Nur die halbe Halle

Moderator: Keshia

ehem User

Nur die halbe Halle

Beitrag von ehem User »

Ich weiß, es ist kein neues Thema, aber es fängt an, mich aufzufressen.

Wir stehen seit zwei Jahren nun in einem kleinen, wunderbaren Stall mit Offenstallhaltung. Mein Pferd ist gut integriert, tatsächlich sogar Herdenchef und fühlt sich dort draußen wohl.
Wir beiden sind in dieser Zeit ebenfalls gut zusammengewachsen, nachdem es im ersten Stall so gar nicht funktionierte. Ich reite ihn klassisch-barock, mit regelmäßigem Unterricht, mache viel Handarbeit mit ihm, aufgelockert durch longieren, Bodenarbeit oder einfach Spielenachmittage.

Er ist ein anhängliches, mittlerweile verschmustes Pferd, das gern mit mir zusammen ist.
Wenn da nicht seine Nerven wären ... Das Positive ist: Er bockt oder buckelt nicht, er rast nicht kopflos davon oder steigt. Das Negative: Er zuckt mit allen vier Hufen zusammen, friert gern mal ein (Kopf in den Wolken), hüpft mal kurz zur Seite oder läuft ein paar Meter.
Ich war bisher der Ansicht, wir hätten das im Laufe der zwei Jahre gut in den Griff bekommen. Ja, er ist memmig, aber zusammen kommen wir da durch. Bis zu diesem Winter.

Unsere Halle ist klein, 15x30, mit Eingang vorn oder hinten an den kurzen Seiten. Die langen Seiten sind offen, das heißt, sämtliche Geräusche von außen (Hundegebell, Autos, Kinder, Traktoren ...) sind ihm vertraut. Nun ist es aber so, daß wir seit Monaten unsere Arbeit mehr oder weniger auf den unteren Zirkel beschränken müssen - mein Pferd ist verschreckt und kopflos, wenn es weiter nach oben geht. Ich habe angefangen, Pylonengassen zu stellen, die er (häufig, nicht immer) annimmt, aber dennoch ängstlich und angespannt da durch zuckelt, um dann gaaaaanz schnell wieder in die sichere untere Ecke zu kommen.
Seit einiger Zeit habe ich es uns angewöhnt, unten in die Halle hinein, oben heraus. Es klappt bestens! Kein Zögern mehr, kein Herumzappeln, denn es geht ja raus. Aber reiten dort oben, longieren, Bodenarbeit? Absolut nein.
"Kopf runter" - eine unsere liebsten Übungen ... nur, wenn er meint, da ist es gefährlich, dann kann ich ihn kaum vom Gegenteil überzeugen.

Ein großes Problem kommt dazu: Ich und meine Nerven. Denn das Getue zerrt echt an den Nerven, es fällt mir zunehmend schwer, mich auf Positives zu konzentrieren und eben nicht dieses "Gleich geht es wieder los"-Denken zu haben. Innere Bilder, andere Pferde, andere Menschen in der Halle - schön und gut, aber gerade die letzten beiden sind eben nicht immer gegeben. Ich ertappe mich dabei, mich vor dem Reiten zu drücken, dabei reite ich ihn wahnsinnig gern! Er wird immer besser, es macht soviel Spaß, seine tollen Fortschritte zu erleben! Aber ...
Gerade heute hatte ich wieder so einen Tag. Ich weiß nicht wie es geht, einfach "locker zu bleiben und drüberweg zu reiten". Ich bekomme meinen Kopf nicht ausgeschaltet, oder zumindest nicht immer. Sowie er ruhig war und sich konzentrierte hatten wir Sternstunden ...

Ihr seht schon -ich weiß, es liegt an mir. Aber wie komme ich da raus? Anti-Angst-Kurs habe ich, hab ich durchgearbeitet ... Hat irgendwer noch einen Tip, was wir, was ich tun könnte? :(
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Equester
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Re: Nur die halbe Halle

Beitrag von Equester »

Hast Du Dich schon mal geclickert?
wir machen aus :hm: ein :dafuer2:
ehem User

Re: Nur die halbe Halle

Beitrag von ehem User »

Du meinst, in die Gruselecke? Ja. Ihm fehlt es allerdings völlig an Konzentration, wenn er aufpassen muss, daß er dort hinten am Leben bleibt ... :shock:
Clickern kann ich mit ihm nur, wenn er mir auch zuhört. Das geht weiter vorn gut, im Stall perfekt.
Ein bisschen hilft Spanischen Schritt Richtung Gruselseite zu machen - quasi die Monster wegtreten. Aber eine grundlegende Lösung ist das auch alles nicht.
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Keshia
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Re: Nur die halbe Halle

Beitrag von Keshia »

Nee, nee, hast du DICH mal geklickert? :-n

Vielleicht kann es helfen, daß du es dir dort so angenehm wie möglich machst und in den ersten Einheiten gar nicht verlangst, daß dein Hü mit dir kommt. Mach Freiarbeit, halte du dich nur noch dort oben auf und laß ihn selbst entscheiden, ob er zu dir kommen mag oder nicht. Nimm dir selbst Kekse mit oder ein gutes Buch :lol:
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faraway
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Re: Nur die halbe Halle

Beitrag von faraway »

Eine Lösung habe ich leider nicht - aber das gleiche Problem :zunge:
Bei uns hilft nur tägliches in-der-Halle-sein, und wenn es nur 5 min nach der eigentlichen Arbeit auf dem Platz sind. Nach zwei Tagen Pause ist aber alles wieder genau so schlimm wie vorher. Und ja, auch ich weiß, dass meine Erwartungshaltung das größte Problem ist.
Equester, wie clickert man sich selber? Gummibärchen in der linken und Möhrchen für Pony in der rechten Tasche und dann beim Reiten naschen? :sofort: Könnte mir vorstellen, dass ich dann vor lauter "soll ich mir nicht doch einfach so ein Gummibärchen nehmen" gar nicht mehr an unser Problem denke...
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Re: Nur die halbe Halle

Beitrag von Caro-Lina »

faraway hat geschrieben: Könnte mir vorstellen, dass ich dann vor lauter "soll ich mir nicht doch einfach so ein Gummibärchen nehmen" gar nicht mehr an unser Problem denke...

Siehst Du.........und SO soll es wahrscheinlich sein :lol:

Hab ich aber auch nie drüber nachgedacht, dass das ja vielleicht auch funktioniert/funktionieren könnte ;)
Viele Grüße von Caro-Lina
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Corry
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Re: Nur die halbe Halle

Beitrag von Corry »

Hallo!
Ich kann dich gut verstehen (übrigens auch die "Angst", nicht mehr reiten zu wollen). Uns geht es genauso! Bei uns ist dann aber leider auch noch bocken angesagt, was meine Sorge, dass in dieser bösen Ecke etwas passieren könnte, natürlich nicht geringer macht... :-o
Am Freitag habe ich Gustav in der Halle frei laufen lassen, auch dann meidet er natürlich diesen Bereich. Einmal ging er hin und hat sich die Sache mal ganz genau angeschaut - mir kam dann (leider erst) später, die Idee, dass ich mich dort hinstelle, Leckerlies verteile... Vielleicht kann ich ihm dadurch zeigen, dass es dort gar nicht so schlimm ist, wie wir beide meinen. ;)
Auch ich bin über Ratschläge dankbar!

Lieber Gruß
Corry
P.S.: Gustav steht in einem Offenstall und wird fast täglich bewegt...
ehem User

Re: Nur die halbe Halle

Beitrag von ehem User »

Ich (hoffentlich) hatte auch so ein Problem bei uns auf dem Platz. Mein Dicker hatte massive Angst, weil tatsächlich 200m weiter ein Tigergehege ist. Er war vollkommen verspannt, rannte mich vollkommen untypisch über den Haufen und wollte nur noch weg. Ebenso beim Reiten, wenn ich ihn da unter Kontrolle bringen wollte, fühlte es sich eingeengt und bockte und stieg.

Longieren oder Handarbeit geht immernoch nicht, Reiten schon. Ich hab allerdings extrem viel Überwindung gebraucht, um es umzusetzen: Wenn ich merke, dass er sich unter mir nur ein Mü anspannt, Zügel aus der Hand kauen lassen bzw. Zügel in eine hand nehmen und am Hals klopfen/loben. Das Loben mit der Stimme bringt in dem Fall nichts, man muss sich selbst aus der Position rausbringen und den Focus auf etwas anderes lenken. Auch nur am Hals klopfen ohne Zügel zu verlängern und in eine Hand zu nehmen funktioniert nicht.

Im Grunde entspannt man sich aktiv selbst, ich kann die Zügel nicht aus der Hand kauen lassen und den Hals klopfen, wenn ich verkrampft bin.

Seitdem können wir wieder durch jede Ecke in Dehnungshaltung traben und galoppieren, vor drei Monaten ein Ding der Unmöglichkeit. Am Boden hab ich noch nicht so die zündende Idee, ich war aber im Sattel schohn immer überzeugender als am Boden :lol:

Edit: ich hab auch schon einen kompletten Tag (!!!!) auf einem Stuhl in der Ecke gehockt und versucht zu clickern bzw. teilweise auch geclickert -> keine Chance. Er hat so massive Angst, dass ihm das Clickern vollkommen egal war.
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Equester
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Re: Nur die halbe Halle

Beitrag von Equester »

ich meine tatsächlich Dich selber clickern, denn ich denke, dass irgendwann mal ein Problem da war, Pferd hat reagiert, Du hast Dich erschrocken. Danach war immer so der Gedanke da, es könnte..... ganz leise und unauffällig, Pferd hat es registriert, war angespannt und das Unterbewußtsein sagte: siehte, ich wußte es doch.

Auch wenn man jetzt sagt, so ist es bei mir nicht, bin ich mir sicher, dass jetzt der Mensch und nicht mehr das Pferd das Problem ist. Das Pferd nimmt nur die Stimmung auf und reagiert entsprechend (mein Mensch fühlt,, dass da was kommt - *wegsaus* ), damit wird jedesmal Dein Gefühl bestätigt und wir haben uns eine wunderbare nach oben offene Spirale gebastelt, ganz ohne fremde Anleitung :nix: .

Mit sich selber clickern meine ich Folgendes:

Du nimmst das Pony an den langen Strick, Ziel ist es, dass Du einen Punkt erreichst, der deutlich vor der Stelle liegt, "wo das Pferd Angst hat" . Wenn Du den erreicht hast, belohnst Du Dich. Ich belohne mich mit Gummibärchen, wenn ich gut war..... :whistle: . Wenn Du den Punkt mind. 3x erreicht hast, ohne dass Dein Puls kleine Bläschen absondert, gehst Du einen Schritt weiter und belohnst Dich wieder, Pony dabei immer am langen Strick, aber Pony ist Nebensache, es muss nichts tun. Sei großzügig zu Dir und wähle einen Punkt der sehr weit von der eigentlichen Angststelle entfernt ist und arbeite Dich behutsam ran. Nicht an einem Tag und nicht in einer Woche,, nimm Dir die Zeit, die Du brauchst, bis jeweils Dein Puls völlig normal bleibt, wenn Du die Ecke anguckst. Gehe immer nur soweit, wie Du Dir selber traust, dass "das Pferd bis dahin keine Angst hat" und gehe erst einen Schritt weiter, bis Du Dich an der zuvor gewählten Stelle richtig wohl fühlst.

Das ist ein wenig langweilig und dauert vielleicht auch lange, aber dafür hat man es dann auch durch ;) . Ich bin mir ziemlich sicher, wenn Du keinen Kreislauf mehr hast, hat das Pferd auch keinen mehr..... :whistle:
wir machen aus :hm: ein :dafuer2:
ehem User

Re: Nur die halbe Halle

Beitrag von ehem User »

Equester - die Idee ist gar nicht so dumm. Eventuell bau ich das mal ein. :-D

Aber eins will ich euch nicht vorenthalten - mein megatolles Erlebnis heute morgen.

Ich habe in unserem Stall noch ein Hafi "adoptiert" - steht rum und wird fett, dagegen kann man etwas tun. Nun ist das ein Hafi-Tier, d.h. gesegnet mit einer guten Portion Eigensinnigkeit, aber grundsätzlich cool und unerschrocken. Solange das Reiterlein oben drauf sich auf ihn konzentriert und die Ansicht vertritt, "Ich weiß, was wir hier tun". Ein paar Mal hat er mir in genau derselben Ecke erzählen wollen, das sei dort tödlich ... Nun kenne ich ihn aber unter zahlreichen anderen Reitern, Schülern ... und habe seinen Einwand ignoriert und weiter gearbeitet. Kurz gesagt: Mittlerweile sind wir so toll zusammengewachsen, es macht wahnsinnig Spaß ihn zu reiten, es gibt fast nichts, was er nicht kann und unangenehm werden im Sinne von "reiss dich zusammen!" muss ich ihm gegenüber gar nicht mehr.

Bisher habe ich ihn nach meinem Großen geritten, heute habe ich die Reihenfolge umgedreht. Mit dem Erfolg, daß wir eine völlig lockere Einheit vorweg hatten, Monster waren alle vertrieben :mrgreen: und mein Großer hat eine total gelassene Longeneinheit von mir bekommen. Da oben, wo es sonst so gar nicht geht. Ich habe drei Pylonen aufgestellt und mich voll und ganz darauf konzentriert, daß er sich fallen lässt, schön untertritt, bei mir bleibt, durch die Pylonen, außen herum, innen herum, Tempowechsel bis zum Abwinken in allen drei Gangarten. Kein Stressprogramm, aber deutliche Aufmerksamkeit und zwar von ihm und MIR.

Das hatte dann den ähnlichen Effekt wie Clickern. Konzentration auf das Wesentlich. Meine Trainerin sagte mal, "mach kein Thema draus - weder ihm noch dir gegenüber". Leichter gesagt als getan, aber es hat wirklich funktioniert heute morgen. Wir haben gemeinsam die Pylonen wieder eingesammelt, sind auch brav dort oben aus der Halle und das alles ohne Gehüpfe, Gezicke und Geschnaufe.

Als ich ihn zurück nach draußen bringen wollte, wich er mich nicht mehr von der Seite, obwohl die Kollegen lecker neues Heu bekommen hatten: Ich habe ihm immer wieder gesagt wie toll er ist, wie stolz ich auf ihn bin - allerdings erst nachdem wir komplett fertig in der Halle waren. Lob ja, aber in Maßen, denn wir ARBEITEN dort ja und das ist alles völlig normal. Nett, aber mit Ziel. Daß mir fast die Tränen vor Rührung kamen hab ich ihm erst im Anschluss klarmachen können.

Ich hoffe wirklich, wir schaffen es so weiter. Es wird sicher immer wieder die Momente geben, wo draußen ein Auto losfährt und der Herr das als gefährlich einstuft - ich muss da wohl eher auf mich bauen und mir sagen, ok, ist so, aber nun machen wir nett weiter. DIE Gelassenheit ist es einfach, die mir noch fehlt.

Die Gummibärchen klingen gut, das versuche ich auf jeden Fall mal. :dance1:

@BarockTraki: Tigergehege??? Ui, das ist verschärft! Aber die Rehe auf dem Nachbargrundstück sind mindestens so gruselig ... :twisted:
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