Ganz allgemein: wie geht ihr mit Pferden um und warum?

Moderator: Keshia

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Hina_DK
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Re: Ganz allgemein: wie geht ihr mit Pferden um und warum?

Beitrag von Hina_DK »

Das ist ja alles ein ganz breites Spektrum und vieles ist letztendlich wirklich eine Mischung. Sogar, wenn man klickert, arbeitet man trotzdem auch mit einem gewissen Anteil an negativer Verstärkung, auch wenn das klickern selbst natürlich positive Verstärkung ist. Reiten ist dann z.B. hauptsächlich negative Verstärkung (Pferd weicht dem Schenkel und bekommt dafür kein Leckerli usw.). In erster Linie ist es bei allen Methoden und Mischformen aber wichtig, dass das Pferd nur soviel negative Verstäkung bekommt, dass es trotzdem nicht die Freude an der Sache verliert oder sich einfach nur noch genötigt fühlt. Und genau an dem Punkt scheiden sich eben die Geister. Da kann man schon eine ganze Menge Unterschiede bei allen diesen Vorführungen an der Mimik des Pferdes erkennen, wie da gearbeitet wird.
Viele Grüße
Hina

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Re: Ganz allgemein: wie geht ihr mit Pferden um und warum?

Beitrag von ehem User »

Pirat hat geschrieben: aber NHS?
ist das "=" pat parelli, oder ist das noch wieder was anderes?

also ist NHS das, was parelli macht?
Unter NHS werden verschiedene Techniken des Trainings von Pferden zusammengefasst, die sich alle in den Details unterscheiden. Vertreter sind Parelli, Monty Roberts, GaWaNi Ponyboy oder von uns Michael Geitner.
Allen gemein ist, dass sie hauptsächlich über negative Verstärkung arbeiten, also Druck und Nachlassen.

Reines Clickertraining basiert auf positiver Verstärkung, aber ich kenne nur wenige, die wirklich ohne Druck auskommen. Auch wenn das ein Ziel für mich ist.
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Hina_DK
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Re: Ganz allgemein: wie geht ihr mit Pferden um und warum?

Beitrag von Hina_DK »

Ich finde es auch irgendwo übertrieben, wen man "Druck" generell negativ sieht. Natürlich ist es auch Druck, wenn ich beim clickern, damit mein Pferd versteht, was ich von ihm will, meinetwegen die Hand auf die Brust, Schulter oder Bein lege und es so z.B. dann irgendwo hin weichen soll. Da kann ich nun überhaupt gar nichts negatives sehen und das ist manchmal wesentlich leichter für alle Beteiligten, als wenn ich mich mit dem Pferd stundenlang hinstelle und warte, bis ihm evtl. selbst einfällt, was ich gerade von ihm wollen will. Erst wenn sich "Druck" in Stress umwandelt, wird das Pferd es als eine negative Sache empfinden. Wenn ich dieses geringe Maß an Druck ablehne, darf ich schon überhaupt nicht aufsteigen und Reiten, denn die Hilfen haben mit Druck zu tun und da kommt auch viel schneller mal Stress auf.
Viele Grüße
Hina

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ehem User

Re: Ganz allgemein: wie geht ihr mit Pferden um und warum?

Beitrag von ehem User »

Da kann ich Dir, Hina, nur zustimmen.

Finde es gut, quasi ein unerreichbares Ziel zu haben, um eben bewusster in dem zu werden, was ich tue. So frage ich mich mehr, wie ich meinem Pferd etwas verständlich mache. Und ich reduziere den Druck konsequent. So reicht eben inzwischen meine Körpersprache, um mein Pferd rückwärts zu schicken. Ich brauch keine Hand mehr. Für mich ist die Denke vom Freien Formen aus dem Clickertraining ein gutes Instrument, um mir bewusst zu machen, wie wenig es oft braucht.
Reitmaus
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Re: Ganz allgemein: wie geht ihr mit Pferden um und warum?

Beitrag von Reitmaus »

Reiten ist dann z.B. hauptsächlich negative Verstärkung (Pferd weicht dem Schenkel
Natürlich ist es auch Druck, wenn ich beim clickern, damit mein Pferd versteht, was ich von ihm will, meinetwegen die Hand auf die Brust, Schulter oder Bein lege
Ich hab jetzt nicht den ganzen Thread gelesen, nur kurz in die letzten Postings reingelesen, aber ich finde dass der Begriff "Druck" etwas falsch interpretiert wird. Erstmal ist eine Berührung nicht zwangsläufig "Druck", sondern "Kommunikation". Ich finde, der Unterschied zwischen negativ und positiv ist die "Lautstärke" der Unterhaltung. Schreien wir uns an (=Tendenz starker Druck) oder reden wir sanft miteinander (=leichter Druck).

Wollte man den "Druck" gänzlich aus dem Umgang verbannen, weil man meint es wär negativ, würde man vermutlich komplett auf Kommunikation verzichten müssen.
So reicht eben inzwischen meine Körpersprache, um mein Pferd rückwärts zu schicken.
Ist "Druck" nur eine physische Berührung? Oder ist ein Fingerzeig auf das Bein, welches weichen soll, nicht auch ein (mentaler) Druck? Viele von euch würden es wohl nicht als "Druck" bezeichnen, weil es keine Berührung ist, aber für mich ist eine sanfte Berührung nicht schlimmer als ein Hinzeigen, ein zielgerichterter Blick o.ä.

Und wenn wir dem Pferd schon negative Empfindungen beim Reiten ersparen wollen, sollten wir nicht nur an den dezenten "Druck" der Schenkel (der wie gesagt meiner Ansicht nach nicht negativ ist, sondern reine Kommunikation, - sofern man da nicht mit den Hacken rumbolzt), sondern noch viel mehr darauf achten, dass wir im Becken mitschwingen und zentriert sitzen, und es dem Pferd nicht durch unsere Steifheit schwerer (unangenehmer) zu machen.

Last not least : meiner Ansicht nach bestimmt auch das Pferd den Ton der Kommunikation mit. Was nützt es, wenn wir leise mit jemand reden, der nicht zuhört und stattdessen zurückbrüllt und in seiner Lautstärke gar nicht wahrnimmt was wir sagen. Da düften wir evtl kurzzeitig auch mal recht laut werden, um den Anderen in seinem Redeschwall zu stoppen, um dann wieder in Normalton weiter reden zu können. Wenn das nicht hilft, sollte man natürlich nicht weiter schreien oder sich gar diese Lautstärke als Dauerton angewöhnen, sondern die Unterhaltung als sinnlos abbrechen und weggehen (falls möglich). Aber eine kurze Verstärkung der Lautstärke in Situationen, wo dies nötig erscheint, finde ich nicht schlimm. Nur muss man seine Emotionen unter Kontrolle haben danach sofort wieder auf Normalmodus umschalten können. Beispiel : beim Spaziergang hat das Pferd etwas gesichtet, was ihm verdächtig erscheint und es erstarrt und glotzt in die Richtung. Auf sanftens Zupfen am Strick reagiert es ebensowenig wie auf leise Aufforderung weiterzugehen. Ich lasse es also erstmal gucken, merke aber dass es zunehmend unruhiger wird. Bevor es ganz ausrastet, muss ich seine Aufmerksamkeit dort weglenken, und da es meine leisen Töne vollkommen überhört, muss ich mich jetzt mal derber am Strick bememekrbar machen und auch verbal lauter werden. Erfolg : Pferd wendet eine Sekunde den Kopf irritiert dem "Störenfried" zu, ich bin sofort wieder auf Normalmodus und lobe ganz toll, dass es sich mir zugewandt hat, fordere mit sanften Signalen eine Übung, die er kennt und gern macht, C&B, und habe damit seine Aufmerkamkeit von dem Schreckobjekt weg wieder auf mich gelenkt und ihn vom Alarmzustand wieder in Normalmodus gebracht. War das Strickziehen und lauter Reden nun echt so "negativ"? Hätte man eine 100% positive Alternative gehabt? Wenn ja : wie? Oder war es halt "Kommunikation", die halt mal ein paar Sekündchen lauter wurde, ohne deswegen gleich stressig, negativ, unfreundlich zu werden?
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Cashew
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Re: Ganz allgemein: wie geht ihr mit Pferden um und warum?

Beitrag von Cashew »

Schön geschrieben, Reitmaus! So empfinde ich es eigentlich auch.

Ich kann schwer sagen, wie ich mit meinen Pferden umgehe - wir machen weder NHS noch Clickertraining. Vom NHS habe ich mir allerdings ein paar Sachen "geklaut" weil ich mit meinem Youngster eine Zeit lang von einer Trainerin begleitet wurde die in der Richtung arbeitet. Die kombiniert übrigens ohne Probleme NHS und Clickertraining und macht mit ihrem Pferd viel Freiheitsdressur. Ihre letzte Entdeckung ist akademische Reitkunst :)

Ich glaube, wenn man offen ist und es der jeweiligen Situation Pferd-Mensch anpassen kann, ist es möglich viele Denkweisen zu kombinieren. Genaus so habe ich mir von verschiedenen Denkweisen Dinge abgeguckt, quasi was in dem Moment eben passt. "Die" Umgehensweise mit Pferden gibt es meiner Ansicht nicht, das muss jeden Tag und mit jedem Pferd neu ausbalanciert werden. Im Umgang mit Zweibeinern ist das doch nicht anders? ;)
Viele Grüße,
Sarah und Co


Das Tagebuch des Herrn Nuss
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Sheitana
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Re: Ganz allgemein: wie geht ihr mit Pferden um und warum?

Beitrag von Sheitana »

Nur mal kurz am Rande:

Ihr wisst aber schon, dass das Wort "negativ" bei negative Verstärkung nicht negativ im Üblichen Sinne (="schlecht") bedeutet?

Negativ besagt hier lediglich, dass als "Lob" etwas weggenommen wird.

Negative Verstärkung: Ich nehme als Lob den Druck weg
Positive Verstärkung: Ich gebe als Lob ein Leckerlie (füge etwas hinzu).
ehem User

Re: Ganz allgemein: wie geht ihr mit Pferden um und warum?

Beitrag von ehem User »

Reitmaus hat geschrieben: Ich hab jetzt nicht den ganzen Thread gelesen, nur kurz in die letzten Postings reingelesen, aber ich finde dass der Begriff "Druck" etwas falsch interpretiert wird. Erstmal ist eine Berührung nicht zwangsläufig "Druck", sondern "Kommunikation". Ich finde, der Unterschied zwischen negativ und positiv ist die "Lautstärke" der Unterhaltung. Schreien wir uns an (=Tendenz starker Druck) oder reden wir sanft miteinander (=leichter Druck).

Wollte man den "Druck" gänzlich aus dem Umgang verbannen, weil man meint es wär negativ, würde man vermutlich komplett auf Kommunikation verzichten müssen.
So reicht eben inzwischen meine Körpersprache, um mein Pferd rückwärts zu schicken.
Ist "Druck" nur eine physische Berührung? Oder ist ein Fingerzeig auf das Bein, welches weichen soll, nicht auch ein (mentaler) Druck? Viele von euch würden es wohl nicht als "Druck" bezeichnen, weil es keine Berührung ist, aber für mich ist eine sanfte Berührung nicht schlimmer als ein Hinzeigen, ein zielgerichterter Blick o.ä.
An dieser Stelle möchte ich einen Ausflug in die Lernpsychologie einbringen, weil Du, liebe Reitmaus, das Wort "negativ" synonym mit "schlecht" verwendest. Das ist jetzt kein Angriff gegen Dich, gar nicht, das passiert häufig, wenn man sich über Lernen mittels positive und negative Verstärkung unterhält und die Begriffsdefinitionen nicht klar sind.
"Negativ" und "positiv" im Kontext mit Lernen ist völlig wertneutral. Es hat eine andere Bedeutung:

Also *denOberlehrerrauskram* ... ;)

Lernen kann man auf vier verschiedene Arten.

- mittels positiver Verstärkung: Zeigt der Lernende die gewünschte Reaktion, wird etwas für ihn Angenehmes hinzugefügt, er erhält eine Belohnung. Das Kind hilft beim Abwasch und erhält eine Tafel Schokolade. Folge: Es wäscht häufiger ab. Erwünschtes Verhalten wurde also verstärkt.
- mittels negativer Verstärkung: Zeigt der Lernende die gewünschte Reaktion, wird etwas für ihn eher unangenehmes weggenommen. Ein Fernsehverbot wird aufgehoben, weil das Kind den Abwasch gemacht hat. Um künftig Fernsehverbot zu vermeiden, wäscht das Kind häufiger ab. Erwünschtes Verhalten wurde also ebenso verstärkt.
- mittels direkter Bestrafung: Der Lernende zeigt unerwünschtes Verhalten und wird durch Hinzufügen von etwas Unangenehmen bestraft. Das Kind erhält eine Ohrfeige, weil es frech war (bitte nicht über meine Beispiele diskutieren :-) ) Unerwünschtes Verhalten wird seltener gezeigt.
- mittels indirekter Bestrafung: Der Lernende zeigt unerwünschtes Verhalten und wird durch Wegnahme von etwas Angenehmen bestraft. Das Kind erhält Hausarrest (=Wegnahme von Spielen im Freien). Unerwünschtes Verhalten wird seltener gezeigt.

Nun kann man massig Bücher und Dissertationen darüber lesen, dass die Motivation beim Lernen über positive Verstärkung am größten ist und das hierbei der Lernende (Mensch wie Tier) die größte Eigeniniative und Kreativität entwickelt.
Bei der negativen Verstärkung besteht die Gefahr, dass der Druck nicht jedesmal wieder auf Stufe 1 beginnt, sondern gleich auf Stufe 5, weil ja das Pferd letztes Mal bei 5 reagiert hat. Der Mensch muss sich hier richtig im Griff haben und sehr bewusst mit dem Druck umgehen. Druck auf Stufe 1 ist letztlich Körpersprache, ein Fingerzeig, ein Blick.
Bestrafung beider Formen dagegen hat nur einen sehr kurzzeitigen Effekt. Sobald der Lehrende nicht da ist, zeigt der Lernende das unerwünschte Verhalten wieder.

Deshalb empfinde ich die Diskussion über Hand an die Brust legen, damit das Pferd rückwärts weicht, ist nicht böse, mit der Gerte auf die Brust titschen aber schon, als müßig. Beides ist negative Verstärkung bzw. Druck auf unterschiedlicher Stufe.
Wie schon weiter oben geschrieben: Völlig ohne Druck = negative Verstärkung zu arbeiten, erscheint mir illusorisch. Wüsste gar nicht, wie bestimmte Dinge umzusetzen wären ohne ein deutliches Signal, auf Reiten müsste man dann ganz verzichten. Dennoch finde ich es für mich wichtig, den Fokus auf die positive Verstärkung zu richten und zu sehen, was macht mein Pferd von alleine richtig. Das verstärke ich über C/B und muss so viel weniger "Anweisungen" geben, weil mein Pferd sich von sich aus richtig verhält. Außerdem hilft es mir, immer auf Stufe 1 anzufangen, wenn ich erwünschtes Verhalten hervorrufen möchte.
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Hina_DK
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Re: Ganz allgemein: wie geht ihr mit Pferden um und warum?

Beitrag von Hina_DK »

Ja, das ist das fatale, dass die Wörter "negativ" und "Druck" meist unwohle Gedanken heraufbeschwören. Aber "negativ" ist ein Wort, was ein unglaubliches Spektrum hat. Wer ist denn nicht heilfroh, wenn z.B. ein Befund negativ und nicht positiv ausfällt ;)? Und Druck ist eben auch nicht von sich aus schlecht, so wie Grenzüberschreitungen ebenfalls nicht grundsätzlich schlecht sind. Wir würden nie einen Trainingserfolg verbuchen können, weder bei uns noch beim Pferd, wenn wir nicht dabei an Grenzen gehen und sie überschreiten würden. Wenn das geschafft ist, stellen sich die positiven Gefühle meist von selbst ein.
Viele Grüße
Hina

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