Was ist denn eigentlich "Losgelassenheit"?

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Muriel
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Re: Was ist denn eigentlich "Losgelassenheit"?

Beitrag von Muriel »

für mich ist Losgelassenheit der Zustand, wo die Muskeln im Gleichgewicht zwischen Anspannen und Loslassen arbeiten. Dadurch ergibt sich alles andere, auch eben der Takt. Solange ich muskulär noch Störfaktoren habe, bekomme ich keine Losgelassenheit. Einen gleichmässigen Takt kann _ich_ nicht herstellen, das Pferd muss ihn finden. Ich kann aber aufhören, ihn einfordern zu wollen und dabei zu stören. Oder ich kann dem Pferd helfen, bestimmte Körperbereich zu entspannen durch gezielte Übungen wie zb die abkauübungen, Schulterherein usw.
"Gegen Zielsetzungen ist nichts einzuwenden, sofern man sich dadurch nicht von interessanten Umwegen abhalten lässt."
M. Twain
Stjern
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Re: Was ist denn eigentlich "Losgelassenheit"?

Beitrag von Stjern »

Ich kann schon nachvollziehen, was jaz mit schwabbelnden Muskeln meint. Ein trainierter, arbeitender, aber NICHT verkrampfter oder überforderter Muskel hat im Grunde eine wirklich "losgelassene" Anspannungs- und Abspannungsbewegung. Das wirkt tatsächlich fliessend und locker. Wenn dabei noch die Gelenke schön frei durchbewegt werden, kommt es zu der schwingenden Bewegung im Rücken.

Manchmal hilft es sich Pferde anzuschauen, die nicht losgelassen laufen. Das stockt dann irgendwo in der Bewegung. Irgendwo ausgehend von den Beinen über den Rücken und Schweif geschaut, stoppt die Bewegung. Oder die Beine strampeln so für sich alleine und dazwischen hängt ein Rücken rum, der die Bewegungen nicht verbindet. Oder auch die Beine stacksen so komisch.

Aber ich mus jaz zustimmen, dass für mich persönlich auch die geistige Komponente dazukommen muss. Ein Pferd kann toll trainiert sein, tolle Bewegungen zeigen, aber wenn es geistig nicht entpannt ist, dann wird die vielleicht schöne Bewegung dennoch in einer Form gestört.

Wobei ich schon denke, dass es Rassen gibt und da sind die WB bestimmt recht gut dabei, die oft impnierender und "schwingender" fürs Auge aussehen und man schneller sagt: "wow, DAS ist ein losgelassenes Pferd" und manche Rassen bei gleicher Leistung nicht so ins Auge stechen.

Ich denke, dass man das auch an sich selber nachvollziehen kann, wenn man z.B. eine Sportart betrieben hat, bei der eine fliessende Bewegung zustande kommen kann. Das geht nur über längere Zeit, wenn man einen guten Grundtrainingszustand hat, wenn die Muskeln einen guten Grundtonus haben und man in einem Bereich arbeitet, der zwar Bewegung und Arbeit ist, aber nicht über die Kräfte hinausgehende Anstrengung. Also, wenn ich Muskeln auftrainieren will, dann gehe ich auch mal in den Endkraftbereich. In diesem Moment werde ich bestimmt keine Losgelassenheit mehr zeigen. Wenn ich z.B. laufe und locker durchschwinge, dann kann ich das als untrainierter Läufer halt nur eine gewisse kurze Zeit. Bin ich schon besser trainiert, dann geht es auch länger.

Auch glaube ich, ist es so, dass viele Menschen von ihren Pferden Losgelassenheit einfach erwarten. Das geht nicht so einfach. Das ist mitunter ein Ziel, vor allem, wenn ich ein "verkorkstes" Pferd übernehme. Da kann ich mich nicht hinstellen und sagen: "Lauf mal losgelassen". Da muss ich einen Plan im Kopf haben, der geschickt dem Pferd die notwendigen Parameter mitgbibt. Ich muss Balance vermitteln, ich muss Muskulatur dehnen (auch mal passiv, indem ICH als Mensch das Pferdbein in die Hand nehme und massiere), ich muss Kraft aufbauen, ich muss Kondition aufbauen, ich muss das Tier motivieren, ich muss Ängste und Stress nehmen. Und das ganze Potpourri abgestimmt auf das Individuum. Ich muss die Phasen erkennen, in denen das Pferd endlich losgelassen läuft. Das bestätigen und für Wohlbefinden sorgen.

Natürlich habe ich vielleicht Glück und habe ein Pferd, dass es von sich anbietet. Gut, da muss ich "nur" dafür sorgen, dass ich es erhalte und positiv ausbaue.

Auch hatte ich mal den Effekt, dass ein Pferd auf dem Platzboden fühlig wurde. Das haben wir uns eine Weile betrachtet. Dann haben wir Schuhe angezogen. Plötzlich lief das Pferd viel freier, viel losgelassener. Da hatte sich eigentlich nichts geändert von einem Tag auf den anderen. Hier lag eine Unbehaglichkeit in den Füssen.

Demnach ist die Analyse, was bei meinem Pferd gerade Losgelassenheit verhindert, genauso wichtig.

O.k., lange Rede, kurzer Sinn. Es ist kein einfaches Thema und leicht gesagt und gar nicht so leicht erreicht in der Praxis.
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Hina_DK
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Re: Was ist denn eigentlich "Losgelassenheit"?

Beitrag von Hina_DK »

Interessant ist ja auch, dass die meisten Pferde, wenn sie nicht durch irgendwelche körperlichen Beeinträchtigungen, z.B. Blockaden, irgendwo in der fließenden Bewegung beeinträchtigt sind, freilaufend wunderbare Losgelassenheit zeigen. Kaum sitzt der Reiter drauf, ist es aus. Das zeigt dann auch, wie stark der Reiter diesen Bewegungsablauf beeinflussen kann, wenn er nicht ein Teil dieses Bewegungsflusses wird, unpassende Ausrüstung jetzt mal außen vorgelassen.
Viele Grüße
Hina

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Stjern
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Re: Was ist denn eigentlich "Losgelassenheit"?

Beitrag von Stjern »

Hina_DK hat geschrieben:Interessant ist ja auch, dass die meisten Pferde, wenn sie nicht durch irgendwelche körperlichen Beeinträchtigungen, z.B. Blockaden, irgendwo in der fließenden Bewegung beeinträchtigt sind, freilaufend wunderbare Losgelassenheit zeigen. Kaum sitzt der Reiter drauf, ist es aus. Das zeigt dann auch, wie stark der Reiter diesen Bewegungsablauf beeinflussen kann, wenn er nicht ein Teil dieses Bewegungsflusses wird, unpassende Ausrüstung jetzt mal außen vorgelassen.
:teehee: kaum einer läuft mal eben mit Rucksack losgelassen und frei. Wenn der Rucksack dann noch körperlich oder mental stört, ist es wohl aus mit der Losgelassenheit. Der "optimale Rucksack", behindert nicht bzw. hilft idealerweise ausgleichend und sorgt dafür, dass wir ihn mögen, er uns motiviert und freundlich zuspricht, wenn wir uns nicht trauen. Er gibt uns die Sicherheit eines Fallschirms, wenn wir uns trauen uns fallen zu lassen.

:lol: Vielleicht sollte man die Pferde beim Probereiten fragen, ob denn der Reiter bequem ist und gute Gänge zulässt und noch eine hohe "Rittigkeit" aufweist. :lol:
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Hina_DK
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Re: Was ist denn eigentlich "Losgelassenheit"?

Beitrag von Hina_DK »

BB hat ja zu solchen Dingen immer so schöne Sprüche wie dieser hier ;) : „Ich habe viele Reitpferde gesehen, die unklar gingen. Allerdings gingen alle Lastenpferde mit einem Reisekoffer auf dem Rücken taktrein - unser Ziel ist es also, so gut zu reiten wie ein Reisekoffer."
Viele Grüße
Hina

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Nici_L
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Re: Was ist denn eigentlich "Losgelassenheit"?

Beitrag von Nici_L »

Ich habe zu dem Thema Losgelassenheit ein schönes Kapitel im Buch "Dressage Naturally" von Karen Rohlf gelesen. Sie beschreibt Losgelassenheit als: Das Pferd, "das mit einer freien, dehnbaren Oberlinie geht, während es Fleiß und Gleichgewicht beibehält." Das fasst es für mich sehr schön zusammen. Sie beschreibt desweiteren, wann ein Pferd zwar willig reagiert ("auf Knopfdruck/ aus Reflex)"), dabei aber nicht losgelassen ist und eine Liste mit Merkmalen, woran man erkennt, ob und wann ein Pferd losgelassen ist oder nicht. Am liebsten würde ich das Kapitel komplett zitieren...sie beschreibt das so schön und bildhaft, aber ich denke, das wäre nicht im Sinne der Buchautorin ;)
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Re: Was ist denn eigentlich "Losgelassenheit"?

Beitrag von ehem User »

Aber treibt nicht dann die Reiterin auch dauern und sogar mit Sporen? Keine Frage, das Pferd läuft sehr schön und ich würde auch sagen "losgelassen", vielleicht kann ich es auch nicht richtig sehen.
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Hina_DK
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Re: Was ist denn eigentlich "Losgelassenheit"?

Beitrag von Hina_DK »

Swedenfox hat geschrieben:Aber treibt nicht dann die Reiterin auch dauern und sogar mit Sporen? Keine Frage, das Pferd läuft sehr schön und ich würde auch sagen "losgelassen", vielleicht kann ich es auch nicht richtig sehen.
Tja, wie sagte die Trainerin im CR-Kurs, in dem ich mal war, an dem auch drei Dressurreiterinnen teilnahmen? "Es ist leider eine kulturelle Frage". Die Mädels ritten auch im FN-Stil, wobei auch nicht die FN sagt, dass man das Pferd laufend traktieren soll. Am nächsten Tag gewöhnte sie das den Mädels dann unbemerkt ab ;). Die Pferde liefen vorher übrigens auch ganz toll und hinterher um so besser :).
Viele Grüße
Hina

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Re: Was ist denn eigentlich "Losgelassenheit"?

Beitrag von ehem User »

grad drüber gestolpert

für mich ist losgelassenheit eben NICHT die völlige gelöstheit von körper und geist.
sondern das optimale zusammenspiel aller muskeln - wenn die muskelketten, die muskeln die zusammen und die die antagonistisch wirken, optimal an und abspannen - dann ist das losgelassenheit. so wird die bewegung energieeffizient und das verletzungsrisiko reduziert sich.

wer länger zeit hat, dem empfehle ich, sich mal die arte serie 'im körper der topathleten' anzuschauen, und zwar die folge mit dem sprinter (asafa powell). der hatte im training regelmäßig spitzenleistungen gebracht, im wettkampf machte ihm der stress zu schaffen, die losgelassenheit ging verloren - die muskeln haben nicht mehr optimale zusammengewirkt. er hat sich oft verletzt und lief lange nicht mehr so effizient.
das fand ich wirklcih eindrucksvoll (und die erklären das besser als ich, auch wenn sie nicht den begriff der losgelassenheit verwenden)
und das zeigt eben auch, dass losgelassenheit eben nichts mit tiefenentspannung oder mit schlaffen bewegungen wie im falsch verstadnenen jog zu tun hat, sondern in JEDER bewegung, auch im spitzensport und bei spitzenleistungen vorhanden sein kann und sollte.
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