Die Macht des Clickerns

Moderator: Keshia

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Scheckenfan
Pegasus
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Die Macht des Clickerns

Beitrag von Scheckenfan »

Ich wollt einfach mal einen kleinen Bericht hier lassen, weil ich die Entwicklung so toll fand:

Mein Freund (M.) hat seit einem knappen Jahr eine Reitbeteiligung an einem Hackney, Hugo.
Hugo war schon belgischer Meister im Showfahren (mit Strampeln und allen Finessen :roll: was Ausrüstung dafür angeht) und stand, bevor er zu seiner jetzigen Besitzerin kam, bei einem Händler, wo er schlecht ernährt und schlecht behandelt wurde.
Kurz nachdem Hugo auf dem Hof war, wurde M. seine RB.
Zu dem Zeitpunkt war Hugo totenbrav - von außen gesehen. Ich denke, es war erlernte Hilflosigkeit. Wenn er nicht wusste, was man wollte, blieb er stocksteif stehen und machte NICHTS mehr, nur die Augen rollten noch.
Da der Sattel nicht passte und die Neubeschaffung seitens Besi wohl schwierig war (und immer noch ist) gab's das erste halbe Jahr nur Bodenarbeit, zumal Pferd muskulär auch ziemlich runter war (bedingt durch den Futterzustand).
Nach und nach wurde Hugo wieder runder und nahm zu, und dadurch bedingt und durch die Clickerei "erwachte" er plötzlich - und wurde prompt viel schwieriger, als er vorher war.
Denn er hatte vor allem Angst. Ein vorbeilaufender Hund, eine sich leicht bewegende Dualgasse, ein Mensch, der in die Hände klatscht, ein sich abrupt bewegender Mensch, ein Regenschirm - alles löste regelrechte Panik aus. Bei einem Spaziergang riss er sich - trotz sehr ruhiger Begleitung in Form von zwei Pferden - los und galoppierte Minutenlang über ein Feld, in riesigen Kreisen.
Überhaupt war seine Reaktion auf alles Unbekannte, Gruselige erstmal Flucht.
Er war enorm Kopfscheu, schon Halfter aufziehen musste bedächtig ausgeführt werden, jede Bewegung zu ihm hin mit Bedacht getan.
Er hatte extremen Sattelzwang, gurtete man normal an "grunzte" er und ging in die Knie (Rücken war ok, es war wirklich nur die Angst vorm Schmerz!).

Nach inzwischen fast einem Jahr hat sich dieses Pferd komplett "gedreht".
Wir üben derzeit am berittenen Kampf, mit lautem Schwertgeklirr etc., M. reitet in Rüstung, die echt komisch aussehen muss für ein Pferd, er kann allein mit Hugo ausreiten, Spazierengehen ist total entspannt, berittenes Bogenschießen hat er von vornherein problemlos mitgemacht.
Letztens ist eine Plane direkt auf ihn zugeflogen, und er hat nur mal kurz eine Augenbraue gelüpft und nichts gemacht obwohl die die Plane dann um seine Beine wickelte.
Und gestern war irgendwo ein Schlüsselerlebnis, seitdem ich sage: Dieses Pferd hat sich wirklich verändert.

Zum einen ist M. beim Abbau mit allen Dualgassen zu Hugo gegangen, der frei stand, und hat ihn damit berührt, beworfen, an ihm lang gedrängelt (da stand noch ein gewisser Schecke im Weg :whistle: ) - kein Problem.
Wir hatten ein neues Spielzeug in Form einer großen,roten Fahne die bei schneller Bewegung recht laut knattert - er konnte sie problemlos aus dem Sattel aufnehmen, und innerhalb von 5 Minuten die Fahne im Schritt und Trab rund um Hugo schwenken und ihm im Stand die Fahne übers Gesicht legen - und hatte ein ganz entspanntes Pferd dabei.
Und nach dem Rausbringen auf die Koppel standen wir außerhalb der Koppel und warteten, dass ein anderes Pferd aufgefressen hat und M. war langweilig und fing an, das Halfter um sich zu schwingen und damit Brennesseln zu töten. Hugo hätte meilenweit Platz gehabt - aber stattdessen ist er aktiv in Richtung von M. gegangen und hat direkt am Zaun gewartet - gibt doch bestimmt nen Keks.

:faery: :wah: :breitgrins1:

Ich find's echt irre - und freu mich ungemein, denn ganz offensichtlich hat er auch eine Menge gelernt für sein Leben außerhalb der Bespaßungszeit - er ist so viel selbstbewusster, in sich ruhender geworden, und hat somit viel wengier Stress.

:breitgrins:
Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst in dieser Welt.
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Jochen
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Re: Die Macht des Clickerns

Beitrag von Jochen »

Ob's am Clickern liegt, darüber kann ich nichts sagen.

Aber ich finde dieses "Erst mal 'n Pferd draus machen, dann sehen wir weiter" immer wieder super!
Halt mich fern von der Weisheit, die nicht weint, der Philosophie, die nicht lacht,
und der Größe, die sich nicht vor Kindern verbeugt.


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Scheckenfan
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Re: Die Macht des Clickerns

Beitrag von Scheckenfan »

:nix: Wir haben nur genommen, was kam. Am Anfang war er ja das perfekte Anfängerpferd: ruhig, brav, bedächtig, bleibt im Notfall stehen.
Zwischendurch hab ich gedacht, der wird NIIIEEEE ein gelassener Freizeitpartner - zumal mein Freund ja nur zweimal die Woche da ist!

Aber diese Wandlung, von stocksteif, zu panischer Flucht, zu ich guck mir das mal vorsichtig an denn das gibt bestimmt Leckerlis find ich einfach genial :love:

Oh, und muss ich erwähnen dass er in der Herde von Prügelknabe zu Anführer aufgestiegen ist? An ganz erster Stelle ist er nicht, aber schon sehr weit oben. Vorher war er ständig verletzt, nun ist er *toitoitoi* seit Wochen durchgängig fit & heile.
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Wallinka
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Re: Die Macht des Clickerns

Beitrag von Wallinka »

:hapseufz: :gut:
Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie, was man bekommt.
ehem User

Re: Die Macht des Clickerns

Beitrag von ehem User »

Das klingt wunderbar!

Wir haben uns ja auch die böse Welt auf Spaziergängen erklickert. Und ich freue mich auch jedesmal wie ein Schneekönig, wenn wir wieder eine "Gefahr" lässig und souverän gemeistert haben. Inzwischen läuft das bei uns so ab: gucken, vielleicht nochmal gucken, Hals fallen lassen (click), weiter gehts, zufrieden Abschnauben. Ich habe immer den Eindruck sie ist dann zufrieden mit sich selbst.
Kuhweiden waren letztes Jahr nahezu lebensgefährlich. Inzwischen läßt sie den Kopf fallen wenn sie irgendwo Kühe sieht, weil sie es wirklich nicht mehr wahnsinnig aufregend findet, mein Click ist dabei fast nebensächlich geworden.
ehem User

Re: Die Macht des Clickerns

Beitrag von ehem User »

Toll! :clap:


Ich habe ähnliche Erfahrungen mit verschiedenen Pferden gemacht, teilweise mit Null Bock-/"Der Mensch ist blöd und langweilig"-Einstellung, aber auch welche die in der erlernten Hilflosigkeit feststeckten.
Nach einigen Wochen/Monaten, je nach Charakter, waren alle viel offener, freundlicher und vor allem an der Zusammenarbeit interessiert. Sie haben ihre Umwelt mehr wahrgenommen und sich durchaus auch mal vor etwas gefürchtet an dem sie vorher totbrav vorbeigezockelt wären. Das war jedes Mal sehr schön zu sehen und zeigt mir immer wieder, dass mit Clickertraining (fast) alles zu erreichen ist! :dance1:


Erst heute hatte ich so ein Erlebnis:
Mein RB-Pferdchen betreue ich seit November letzten Jahres, nach der ersten Kennenlernphase waren wir viel spazieren. Dabei ist der alte Herr mir immer brav hinterhergezockelt, aber wirklich Interesse oder Begeisterung zeigte er nie, trotz all meiner Bemühungen (Tempowechsel, auch mal ein flotter Trab *keuch* kleine Übungen wie Stehenbleiben, Warten und Abrufen, Rückwärts und daraus wieder flott vorwärts uvm) Er kam mir oft vor wie ein Kind das man durch ein langweiliges Museum schleppt - es macht halt brav mit, langweilt sich aber eigentlich zu Tode. :roll:
Durch eine Stallwechsel und eine langwierige Lahmheit sind wir seit *grübel* Februar an den Stall gefesselt, haben in der Zeit viele Übungen für die Kreativität, Eigeninitiative, Förderung des Selbstbewusstseins, das gegenseitige Vertrauen uvm gemacht, sprich: Alles was uns Spaß macht!
Seit zwei Wochen erobern wir Stück für Stück wieder die "Welt da draußen" in kleinen Schritten (zum einen weil das Bein noch nicht ganz in Ordnung ist und zum anderen kennen wir die Umgebung nicht). Heute waren wir eine halbe Stunde unterwegs auf einem Weg, für den man normalerweise 10 Minuten brauchen würde.
Warum? Weil mein Großer Begeisterung zeigte, ganz viele Dinge beschnüffeln und unter die Lupe nehmen musste, interessiert umherguckte und nie mehr als fünf Schritte gehen konnte ohne etwas Interessantes zu entdecken das er untersuchen wollte. :lol: Ich habe mich SO sehr über diese Entwicklung gefreut ... da ist es doch egal, ob wir Strecke machen oder nicht. Das kommt auch irgendwann wieder. Momentan genieße ich es einfach ihn so begeistert und unternehmungslustig zu sehen und finde es spannend, wohin es ihn zieht (solange er nicht versucht in die Sandkiste der Nachbarskinder zu klettern - ja, das hatte er wirklich vor :lol: - oder andere verbotene/gefährliche Wege einschlägt, darf er momentan entscheiden wohin er gehen und was er sich ansehen möchte.
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Scheckenfan
Pegasus
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Re: Die Macht des Clickerns

Beitrag von Scheckenfan »

:clap: Cool!

Gern noch viel mehr Berichte, die Mut machen und vielleicht sogar den einen oder anderen Skeptiker überzeugen können!
Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst in dieser Welt.
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cabrito
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Re: Die Macht des Clickerns

Beitrag von cabrito »

Meine 4,5 Jahre junge Frida ist ja ein ziemlich selbstbewusstes Temperamentsbündel. Wenn sie etwas doof findet, dann tut sie das auch vollumfänglich, bis dahin, dass sie auf den Hinterfüßen vor einem steht. wir clickern seit bestimmt 2 Jahren Alltagskram und Blödsinn und seitdem hat sich unser Verhältnis und ihr Verhältnis und Verhalten dem Menschen generell gegenüber unfassbar geändert. gestern wollten wir mal wieder eine kleine Runde ins Gelände gehen, und ich wollte sie gegen die Bremsen einsprühen. Dieses Zeug findet sie richtig doof und sie war sofort mit vollem Körpereinsatz :dagegen:. Ich habe sie dann losgebunden, damit sie die "Wahl hatte zu gehen" aber auch das hat erst einmal nicht geholfen. Dann hab ich das Einsprühen geclickert-gespannt beobachtet von Stallbesi und Miteinstellerin. Es hat keine 30 Sekunden gedauert, bis Frida vom wutschnaubenden Feuerroß zum Lämmchen geworden war, das sich mit Strick über den Hals gelegt freistehend überall von mir einsprühen ließ und das nur mit ein paar "Clicks".

LG cabrito
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Never Mind
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Re: Die Macht des Clickerns

Beitrag von Never Mind »

:sigh: die Geschichte erinnert mich irgendwie an uns .träne wegwisch.
Immer wieder Wahnsinn, wie angenehm und schön man damit das Leben für beide Seiten machen kann :-n :hapseufz:
Reiten ist eine Schule von Verzicht und Demut.

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Scheckenfan
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Re: Die Macht des Clickerns

Beitrag von Scheckenfan »

Ich hab ne neue Story für diese Ecke.

Komme gerade von einem Tinkertier wieder. Genaue Vorgeschichte kenne ich nicht, aber unproblematisch wird die nicht sein :frech:

Der Mann der Besi ist Schmied :hahano: und macht auch gute Arbeit, so nach dem, wie ich die Hufe vorgefunden hab. Pferd & Schmied sind sich aber nicht grün, Hufbearbeitung ist immer in einen Kampf ausgartet, zuletzt konnte nur noch unter Sedierung gearbeitet werden :ohhh:

Die Besi hat mit ein bisschen bekniet, aber bei den Stories, die ich von ihr schon gehört hatte, MUSSTE ich einfach die lange Fahrt auf mich nehmen und mir das ansehen. Zumal die Besi durchaus sehr alternativ unterwegs ist und das Wesen ihres Pferds sensibel wahrnimmt.

Bei unserer ersten Begegnung war das Pferd sehr misstrauisch und eigentlich ständig auf der Flucht. Vorne bekam ich die Hufe für 5-6 Sekunden im Durchschnitt, hinten nur mit viel Überredung für länger als nen Augenblick, ich konnte anfangs nicht mal nen Schnitt setzen mit dem Hufmesser.
Bei diesem Pferd war aber total klar: Das ist Angst, keine Widersetzlichkeit. Und wenn man hier laut/ungeduldig/grob oder auch nur konsequent-strikt durchgreifend wird, ist's vorbei. :ohhh:
Wovor genau sie Angst hat, wissen wir nicht. Sie hat ein Hautproblem an den Hinterbeinen (Tinker eben...) und mag die Fesseln da nicht arg beugen (Schmerzen?), aber sonst ist nix bekannt :nix:

Das erste Mal bearbeiten war somit seeehr langwierig und ein Drahtseilakt zwischen "dranbleiben" und "Pause geben". Die Besi und ich haben gaaanz viel gelobt, ich hab mich bemüht, die Beine abzusetzen bevor das Pferd sie wegzieht, und überhaupt jede kleine Bemühung zu clickern und zu würdigen. Es blieb aber zugegebenermaßen schwierig :shifty: , wir haben fast 2 Stunden gebraucht :ohhh:

Heute war ich wieder da. Pferd wollte erstmal gar nicht mitkommen, weil :oerks: Schmied :bigno:
Aber diesmal dauerte es nur wenige Clicks, bis Pony das Denken anfing. Und nach einer Stunde waren wir mit allen Füßen fertig :yess: (weniger als 30 min werd ich bei solchen Hufen vermutlich nie schaffen, egal wie gut das Pferd hinhält, nur so als Vergleich) und wir hatten unglaubliche Fortschritte erreicht: Ich konnte die Vorderhufe auf den Bock legen und so lange bearbeiten, wie ich wollte :staun: , Pferd meldete nur alle paar Minuten höflich an, dass es mal ne Pause bräuchte. Ich konnte aber IMMER mein Veto einlegen und sagen ich brauch noch nen Moment. :anbet:
Und hinten konnte ich mir die Beine hinters Knie legen und dort bestimmt 30sek am Stück problemlos bearbeiten! :yess: Auch da konnte ich eine Wegziehtendenz ausbremsen und herauszögern, sodass ich noch schnell fertig machen konnte. Das Stütchen hat mir sogar mehrfach die Hinterhufe von sich aus angeboten!!! :goforit:

Klar, sie ist noch ne ganze Ecke weg von "Schmiedefromm" und unkompliziert, aber WOW was für eine Entwicklung! Besonders schön war auch der Wandel im Ausdruck, von besorgt zu nachdenklich zu fast schon keck - sie hatte nachher sehr gut raus, wie das Spiel funktionierte - für jedes von mir abgesetzte Bein gab es :keks: , und so kam schon seeehr bald der Kopf jedes Mal rum, wenn ich ein Bein absetzte :herzi:
Bei diesem schüchternen Pferd war ich SEHR froh um dieses "Betteln"

Ich bin mal gespannt, wie sich das weiter entwickelt :trommel:
Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst in dieser Welt.
- Mahatma Ghandi
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