Erlernte Hilflosigkeit

Moderator: Keshia

Wallinka
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Re: Erlernte Hilflosigkeit

Beitrag von Wallinka »

Anmerkung der Moderation: bitte denkt auch hier daran, Personen nur mit Kürzeln zu nennen. Grad bei Negativkritik kann es sonst schnell Ärger für die Forenbetreiber geben. Danke

Ich denke, dass das schwierige an der erlernten Hilflosigkeit ist, ist sie zu erkennen. Denn die PFerde sind ja problemlos im Umgang, machen nett alles mit- woher soll man also wissen, dass sie es nicht gern tun?
Ich hab auch so ein Pferdchen. Unkompliziert, nett, problemlos....der einzige Unterschied ist, dass sie im Gegensatz zu den anderen keine eigenen Vorschläge macht.
Fast ein Jahr haben wir gebraucht, bis sie verstanden hat, dass "vom Menschen gekrault" werden heißt, dass sie sagen darf, wo sie es gern hätte oder ob es genug ist. Und oft traut sie sich immer noch nicht.
Über ein Jahr haben wir gebraucht, bis sie gemerkt hat, dass sie bei Arthroseschmerzen beim Hufeauskratzen nicht stehen bleiben muß, bis sie fast umfällt vor Schmerz, sondern Bescheid sagen darf und dass wir es dann anders versuchen bzw mal für den Tag lassen. ( und natürlich wird der Arthrose-Schmerz behandelt, aber trotzdem gibt es Tage, an denen es ihr schwerfällt, hinten das ganze Gewicht länger auf einem Bein zu ertragen. Trotzdem lahmt sie nicht und läuft gern und freiwillig viel auf dem Auslauf herum)
Und mit ein Problem war, dass ich so lang gebraucht hab, um zu merken, dass sie sich einfach nicht traut, ihre Bedürfnisse auch mal anzumelden. :shy:
Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie, was man bekommt.
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Scheckenfan
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Re: Erlernte Hilflosigkeit

Beitrag von Scheckenfan »

Ich glaube, die RB von meinem Freund ist auch so ein Fall. :shock:
Allerdings sitzt das wohl nicht ganz so tief.

Der war mit 7 oder 8 Jahren Holländischer Meistern im Showfahren (ist ein Hackney, auch wenn man das jetzt nicht mehr sieht, und konnte echt ordentlich strampeln, hab ein Video gesehen :-& ).
Danach ging er zu nem Händler, der wohl alle Klischees erfüllt, und wurde dann von einem (m.E.) minder guten und viel zu schweren Bereiter bei schlechtem Futter- und Muskelzustand "beritten".
Mehr als genug Gründe, schätze ich.
Nun ist seine Besitzerin ein junges Mädel ganz ohne Leistungsgedanken, die sehr lieb mit ihm ist.

Das Pferd war auch einfach nur lieb. Er erschrickt sich vor nichts, er macht, was man sagt und lässt alles mit sich machen.

Naja, und dann kam mein Freund :frech: und hat das Clickern mit ihm angefangen. Man sieht extrem, wie sehr sich der Ausdruck ändert, wenn der erste Click kommt :staun: - vorher bissl matt, danach immer glänzender und motivierter. Mit Clickern lernt dieses Pferd auch in einer atemberaubenden Geschwindigkeit, und das obwohl mein Freund Anfänger im Clickern ist und Theorie auch nicht so seine Stärke...

Bisher hab ich die "neuen Anwandlungen" von Hugo immer auf den sich verbessernden Ernährungs- und Muskelzustand zurückgeführt, aber im Nachhinein macht eine sich auflösende erlernte Hilflosigkeit auch Sinn:
- er zeigte nach einer Weile, die er problemlos mit seinem Sattel lief vermehrt erst Sattelzwang, dann auch Satteldruck an
- er bleibt "plötzlich" nicht mehr brav stehen :frech: und wir müssen's neu erclickern
- er zuckt nicht mehr bei jeder schnellen Bewegung zusammen aus Furcht vor Schlägen
- er ist im Gelände nicht mehr totenbrav, sondern will schon auch mal Tempo machen
- seit ein paar Wochen buckelt er an der Longe :freu2:

Bin mal gespannt, was sich da noch so ergibt, ehrlich gesagt.

Ist irgendwie auch ein tolles "Projekt", weil man richtig sieht, wie er aufblüht. Er bekommt durch den Longenkurs auch ein ganz anderes Bewegungsmuster und plötzlich ist er nicht mehr das hässliche Entlein, auch wenn wir noch lang nicht beim Schwan angekommen sind ;)
Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst in dieser Welt.
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Stjern
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Re: Erlernte Hilflosigkeit

Beitrag von Stjern »

Scheckenfan hat geschrieben:... und plötzlich ist er nicht mehr das hässliche Entlein, auch wenn wir noch lang nicht beim Schwan angekommen sind ;)

:herzi:
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Heupferdchen
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Re: Erlernte Hilflosigkeit

Beitrag von Heupferdchen »

Was mir durch den Kopf gegangen ist:

Auf die Spitze getrieben, muss man sich bei jeder Erziehungs-Interaktion Gedanken machen, ob man nun das Pferd in die Erlernte Hilflosigkeit treibt.

Wo zieht ihr die Grenze zwischen 'erlernt hilflos' und schlicht 'brav'?

Ist 'Unerzogenheit' für euch ein Gütekriterium für eure Beziehung zum Pferd?

Ehrlich gesagt, ich sehe in meinem Umfeld einige Pferde, die tatsächlich erlernt hilflos scheinen. Aber auch andere, denen ein bisschen Grenzen setzen schon gut täte.

Was Leute wie besagte dänische Trainerin treiben, ist natürlich damit nicht gemeint.

Natürlich will ich kein Pferd in die EH treiben. Andererseits möchte ich auch ein Pferd, das einige Dinge einfach tut für mich. Da habe ich keine Lust, ständig zu diskutieren. Dass das auch geht, ohne Gewalt anzuwenden, sehe ich an meinem (braven) Pferd, der hoffentlich nicht von mir 'gebrochen' wurde - ich bringe den auch in Situationen, die er ohne mich nicht bewältigen könnte. Da ist er schon 'hilflos' und auf mich angewiesen. Trotzdem bleibt er brav und bei mir. Ich hoffe, nicht aus Angst :nix:

Ich will auch kein erlernt hifloses Pferd. Aus ganz egoistischen Gründen. Eine große Gefahr für den Menschen ist, dass derart gebrochene Pferde Zeitbomben sind. In kritischen Situationen können die völlig explodieren. Für den jeweiligen Menschen eine große Überraschung, denn der 'ist ja immer so brav'. Ein Pferd, das einem vertraut und einen mag, wird, wenn es hart auf hart kommt, sich im Zweifel hoffentlich nicht gegen das jeweilige Menschlein entscheiden, das ihm ja kaum was entgegenzusetzen hat ...
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Romy
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Re: Erlernte Hilflosigkeit

Beitrag von Romy »

Heupferdchen hat geschrieben:Ist 'Unerzogenheit' für euch ein Gütekriterium für eure Beziehung zum Pferd?
Ja. 8-)

Aber das hat vielleicht auch einfach damit zu tun, dass für mich ein Verhalten, das manch anderer als unerzogen interpretiert, einfach ein hilfreiches Feedback ist. Ich wünsche mir von meinen Pferden, dass sie nichts was sie nicht wollen einfach tun ohne mir ihre Meinung dazu mitzuteilen, nur weil ich es so sage. Nur wenn ich von ihnen auch mal ein wahrnehmbares "Nein" oder von mir aus auch einfach nur ein "Na ja, ich weiß nicht so recht..." bekomme, kann ich mich darauf verlassen, dass ihr "Ja" auch wirklich als ja gemeint ist.

Gerade jetzt wo ich mein neues Pony Bacardy bekommen habe, wird mir mal wieder bewusst, wie viel schwerer es mir fällt, mit einem Pferd zu interagieren, das dieses Feedback nicht gibt. Er machte einfach erstmal fraglos alles was ich sagte und in den ersten Tagen war seine Antwort auf jede Anfrage "Okay". Das Ergebnis war, dass ich wie auf Eierschalen lief, weil ich in Ermangelung eines Feedbacks einfach nie wusste, ober er das jetzt wirklich okay fand oder einfach nur "brav" war. Für mich persönlich ist "brav" überhaupt kein erstrebenswertes Ziel mehr. Gern sowas wie "rücksichtsvoll" oder "kompromissbereit", aber das sind für mich alles Eigenschaften, die gerade dann einen Wert haben, wenn mein Gegenüber (in diesem Fall das Pferd) einen klaren eigenen Standpunkt hat.

Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass ich in jeder Situation jeder Meinungsäußerung meiner Pferde nachkomme. In gefährlichen Situationen würde ich wenn es notwendig wäre schon darauf bestehen, dass sie tun was ich sage. Aber ich möchte trotzdem ihre Meinung dazu wissen, weil ich in den meisten Fällen eben doch darauf eingehen kann. Das ist ein bisschen so wie ein Gespräch, in dem die Einigung durch ein mehrfaches Hin- und Herspielen passiert, anstatt nur zweistufig (ich ordne an, du befolgst).
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kolyma
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Re: Erlernte Hilflosigkeit

Beitrag von kolyma »

Ich denke, Erlernte Hilflosigkeit ist schon ein Extrembeispiel. Nicht jedes brave Pferd wurde da rein getrieben. Ich denke momentan auch sehr viel über das Thema nach und bin für mich noch zu keinem Schluss gekommen.
Ich halte von Laissez Faire nix. Das ist etwas sehr destruktives. Als Mensch mache ich mich mit dieser "alles kann nix muss" Haltung auch etwas uninteressant. Wenn ich jeder Ablehnung meines Pferdes nachkomme. "Na gut - wenn du nicht willst...."

Was ich unglaublich schwierig finde ist: Wie krieg ich ein ausgewogenes Verhältniss zwischen "das machen wir jetzt" und "kein Zwang" hin?
Bild Geduld ist die hohe Kunst sehr langsam wütend zu werden...:ohm2: :sofort:


"Besser wenig und das Wenige gut."Egon v. Neindorff

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Sanojlea
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Re: Erlernte Hilflosigkeit

Beitrag von Sanojlea »

Ich halte von Laissez Faire nix. Das ist etwas sehr destruktives. Als Mensch mache ich mich mit dieser "alles kann nix muss" Haltung auch etwas uninteressant. Wenn ich jeder Ablehnung meines Pferdes nachkomme. "Na gut - wenn du nicht willst...."
Da muss ich dir mit einem breiiieeeten Grinsen wiedersprechen! Ich hab noch nicht erlebt das ein Mensch einem Pferd so viel intressantes und so viel Abwechslung geboten hat wie Romy das tut! Ayla war Stunden lang beschäftigt ohne überfordert zu sein, eben weil sie nichts musste! Und sie war neugierig, klebte an Romy, fand mich total langweilig im Gegenzug...
Ausserdem hat Romy es innerhalb kürzester Zeit geschafft Ayla ans Halfter zu gewöhnen! Ayla mochte das Halfter nicht, Romy hat auf sie gehört und trotzdem, oder -wie ich eher glaube- grade deswegen hat sie geschafft was in 15 Monaten keinem gelungen ist! Weil sie das Halfter mit ihrem Verhalten intressant gemacht hat und dem ganzen den Zwang genommen hat!
"Ich will alles daran setzen und mein Bestes geben, damit diese Pferde in ihrem freundlichen Wesen gut über mich urteilen und damit Harmonie walte, getragen vom Einvernehmen zwischen zwei Lebewesen."
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Scheckenfan
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Re: Erlernte Hilflosigkeit

Beitrag von Scheckenfan »

Erlernte Hilfslosigkeit sehe ich so, dass das Pferd sich grundsätzlich nicht wehrt, wenn's nicht gerade massive Schmerzen oder Ängste erleidet. Es gibt ne Menge braver Pferde, die schon deutlich früher den Strich ziehen und was "unerzogenes" tun.

Ich kenne zwei Pferde, die nicht mit dem Menschen reden, sondern einfach nur machen, was sie sollen.
Die Pferde sind denke ich nicht in der erlernten Hilflosigkeit, denn sie wehren sich durchaus noch mal, wenn's denn nötig ist.
Aber sie haben halt gelernt, dass der mensch eh nicht gut zuhört, also braucht man gar nix sagen, wenn's nicht unglaublich wichtig ist.

Das sind total nichtssagende Pferde. Man kann tolle Dinge mit denen machen, z.B. die ich mit meinem Pferd nicht so ohne weiteres machen kann.
Aber es macht mir überhaupt keinen Spaß.

Ich messe Unerzogenheit nicht als Kriterium, sondern gegenseitige Rücksichtnahme. Ich möchte, dass mein Pferd mir höflich zuhört und auf höfliche Bitten das tut, was ich wünsche. Bedingt dadurch muss ich meinem Pferd aber auch zugestehen, dass ich auf höfliche Bitten von ihm auch eingehe, wenn die Umstände es erlauben.
Ich will dabei kein Pferd das "dagegen" ist, sondern eines, das Vorschläge macht.
Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst in dieser Welt.
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kolyma
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Re: Erlernte Hilflosigkeit

Beitrag von kolyma »

Sanojlea hat geschrieben:
Ich halte von Laissez Faire nix. Das ist etwas sehr destruktives. Als Mensch mache ich mich mit dieser "alles kann nix muss" Haltung auch etwas uninteressant. Wenn ich jeder Ablehnung meines Pferdes nachkomme. "Na gut - wenn du nicht willst...."
Da muss ich dir mit einem breiiieeeten Grinsen wiedersprechen! Ich hab noch nicht erlebt das ein Mensch einem Pferd so viel intressantes und so viel Abwechslung geboten hat wie Romy das tut! Ayla war Stunden lang beschäftigt ohne überfordert zu sein, eben weil sie nichts musste! Und sie war neugierig, klebte an Romy, fand mich total langweilig im Gegenzug...
Ausserdem hat Romy es innerhalb kürzester Zeit geschafft Ayla ans Halfter zu gewöhnen! Ayla mochte das Halfter nicht, Romy hat auf sie gehört und trotzdem, oder -wie ich eher glaube- grade deswegen hat sie geschafft was in 15 Monaten keinem gelungen ist! Weil sie das Halfter mit ihrem Verhalten intressant gemacht hat und dem ganzen den Zwang genommen hat!
Das ist ja dann aber nicht Laissez Faire. Sonst hätte sie es nicht binnen 15 Minuten geschafft. Dann hätte sie das "Nein" ihres Pferdes als gesetzt betrachtet und wäre unverrichteter Dinge von Dannen gezogen. Oder habe ich da was falsch verstanden?
Bild Geduld ist die hohe Kunst sehr langsam wütend zu werden...:ohm2: :sofort:


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Re: Erlernte Hilflosigkeit

Beitrag von Wallinka »

ein nein heißt ja nicht automatisch einen Abbruch sämtlicher Handlungen. Man hat ja durchaus die Möglichkeit, die Anfrage zu verändern, um doch noch zu einem Okay oder einem Ja zu kommen. Eigentlich machen wir das doch alle jeden Tag ganz unbewußt. Wenn ich mit einem Pferd übe, dass eine Plane nicht gruselig sein muß, dass Pferd sich aber ganz sicher ist, dass die Plane es fressen wird, dann bestehen wir doch nicht drauf, dass es sich gleich mit allen vier Füßen auf die Plane stellt sondern fragen, ob es mal den kopf runter nehmen kann, um sich das Ding mal anzugucken, ob es möglich ist, in einem gewissen Abstand um das Ding rumzugehen, ob es machbar ist, mal einen Schritt darauf zu zumachen. Dh, wir akzeptieren das "Nein" des Pferdes, nicht zur Plane hinzuwollen und geben Möglichkeiten, wie man sich trotzdem mit dem Ding vertrauter machen kann.

Für mich war in Bezug auf mein Arthrose-Pferdchen wichtig, dass es überhaupt erstmal Bescheid sagt, wenn was wehtut. Die hat mir den Huf tatsächlich hochgehalten bis gar nichts mehr ging und sie nur noch mit auskeilen und beiseitespringen das Gleichgwicht halten konnte. Und selbst das war für den Vorbesi "unerzogen" und "nicht tolerabel". Seitdem sie begriffen hat, dass sie mit kleinen Bewegungen mich dazu bekommen kann, auf sie einzugehen (oft reicht schon eine kleine Pause, den Huf näher am Boden zu halten, den Gelenkwinkel zu ändern) hat sie diese große Strampelei nicht mehr nötig. Und ich hab halt gelernt, dass zappeln bei ihr nie "keine Lust" ist, sondern wirklich immer ein "ich kann nicht". Denn eigentlich will sie mir nämlich gefallen und gern tun, was ich wünsche, sie ist nämlich wirklich ein nettes Pferd.
Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie, was man bekommt.
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