Inspiriert durch ein Bild in Belganos Tagebuch und Birgits Frage, ob die Zeit zwischen zwei Fragen relevant sei, hab ich heute über das Thema Zeit nachgedacht und deren Wirkung im Umgang mit den Pferden beobachtet. Für mich ist Zeit tatsächlich ein total wesentlicher Faktor. Einfach weil sie kein leeres Loch zwischen zwei Ereignissen ist, sondern in dieser Zeit etwas passiert - auch wenn nicht ich es bin, der sie aktiv füllt. Das, was in dieser Zeit passiert, kann die Situation für das Pferd komplett verändern.
Vielleicht lässt sich das an einem ganz einfachen Alltagsbeispiel verdeutlichen. Ist es wichtig, ob mir jemand etwas zu Essen anbietet, nachdem ich gerade ein mehr als reichliches Mittagessen hatte und zum Platzen voll bin, oder ob er damit ein paar Stunden wartet, bis ich wieder richtig hungrig bin? Für mich kann das den Unterschied bedeuten zwischen einem Angebot bei dem mir schlecht wird und einem auf das ich mich gierig stürze. Zeit kann meine Antwort auf das Angebot also durchaus von einem "Nein, bloß nicht" in ein "Ja, unbedingt!" verändern.
In Bezug auf kleine Zeitskalen hab ich dazu heute mal das Aahnuuli beim Hufemachen beobachtet. Der kleine Zappelfloh macht an sich ja gerne mit, aber nach einer Weile fängt er an, den Huf wegzuziehen. Wie immer hab ich ihn das machen lassen und bin ein Pferd weiter gerutscht. Aber ich hab heute mal genau beobachtet, was er währenddessen macht. Anfangs, also direkt nach dem Wegziehen des Hufes und dem kleinen "danke, bis später" Leckerli, stürzte er sich aufs Gras (wie immer bevor wir etwas zusammen machen hatte ich gerade frisch nachgesteckt). Er versank im Gras als ob es sonst nichts gäbe auf der Welt und zwischen ihm und mir inklusive Hufbearbeitung schien ein ganzes Universum zu liegen. Und das löste sich dann ganz langsam und graduell in Nichts auf. Nach ein paar Minuten fing er an, sich beim Fressen langsam auf mich und das neue Huf-Pferd zuzubewegen. Dann nahm er immer mal wieder den Kopf hoch und guckte uns an. Dann stellte er sich neben uns und versuchte, an mir rumzustupsen und sich bemerkbar zu machen. Als auch das noch nicht half, stellte er sich mit der Hinterhand neben mich und hob sein Hinterhüfchen so, dass es nur einen halben Meter von da weg war, wo ich gerade den Huf des anderen Pferdes bearbeitete. Als er endlich wieder dran war, stand er wie eine Eins. Einfach nur durch Zeit, denn ich hab mit ihm währenddessen nichts gemacht.
In Bezug auf lange Zeitskalen habe ich heute mal gezielt einen bestimmten Weg ausgesucht, der neulich auf einem Bild in Belganos Tagebuch zu sehen war. Nach dem Hufemachen bin ich mit den Araberjungs diesen Weg gegangen, vor dem Maymun letztes Jahr noch richtig Angst hatte. Maymun hat es ja nicht immer leicht mit seiner Psyche und letztes Jahr war der absolute Höhepunkt. Da konnten wir teilweise mehrere Tage nur auf unseren Land neben der Koppel spazieren gehen, weil er sich nicht traute, das Land zu verlassen. Wenn wir in Ponybegleitung unterwegs waren, hatte er bei einer Stunde Spaziergang eine Stunde lang Stress. Auch auf bekannten Wegen, auch wenn überhaupt nichts passierte. Die Welt war einfach gefährlich.
Ich hab nicht versucht, dagegen zu arbeiten, sondern hab an Angst-Tagen einfach noch mehr als sonst darauf geachtet, dass er wenn wir nur zu zweit sind den Weg aussucht, dass wir umdrehen wann er will, dass ich auch schon ohne sein Initiative regelmäßig den Rückweg anbiete, und so weiter. Der Weg in Belganos Bild war einer, auf dem er letztes Jahr immer umdrehte. Er wollte da einfach nicht runter. Also sind wir eben umgedreht. Mit der Zeit ist die Angst verschwunden. Variationen gab es zwar immer schon auch von Tag zu Tag, aber die Zeitskala für eine wirklich nachhaltige Veränderung lag bei ungefähr einem Jahr (ganz genau kann ich das allerdings nicht sagen, weil die Winterkoppeln eine komplett andere Welt sind und es da auch emotional einen harten Schnitt gibt - der Winter ist angstfrei).
Und heute? Heute sind wir den ehemaligen Gruselweg runtergegangen. Maymun vorne als unser Anführer und dann eine Pferdelänge hinter ihm das Nuuli und ich. An einigen, etwas aufregenderen Stellen sah er wirklich imposant aus, mein schwarzes Streitross mit seinem Schwanenhals. An einigen Stellen hat er auf mich gewartet, scheinbar um zwischendurch mal wieder ein Mutmacher-Leckerli zu bekommen, bevor er uns weiter den Berg runter führt. Aber er hat uns geführt, den ganzen Weg entlang. Auch hier hat Zeit es uns ermöglicht, dass ich sein ursprüngliches Nein annehmen konnte und trotzdem zu meinem sicheren Geländepferd gekommen bin.
Genauso wie die Zeit formen unsere Wege aus dem Nein auch noch andere Kontextfaktoren wie Ort oder Bewegung. Mal sehen, vielleicht schreibe ich dazu irgendwann auch nochmal was.
