. Sie konnte alle möglichen Lektionen in allen 3 Gangarten, praktisch alle Seitengänge... Nur eines konnte sie nicht: einfach nur geradeaus laufen :shock: (@Schnucke, kannst du dich dran erinnern? Da waren wir damals gemeinsam dort!)
Ich muss zugeben, seither ist meine Skepsis gegenüber den Akademikern echt groß :tuete: . Ich bin gänzlich davon abgekommen und gehe andere Wege mit meinem Pferd (was nicht heißt, dass ich es bei anderen doof finde - muss jeder selber seinen Weg finden).
"Ich habe es noch nie getan, darum glaube ich, dass ich es kann." Pipi Langstrumpf
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Schnucke
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Re: Akademische Reitkunst

Beitrag von Schnucke »

Versammlung ist nicht ausschließlich langsam und der Takt MUSS erhalten bleiben (ansonsten ist es nämlich Mumientango). Dazu gehört für mich der Gedanke an Vorwärts immer dazu, ich denke sogar beim Rückwärtsrichten an Vorwärts, und daraus entsteht dann auch ein setzen der HH und eine relative Aufrichtung.

Laura ja da kann ich mich gut dran erinnern, das war wirklich erschreckend. Paßt aber super zu dem Eindruck aus dem Video.
Zuletzt geändert von Schnucke am Mo 9. Mär 2020, 11:17, insgesamt 1-mal geändert.
Keine Stunde im Leben, die man im Sattel verbringt, ist Verloren (Sir Winston Churchill)

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Riff
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Re: Akademische Reitkunst

Beitrag von Riff »

.... genau, ein aktives Abfußen.
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jaz
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Re: Akademische Reitkunst

Beitrag von jaz »

Was verstehe ich unter Akademischer Reitkunst?

Die Arbeit von Bent Branderup und seiner "Ritterschaft", eine Interpretation der alten Meister kombiniert mit neuen Erkenntnissen. Getreu dem Motto "Das zwei Geister wollen was zwei Körper können" ein Miteinander von Reiter und Pferd, bei dem sowohl Psyche als auch Körper von Pferd und Reiter abgeholt und aufgebaut werden. Reiten und Bodenarbeit als Physiotherapie fürs Pferd, vorgelebt durch Bent & Hugin. (Hugin hatte bei einem Deckunfall in jungen Jahren drei Beine gebrochen, Bent hat ihn gekauft, wieder aufgebaut, und bis ins hohe Alter in der hohen Schule gesund geritten.) Ein Blick auf Bodenarbeit und Reiten von der Gesamtheit bis in die tiefsten Details der Bewegungsabläufe von Mensch und Pferd und zurück, auf der Suche nach Zusammenhängen und alten und neuen Erkenntnissen. Das Teilen der Erfahrungen in der Ritterschaft, wo jeder aus der Gemeinschaft andere Schwerpunkte hat und neue Blickwinkel und Erfahrungen beitragen kann. Die Einstellung dass jeder Mensch und jedes Pferd anders ist, und es deswegen gut ist möglichst viele Ideen und Werkzeuge zu allen möglichen Themen zur Hand zu haben. Eine ganz feine Kommunikation zwischen Mensch und Pferd, die Schritt für Schritt und logisch aufgebaut wird.

Nicht unter Akademische Reitkunst fallen andere klassisch-barock Arbeitende wie Anja Beran oder Bückeburger Hofreitschule.

Offizielle Trainer der Akademischen Reitkunst gibt es nicht so viele, hier ist die Liste für Deutschland: https://www.bentbranderuptrainer.com/be ... r/germany/.

Meine eigenen Erfahrungen mit der Akademischen Reitkunst:

Ich habe die letzten Jahre Unterricht bei einer RL, die sich bei Trainern der Akademischen Reitkunst weiterbildet. Ich habe einige Bücher gelesen und Videos gesehen, und war vor einem Jahr Theorieteilnehmer bei einem Kurs von Bent Branderup.

Elitär?

Ähnlich wie in der Ecole de Legeretere finden sich bei den Kursen von Bent Pferde aller Rassen. Ich selbst habe bei dem Kurs drei Spanier, einen Isländer, ein Shetty, einen Welsh und den Rest weiß ich nicht mehr gesehen. Kein Pferd ist mehr oder weniger wert, es geht immer darum Pferd und Mensch da abzuholen wo sie stehen und zu schauen wie man ihnen am besten weiterhelfen kann.

Bent Branderup selbst hat mich sehr überrascht, weil ich selten einen Menschen getroffen habe, der so höflich und zuvorkommend ist wie er. Celina Sgogan, die Trainerin die den Kurs veranstaltet hat, war dort sehr herzlich und liebevoll zu allen. Was mir sehr gefallen hat, war dass es von der ganzen Einstellung her auf dem Kurs kein "MUSS" gab, sondern immer eine Einladung teilzunehmen und sich zu entwicklen, und ein Hinweis in welche Richtung es weiter gehen könnte.

Die Kleidung mag auf den ersten Blick abgehoben und elitär wirken, ebenso wie der Begriff Ritterschaft. Wenn ich überlege dass ich selbst Fotoshootings in Mittelaltergewandung mache, dann ist es schon nicht mehr so weit weg. Weiterhin wirft auch keiner der Bückeburger Hofreitschule vor dass sie versuchen sich historisch authentisch zu kleiden, sondern dort gehört es zum Erforschen der alten Meister dazu.

Gleichzeitig ist weder die Kleidung noch die Ausrüstung vorgeschrieben. z.B. Jossy Reynvoet, ein weiterer offizieller Trainer, reitet größtenteils gebisslos, und ich habe einen anderen Squiretest auf Video gesehen, der gebisslos und ohne Sattel oder Pad stattfand.

Die Reitkunst von Bent und seinen Trainern findet auf einem wirklich hohen Niveau statt. Dennoch war jeder herzlich als Theorieteilnehmer zu dem Kurs eingeladen, und Bent schaffte den Spagat in der Theorie und beim Unterricht für jeden relevante Informationen dazulassen.

Ich kann für mich selbst sagen, dass ich elitär vom Niveau der Reitkunst her bestätigen kann. Von der Einstellung der Leute, die ich kennengelernt habe, allerdings überhaupt nicht.

Kein Vorwärts?

Meine Reitlehrerin hat mir die ersten Jahre vor allem eine gute Dehnungshaltung in jeder Lebenslage beigebracht, erst im mittleren Tempo, als das stabil wurde dann auch mit dem Takt spielend. Panti neigt dazu untertourig zu gehen, weil ihm das sehr leicht fällt, und wir werden dann immer ermuntert mehr Tempo aufzunehmen.

In den Videos der Pferdeausbildung sieht man insbesondere am Anfang vor allem ein lockeres Vorwärts mit Anfängen der Biegung und Stellung an der Longe. Bodenarbeit ist oft langsamer, weil es dort erstmal um den Aufbau der Kommunikation geht, und Menschen oft nicht so schnell rückwärts laufen können. Ich kenne ein Video von Bent im Gelände, wo er richtig Gas im Galopp gibt.

Die Seitengänge werden nicht als Endziel verstanden, sondern als Werkzeug um Kommunikation aufzubauen und das Pferd gerade zu richten und zu versammeln. Auf dem Kurs wurde das Thema Geraderichten bis auf die Schwungrichtung der einzelnen Beine in der Bewegung betrachtet, und besprochen welche Signale man geben kann um die Beine korrekt in die Bewegungsrichtung schwingen zu lassen (auch als Beispiel für bis runter ins kleinste Detail ;) ).

Ich habe nebenbei gehört dass es in der AR zwischenzeitlich eine Entwicklung gab, wo das Tempo von vielen oft zu sehr gedrosselt wurde. Das Ganze wurde als hinderlich erkannt und wird heute auch anders weitergegeben.

Komische Holzgerte komisch gehalten?

Der Grund, warum diese "komische Holzgerte" verwendet wird? Weil diese schnell brechen, und sich so jeder dreimal überlegen sollte wie er sie einsetzt, und ob ein Einsatz überhaupt nötig ist. Um den Menschen zu erziehen ganz fein mit ihr umzugehen. Und sicherlich auch ein Stück weit historisch begründet.

Der Grund, warum diese komische Holzgerte (oder auch jede andere) so komisch in der Luft gehalten wird? Weil das die Neutralstellung ist. Die Gerte auf einer Seite des Pferdes ist bereits ein Signal bzw eine Signalverstärkung über den Sitz hinaus. Weiterhin wird die Hand deutlich gerader gehalten, wenn die Gerte senkrecht nach oben zeigen soll. Ich bin mir sicher dass vor allem letzteres der Grund ist, warum meine RL das mit mir angefangen hat ;)
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Belgano
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Re: Akademische Reitkunst

Beitrag von Belgano »

Danke für deinen ausführlichen Beitrag :hutab:
Gelassenheit, Heiterkeit und viel Geduld sind die Basis jeder harmonischen, respektvollen Beziehung.(Audrey Hasta Luego)
Levi - ein kleiner Held wird groß
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Cashew
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Re: Akademische Reitkunst

Beitrag von Cashew »

Danke für deinen Beitrag Jaz! Ich bin - noch im alten WzPForum - zur Akademischen Reitkunst gekommen, hatte damals aber auch noch Trainer in unmittelbarer Nähe, bzw. gut erreichbar (ua JR von dem Jaz sprach). Mittlerweile ist das leider nicht mehr der Fall, denn mich hat diese Reitweise immer fasziniert.
Viele Grüße,
Sarah und Co


Das Tagebuch des Herrn Nuss
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jaz
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Re: Akademische Reitkunst

Beitrag von jaz »

Gerne geschehen :) Sowie ich die Zeit finde, packe ich gerne noch mehr Informationen dazu. Angefangen hiermit:

Blickschulung
Eines der Themen, die mich an der Akademischen Reitkunst so stark faszinieren und gefallen, ist dass die Bewegung bis ins kleinste Detail analysiert wird, um gezielt darauf eingehen zu können. Das ist etwas, was mir persönlich sowohl vom Sehen als auch vom Fühlen her schon immer sehr schwer gefallen ist, und was mich oft gerade deswegen sehr voran bringt. Für mich ist es das Gegenteil vom reinem Lektionen reiten, da es um die Bewegung an sich und deren Qualität geht.

Ein Beispielvideo für Bewegungsanalyse von Celina Sgogan (ehemals Harich) könnt ihr hier hier finden:
https://www.youtube.com/watch?v=OsgQMLji8CU
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