Herdenchef gibt seinen Posten ab

Moderator: Keshia

roniybb
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Herdenchef gibt seinen Posten ab

Beitrag von roniybb »

Hat das schon mal jemand beobachtet?

Ich glaube, mein alter (20Jahre) Herdenchef gibt seinen Posten so langsam an einen jüngeren Wallach ab.
Der Jungsche durfte früher nie in seiner Nähe stehen, nun zusammen unter einem Dach, der Jungsche darf die Herde "anschieben" usw.

Weiss jemand, wie so etwas "praktiziert" wird bei Pferden?
Der Chef macht insgesamt einen sehr ruhigen Eindruck, fast müde.
So kenn ich ihn gar nicht...?

Vielleicht kennt jemand so etwas?

Sie stehen in einer festen Herdenkonstellation, seit über einem Jahr..
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kolyma
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Re: Herdenchef gibt seinen Posten ab

Beitrag von kolyma »

Momentan gibts mehrere Studien die anzweifeln, dass es strigente Rangfolgen bei Pferden überhaupt gibt. Bei Beobachtungen von wild lebenden Koniks konnte festgestellt werden, dass jedes Tier in der Lage ist die Herde zu bewegen. In aller Regel braucht das Tier dazu einfach nur los zu gehen.

Ich beobachte auch immer wieder - selbst bei lange zusammen lebenden Herden - dass die Rangpositionen immer wieder wechseln. Je nach dem was anliegt.

Wenn man jetzt davon ausgeht, dass es hirarchische Strukturen bei Pferden gibt, dann ist es vermutlich völlig natürlich, dass ein altes Pferd irgendwann nicht mehr die Kraft hat, permanent Kontrolle auszuüben. Dein Wallach wird sich jetzt vermutlich aufs Altenteil zurück ziehen. Mir wäre das jedenfalls lieber, als wenn er sich mit dem Youngster anlegt - der Jungspund hat sicher mehr Kraft und Ausdauer als er. Das wird er auch wissen. Sich hier zurück zu halten ist vermutlich auch sehr klug.

Was ich schon oft beobachten konnte ist, dass alte Pferde - wenn sie dann gebrechlich werden - wirklich massivst ausgegrenzt werden. Anfangs irgnoriert, dann ausgesondert und am Ende aus der Herde verstoßen. Ich denke auch das ist völlig natürliches Verhalten - immerhin zieht ein altersschwaches Tier Fressfeinde an.
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roniybb
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Re: Herdenchef gibt seinen Posten ab

Beitrag von roniybb »

Naja, bis jetzt war er wirklich super dominant, hat seine Herde aggressiv gg alles Fremde verteidigt, es war super schwer, ein neues Pferd einzugliedern.
Ich mach mir halt Sorgen um ihn, er ist so ruhiig..andererseits ist der Posten ja Stress, vielleicht ist es einfach so wie du sagst...
Vielleicht hilft MIR eine TK um meine Ruhe zu finden.. :oops:
ehem User

Re: Herdenchef gibt seinen Posten ab

Beitrag von ehem User »

Ich denke schon, dass es hierarchische Strukturen gibt; zumindest ist das meine Beobachtung.
Das ist nicht starr, aber grundsätzlich ändert sich gerade in einer festen Herde (Bestand ändert sich nicht jedes Jahr in irgendeiner Form durch Zu- oder Abgänge) vor allem die Frage, wer wen schicken darf, eher nicht.
Ansonsten ist es vor allem ein MITeinander, ohne dass permanent auf Hierarchien bestanden würde, wie das vielleicht bei Menschen der Fall wäre. ;)

Meine Beobachtung ist aber auch, dass der Posten des Ranghöchsten (oder wie auch immer man das nennen möchte) aus Stress besetzt ist - der Chef schickt die anderen zB deutlich mehr als nötig wäre oder passt auf alles auf, weil er diese Aufgabe keinem anderen Pferd zumutet.

Von daher kann es ja zB auch einfach sein, dass der jüngere Wallach bei dir, roniybb, Souveränität bekommt oder vermitteln kann und so der Ältere froh ist, diese Verantwortung abgeben zu können.
roniybb
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Re: Herdenchef gibt seinen Posten ab

Beitrag von roniybb »

ja, ich glaube, so wird es wohl sein. Der Friese macht einen sehr ruhigen, entspannten Eindruck, keineswegs unglücklich.er knubbelt sogar mit dem Jungschen rum, das haben die NIE gemacht..
Ich hatte manchmal den Eindruck, dass ihn der Posten des Aufpassers in der letzen Zeit sehr angestrengt hat.
Meine Beobachtung ist, dass er momentan zwar das Zepter noch in der Hand hat, aber es Stück für Stück abgibt....quasi manche Situationen abgibt, manche aber selbst noch bestimmt...im Grossen und Ganzen sich aber etwas zurückzieht.
Vielleicht interpretier ich das auch nur so....aber leidend ist er nicht und das ist mir wichtig...

Beim Reiten merke ich keinen Unterschied, da diskutiert er nach wie vor mit mir... :roll:
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kolyma
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Re: Herdenchef gibt seinen Posten ab

Beitrag von kolyma »

Führung ist nicht immer nur mit Privilegien besetzt. Führung ist viel Verantwortung und Belastung. Nehme an, jetzt wo dein Wallach das abgibt, wird er einfach entspannter sein. Ich denke für ihn hat das viele positive Effekte.

Mein Wallach ist einer, der gerne kontrolliert und aufpasst. Als er in den Stall zog, hat er kein schlafendes Pferd im Nachbarstall aus den Augen gelassen. Er hat sich so gut wie ne hingelegt, da er ja aufpassen musste.

Jetzt gibt er die Führung gerne an seine Stute ab. Sie bestimmt wo sich die kleine Herde wann aufhält und er dappt dann mit. Seit ich beobachte, dass er viel an die Stute abtritt, merke ich auch - am Fell - dass er sich mehr ablegt. Natürlich lässt er sich nach wie vor nicht die Butter vom Brot nehmen. Aber wenn er gerade nicht mag, dann darf sie gerne seinen Job machen.
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Trixi J
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Re: Herdenchef gibt seinen Posten ab

Beitrag von Trixi J »

Ich habe das bei meinem Pferdeopi damals sehr bewusst miterlebt. Er war lange ein sehr souveräner, selbstbewusster Chef und hat seinen Posten auch so langsam Stück für Stück abgegeben.
Eine Zeitlang hatte er schon im höheren Alter "seine" auch alte, halbblinde Stute immer an seiner Seite, sie hat sich nur an ihm orientiert und er hat sie beschützt. Als die Stute dann eingeschläfert werden musste, hatte ich Angst, dass er sehr leiden würde.
Stattdessen ging es ihm besser und er war danach eher wieder wacher und agiler - ich glaube er hatte wirklich Stress als ihr Beschützer. Wie schon gesagt, ranghoch zu sein und aufpassen zu müssen, kann auch anstrengend für ältere Pferde sein.

Er ist 34 jahre alt geworden, die letzten Jahre davon fast ohne Zähne. In seinen letzten Jahren habe ich ihn über Nacht mit einem anderen alten Wallach von den jüngeren getrennt, diese Ruhephasen brauchte er auf jeden Fall, um einfach zu regenerieren. Aber trotzdem ist er bis in seine letzten Tage zusammen mit den anderen auf die Weide gelaufen.

Was es bei ihm überhaupt nicht gab, war das "Ausgrenzen". Habe ich bei anderen alten, schwachen Pferden auch schon erlebt, bei ihm nicht. Er war irgendwie ausserhalb der Rangfolge. Nicht Chef, aber wenn er schauen wollte, ob die Jungspunde vielleicht Heu haben,was er kauen könnte ( konnte er eh ohne Zähne nicht, aber man muss sich ja sicher sein ;) ) wurde ihm selbstverständlich Platz gemacht. Mähne kraulen haben " seine " Stuten immer auf Ansage gemacht. Und als er ganz zum Schluss schon manchmal Probleme mit dem Aufstehen hatte, hat ein junger Wallach ganz vorsichtig versucht, ihn zum Aufstehen zu bewegen. Mit anstupsen, neben ihm stehen bleiben, warten, nochmal wieder .... als ob er wüsste, dass liegen bleiben nicht gut ist.

Es war ganz oft schwer, dieses langsame Abbauen mit anzuschauen, aber es war auch eine ganz tolle Erfahrung. Für mich hatte er mit seiner starken Persönlichkeit unglaublich viel Würde und Weisheit im Alter.

Lg, Trixi
roniybb
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Re: Herdenchef gibt seinen Posten ab

Beitrag von roniybb »

Oh Trixi danke, so ähnlich ist es auch, bzw wird es wohl werden. Es ist jetzt schon komisch, das ganze zu beobachten- er ist auch schon 16 Jahre da und immer souverän und dominant gewesen..Mal schauen...
Danke euch für die interessanten Antworten, ich bin etwas beruhigt. Und Nachts werde ich die beiden alten in die Box stellen, dass sie in Ruhe kauen können, ich glaube auch, das wird ihnen gut tun...
Trixi J
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Re: Herdenchef gibt seinen Posten ab

Beitrag von Trixi J »

Ich drück dir die Daumen, es wird sich einspielen ! Alte ranghohe Pferde haben für mich eine ganz besondere Ausstrahlung. Meiner hat irgendwann angefangen, alle Menschen im Stall als sein persönliches Dienstpersonal zu betrachten. "Füttere mich, kraul mich, und zwar gleich." Und es hat für ihn ziemlich gut funktioniert :-)
roniybb
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Re: Herdenchef gibt seinen Posten ab

Beitrag von roniybb »

Momentan beobachtet er mich, sobald ich mich dem Paddock nähere, steht am Reitplatz und schaut zu, wenn ich andere Pferde reite, läuft mir hinterher...kenne ich so überhaupt nicht. Er war früher von völligem Desinteresse an meiner Person geprägt, und vor allem am reiten. Nun hab ich schon fast ein schlechtes Gewissen wenn ich ein anderes Pferd sattel... :oops:
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