Reiter in Balance?!

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Pirat
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Re: Reiter in Balance?!

Beitrag von Pirat »

hm...
ich finde nicht, daß man die beiden videos (klimke und isländer) vernünftig vergleichen kann.
o.k. das, was man im schritt auf dem isi sieht - das ist schieben vom allerfeinsten :? (hihi, achtet mal auf den kopf...)
den trab den kann wahrscheinlich kaum einer in dem pony-tempo vernünftig sitzen...

aber auch im klimke video finde ich die hüfte nicht wirklich locker.
auch im trab senkt sich der rücken des pferdes nach links und rechts runter.
früher habe ich nur diese wellenbewegung nach vorne oben/unten wahrgenommen. mein becken war seitlich festgestellt.
seitdem ich diese bewegung 1. wahrnehmen und 2. auch zulasse sitze ich ganz anders "im pferd".
bei dem klimke video sehe ich dieses seitliche mitgehen nicht.

ich habe ja regulär RU bei einer RL die nach CR (und klassische FN ?!? und ein bischen Kreinberg) unterrichtet.
sie baut eigentlich in jede stunde ein bischen "fühlen" und bewusst mitbewegen ein.

nach meiner ersten RS bei ihr habe ich gesagt:
ich glaube, ich habe mich noch nie so viel bewegt und gleichzeitig zu ruhig gessen!

durch das bewusste mitgehen der bewegungen den pferdes sitzt man automatisch ruhiger.

edit:
reitunterricht "ohne" integrierte gute sitzschulung kann ich mir im moment überhaupt nicht mehr vorstellen.
jede gute und feine hilfengebung ist vom guten sitzen abhängig.
wie schon geschrieben: sitz gerade, absatz tief und hände ruhig sind da leider keine wirkliche hilfe...

aber: stell dir das haus vom nikolaus vor.
dein kopf ist das dach, deine schultern sind die obere querlinie, deine seiten sind die seitenlinien und dein po ist der boden des hauses. unser haus hat aber noch einen keller, das sind deine füße.
ei, ei, ei... in jeder kurve sieht mein haus ganz schön verknittert aus... :-o
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Hina_DK
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Re: Reiter in Balance?!

Beitrag von Hina_DK »

Pirat hat geschrieben:den trab den kann wahrscheinlich kaum einer in dem pony-tempo vernünftig sitzen...
Das glaube ich gerne, hat aber nichts mit dem Tempo zu tun, das Pferd ist genauso fest im Rücken, wie der Reiter, was ja logisch ist. Auch Isländertempo kann man wunderbar sitzen, wenn das Pferd denn mal wirklich über den Rücken geht. Setzt natürlich einen geschmeidigen Reiter im unabhängigen Sitz voraus und eine vernünftige Gymnastizierung des Pferdes. Das kann man dort auf der FIZO aber nicht erwarten, das jemals zu Gesicht zu bekommen.

Ich denke, dass jeder Reiter irgendwo auch ein Defizit hat, auch Rainer Klimke, auch Nuno Oliveira, auch Philippe Karl, von Bent Branderup ganz zu schweigen, der sitzt wie ein Cowboy aber die waren/sind durchaus in der Lage soviel Balance in die Pferd-Reiter-Kombination zu bringen, dass man keinen Augenkrebs beim Anblick bekommt, ganz im Gegenteil. Da möchte man erstmal hinkommen wollen und wird es wohl nie erreichen.
Viele Grüße
Hina

Probiers mal mit Gemütlichkeit
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Jochen
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Re: Reiter in Balance?!

Beitrag von Jochen »

À propos Cowboys:

http://www.aecrc.com/camagri/

Jeweils auf Camagri 2014, Camagri 2013 etc. clicken, und dann auf "(Concours de) Tri de Bétail".

Und natürlich auch auf die anderen Einträge...
Halt mich fern von der Weisheit, die nicht weint, der Philosophie, die nicht lacht,
und der Größe, die sich nicht vor Kindern verbeugt.


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Nucades
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Re: Reiter in Balance?!

Beitrag von Nucades »

:lesen: Sehr spannend - ich hoffe auf weiteren anregenden Austausch, habe aber eine Zwischenfrage:
Jochen hat geschrieben:Der erste Reiter bewegt sich wie eine (senkrechte) Ziehharmonika, da kommt kein einziger Stoß auf den Pferderücken (und auch keiner in den des Menschen!)
Aber wo geht sie denn dann hin, die Energie?

Und noch eine Frage:
Kennt jemand ein Beispiel(-video), das erkennen lässt, wie ein nicht-ausbalancierter Reiter ein Pferd aus der Balance bringt?
Stjern
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Re: Reiter in Balance?!

Beitrag von Stjern »

Ich finde, dass man über die Balance nicht diskutieren kann, wenn man weitere Formen der Balance unbeachtet lässt. Ich denke z.B. an die emotionale Balance des Reiters UND des Pferdes.
Sowie an das Zusammenfügen der Balancen von Pferd UND Reiter zu einer einzigen Balance.
Erst das gibt das Gesamtbild ab. Und ein emotional ausbalanciertes Paar kann viele "technische" Probleme kompensieren, genau, wie ein technisch gut ausbalanciertes Paar gut die emotionalen Probleme überspielen kann.
Und dazwischen fliesst irgendwo jedes Pferd-Reiterpaar auch je nach Tagesform. Wenn man sich die Eckpunkte Emotion und "Technik" in die Breite gezogen vorstellt in ihren Varianten, dann erhält man bereits ein Spielfeld über das man sich bewegt. Bei längerem Nachdenken kann man das bestimmt noch mindestens zu einem Würfel ausbauen in dem man munter herumkullert :lol:

Das soll jetzt nicht heissen, dass man seine Bemühungen um ein einen guten Sitz über Bord werfen soll.
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SunnyShadow
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Re: Reiter in Balance?!

Beitrag von SunnyShadow »

bei Stjern mal unterschreib. Karen Rohlf nennt das den Sweetspot, den man immer wieder neu finden muss - egal, ob am Boden oder auf dem Pferd.
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Jochen
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Re: Reiter in Balance?!

Beitrag von Jochen »

@ Nucades:
Ich erlaube mir mal ein paar grobe Vergleiche:

Wenn man aus dem Stand mehrmals hintereinander hochspringt, dann federt man jeweils, auf dem Boden zurück, die Energie mit den Knien ab. Genauer gesagt: Man bildet einen federnden Winkel zwischen Fuß und Unterschenkel, einen zweiten zwischen Unter- und Oberschenkel, und einen dritten zwischen Oberschenkel und Rumpf.
Grob gesagt sei diese Winkelei mit einem S verglichen.

Übertragen auf Dr. Klimke (und immer noch grob gesagt): Dessen Rumpf bildet ein S in alle Richtungen, und damit federt er die Energie ab. Sie verursacht also keine Stöße, sondern ein fließendes Stärker- und Schwächerwerden des Drucks, den das Reitergewicht auf den Pferderücken ausübt. Man sieht mehrmals, wie er aus dem Sitz hochkommt, aber jedes Mal sanft wieder hineingleitet. (Und bei 0:10, bei 0:30 und bei 0:50 sieht man gut die veränderte Haltung des Oberkörpers bei Vorwärtsbewegung des Pferdes.) Ich werde auch den Eindruck nicht los, daß dieser Reiter aus ideologischen Gründen ein gut Teil seiner natürlichen Bewegung unterdrückt oder minimiert, aber es gibt ja nun wirklich schlimmeres...

Der statische Rumpf des Isi-Geiers hingegen verhält sich wie ein i, bei dem nur der Punkt wackelt. Alle Energie, die der Kopf nicht abfedern kann, geht als Stoß in die Bandscheiben, bzw. auf den Pferderücken.

(Man kann seine Hand getrost unter einen ziemlich schweren Stein legen und diesen Stein dann hin und her über die Hand rollen, und auch zusätzlichen Druck auf diesen Stein ausüben. Wenn man den selben Stein jedoch auch nur aus geringer Höhe auf die Hand fallen läßt, sieht die Sache schon ganz anders aus. Und mit einem Hammer einen Nagel einzuschlagen funktioniert viel besser, als mit dem selben Hammer gegen den Nagel zu drücken. Kinetische Stoßenergie verhält sich anders als potentielle Druckenergie. Wenn man einen Pfeil im vollen Auszug auf dem Bogen hat, passiert gar nichts (außer Ermüdung); gefährlich wird's erst, wenn man losläßt.)

@ Stjern:
Genau das meinte ich mit den Bildern aus der Camargue.

Vielleicht machen ein paar Hintergrund-Infos die Sache klarer:

Cowboys haben als oberstes Gebot, die Herde zusammenzuhalten. Wenn deren Rinder sich über 5000 Km zwischen Atlantik und Pazifik verstreuen, ist das Einsammeln recht mühsam.
In der Camargue hingegen ist nach 500 Metern, oder auch 5 Km, erst mal Schluß: Entwässerungsgräben, Hecken gegen den Mistral, Rhône-Arme, Mittelmeer, Zäune — irgendwas kommt immer. Und Mensch und Pferd und Rind wissen das seit Jahrtausenden.

Cowboys reiten also um die Herde herum und ziehen das betreffende relativ friedliche Rind mit dem Lasso heraus.
Gardians hingegen reiten in die Herde hinein und drängen den betreffenden Kampfstier mit oder ohne Einsatz des Hirtenstabes hinaus.

Wenn beim Cowboy die Einheit von Pferd und Mensch in die Brüche geht, dann startet er halt 'nen neuen Versuch.
Wenn das dem Gardian in der Kampfstier-Herde passiert, dann kriegen die Jungens erst mal richtig Lust, ihre Hörner am Pferdebauch und an den Oberschenkel-Arterien des Reiters auszuprobieren.

(In der Camargue werden Kampfstiere nicht abgestochen, wie in Spanien und im Baskenland, sondern sie kommen zurück auf die Weide — um eine Kampferfahrung reicher und entsprechend gefährlicher. Für mich ein Beispiel für den Unterschied zwischen Mut und Überlegenheit der technischen Mittel.)

Wenn der Cowboy runterfällt, geschieht das außerhalb der Herde, und selbst wenn die Rinder ausgerechnet jetzt Panik bekommen sollten, steht mit dem Menschen auf dem Boden zusammen immer noch aufrecht das Pferd im Weg, und sie werden wohl einen Bogen drum machen.
Wenn der Gardian in der Kampfstier-Herde runterfällt, hat er arg schlechte Karten. Der Hirtenstab ist zu lang, als daß er sich damit "unten" wirksam in alle Richtungen gegen die Stiere verteidigen könnte.

Gardians haben als oberstes Gebot, oben zu bleiben, wenn sie in der Kampfstier-Herde sind. (Und wenn das so ist, dann brauchen sie ja auch sonst nicht unbedingt das Runterfallen zu trainieren...)
Und als zweites Gebot, die Autorität der Pferd-Mensch-Einheit intakt zu halten.
Wie sie das anstellen, ist relativ gleichgültig — aber es muß funktionieren. Und ein "gebrochenes" oder sonstwie resigniertes Pferd dürfte für sowas ja wohl vollkommen ungeeignet sein...

Der Camargue-Steigbügel hat vorne einen geschlossenen Eisenkorb. Niemand, der recht bei Sinnen ist, wird einem Gardian unsauberes Reiten vorwerfen, wenn der mit 45°— oder auch 60°— Absatz-Hoch auf den Zehenspitzen im Steigbügel steht.
Der Gardian muß oben bleiben.

Wie die das lernen?
Ich habe auf dieser Camagri-Messe vor ein paar Jahren zwei Kinder, einen Jungen von vielleicht 5 und ein Mädchen von vielleicht 7 Jahren beobachtet, denen die ehrenvolle Aufgabe anvertraut worden war, zwei Pferde trockenzureiten. Die Kinder klopften fleißig mit den Beinchen gegen die Sattelblätter und trieben so ihre Pferde im Schritt nebeneinander auf dem Abreitplatz umher. Und dann fing das Pferd des Jungen an, das andere anzustänkern, womit der Junge überfordert war. Also machte das Mädchen den Friedensrichter, zwei oder drei Sekunden lang — und es herrschte Frieden!

Ich weiß nicht, wie die das lernen. Denn "intuitiv" ist keine Erklärung. Ich weiß ja auch nicht, wie man eine Sprache lernt...
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Hina_DK
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Re: Reiter in Balance?!

Beitrag von Hina_DK »

Jochen hat geschrieben:Ich weiß nicht, wie die das lernen. Denn "intuitiv" ist keine Erklärung.
Ich glaub doch :). Eckard Meyners hat ja in dem Vortrag so ein schönes Beispiel mit den Saltospringern aufgezeigt. Es wurden fünf Gruppen gebildet, jede sollte mit einer anderen Methode den Salto lernen. Alle fünf Methoden hatten eines gemeinsam, man konnte mit ihnen keinen Salto lernen ;). Alle fünf Gruppen haben aber den Salto trotzdem gelernt :).
Viele Grüße
Hina

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Re: Reiter in Balance?!

Beitrag von Jochen »

Schon richtig.
Sie haben's trotzdem gelernt.
Nur ist das halt keine Erklärung, wie sie's gelernt haben.

(Obwohl ich das sooo ganz ernst natürlich auch wieder nicht gemeint wissen will...)
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