Pferdehaltung im Wolfsgebiet

Moderator: Sheitana

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Cashew
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Re: Pferdehaltung im Wolfsgebiet

Beitrag von Cashew »

Soooo...

In Köln habe ich bislang noch niemanden erreicht, aber meine eigentliche Frage für dort ist eh beantwortet. Für die Schafe können wir auch als Privatleute 100% Förderung für Präventionsmaßnahmen wie zB mobiler Wolfszaun anfragen. Für die Pferde nicht. Mal gucken wie wir das am besten drehen, also ob wir jetzt das komplette Grundstück als potentielle Schafsweide ansehen oder eben nicht und "nur" einen mobilen Zaun anschaffen.

Ich habe dann noch mit dem Wolfsbeauftragten der Gemeinde gesprochen, fast eine halbe Stunde. Ein sehr informatives Gespräch, und ich hoffe einige interessante Dinge mit euch teilen zu können.

- Pferderisse sind extrem selten weil Pferde wehrhaft sind und - wenn sie die Gelegenheit dazu haben - schnell flüchten können. Für den Wolf lohnt sich eine Verfolgung nicht. Brenzliger wird es, wenn ein größeres Rudel gemeinsam jagt. Wir sprechen hier von 7-8 Tieren die organisiert gemeinsam jagen. Solche Risse in Verband mit Pferden kommen in Ostdeutschland vereinzelt vor.

- Wölfe jagen sowohl tagsüber als auch nachts! Allerdings versuchen sie fast immer, den Menschen zu meiden. In unserem Fall würde zB schon alleine die Bundesstraße ausreichen, um Wölfe - zumindest tagsüber - eher auf Distanz zu halten. Eine Ausnahme bilden Jungtiere. Die sind unerfahren und neugierig und quasi "pubertär". Heißt, sie testen sich und ihr Umfeld aus. Kann durchaus sein, dass man "morgens die Zeitung aus dem Briefkasten holt und da pinkelt einem ein Jungwolf an die Autofelge" (dixit der Wolfsbeauftragte ;-) )

- Wölfe sind Opportunisten. Sie wählen immer den einfachsten Weg. In allen Fällen, in denen "unser" Wolfsberater einen Wolfsbiss festgestellt hat, waren die Zäune marode. Deshalb ist eine gute Zaunanlage das A und O. Müssen sie hoch springen, tief buddeln, weite Wege machen, ist etwas gruselig (Strom zb) ... dann gehen sie lieber weiter. Wölfe finden in unseren Wäldern mehr als genug zu fressen. Sie haben es schlichtweg nicht nötig, so ein großes Risiko ein zu gehen. Aber auch hier nochmal die Warnung: Jungwölfe sind neugieriger und deutlich risikobereiter - stellt euch einfach ein Pubertier vor, und dann wisst ihr was gemeint ist.

- Blutrausch gibt es nicht. Fälle in denen ein Wolf sehr viele Tiere gebissen hat, sind meist eher eine Panikreaktion, weil ein (oft junger und unerfahrener) Wolf zB nicht mehr aus dem Stall oder einer Anlage heraus findet. Wölfe die einen Stromzaun durchbeißen, sind Ammen-Märchen (Nicht, dass ich das geglaubt hätte, aber ich wollte es nur noch mal ansprechen).

- Meine Grundstücksgrenze zur Straße hin ist tatsächlich "gefährlich". Wir werden uns Gedanken machen müssen, inwieweit wir das besser gestalten. Je höher und steiler die Böschung, desto weiter weg muss der Zaun am unteren Ende der Böschung stehen. Unsere Böschung ist leider hoch und steil. Wir werden auf jeden Fall die Hecke höher wachsen lassen. In einem ersten Schritt werde ich über Möglichkeiten nachdenken, den oberen Teil des Trails nachts zu schließen. Sollte aus dem Pärchen nebst Welpen tatsächlich ein Rudel werden, werden wir den Innen-Zaun wohl umsetzen und (überall) "verschärfen" müssen. Von daher lohnt sich vielleicht die Überlegung, das von vorneherein als Schafsweide zu sichern.
Viele Grüße,
Sarah und Co


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november
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Re: Pferdehaltung im Wolfsgebiet

Beitrag von november »

Vielen Dank für diesen ausführlichen Bericht, Cashew. Wir sind zwar nicht im Wolfsgebiet, das kann aber noch kommen, im nördlichen Schwarzwald gibt es auch bereits mindestens einen Wolf.
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Wallinka
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Re: Pferdehaltung im Wolfsgebiet

Beitrag von Wallinka »

Danke für diese Infos. Das scheint ein Mensch zu sein, dem wirklich an Aufklärung und "miteinander leben können" gelegen ist, ohne die Ängste der Tierbesitzer abzutun.
Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie, was man bekommt.
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Vaena
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Re: Pferdehaltung im Wolfsgebiet

Beitrag von Vaena »

Mega guter Bericht.

Wir Schweizer haben da jetzt leider andere Erfahrungen gemacht. So dass jetzt eine Regulation vom Bestand eingeleitet wird. Schafe sowie Esel wurden nun schon mehrmals gerissen/schwer verletzt/getötet. Und nun auch schon eine Hirtin mit ihrem Hund angegriffen worden.

https://www.gr.ch/DE/Medien/Mitteilunge ... W85vuazMT0

Also in der Schweiz ist der Platz für ein gutes Miteinander nicht gegeben... Ich bin gespannt, wie das weitergeht.
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Sunny77
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Re: Pferdehaltung im Wolfsgebiet

Beitrag von Sunny77 »

Super Infos, vielen lieben Dank!
Liebe Grüße,
Sunny
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Beate1712

Re: Pferdehaltung im Wolfsgebiet

Beitrag von Beate1712 »

Danke für die Infos. Das deckt sich mit unseren Erfahrungen hier in in Brandenburg. Zwei meiner Reitschülerinnen haben ihre Pferde direkt im Wolfsgebiet. Ehemaliger Truppenplatz der rissuschen Armee. Sie treffen die regelmäßig beim Ausreiten und es nicht noch nie was pasiert- Ich habe auch noch von keiner Rudeljagd auf Pferde hier gehört.
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Cashew
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Re: Pferdehaltung im Wolfsgebiet

Beitrag von Cashew »

Freut mich, dass ich euch mit den Infos auch bisschen weiterhelfen kann :-) Ich fand es auch ein sehr gutes Gespräch und hätte gerne eine Info-Versammlung für die Gemeinde angeregt. Vielleicht kommt das ja noch. Könnte mir vorstellen, dass ich nicht die einzige mit vielen Fragen bin, und es gibt ja viele Milchviehbauern hier, da haben schließlich alle möglicherweise gefährdete Kälber.

Ist jetzt bissl OT, aber... Wo sonst soll ich es los werden. Wisst ihr, was mich sehr nachdenklich gemacht hat? Es hat nur am Rande mit den Wölfen zu tun. Es gab hier im Dorf vor Jahren eine Luchs-Sichtung. Ist schon über 8 Jahre her. Ich fand das spannend, wir waren damals gerade erst hier, und wir können sie ja hautnah im Wildfreigehege Hellenthal erleben. Es sind so schöne Tiere. Luchse sind inzwischen aber unwiderruflich vom Aussterben bedroht. Es gibt deutschlandweit nur noch etwa 70 Tiere, das ist zu wenig um eine genetisch diverse gesunde Population aufrecht zu erhalten. Ohne Auswilderungsmaßnahmen geht das nicht. Der Wolfs- (und Luchs- und Wildkatzen-)Beauftragte sagte dazu, er fände es selbst nicht tragbar, Luchse aus zu wildern, weil dafür einfach kein Rückhalt in der Bevölkerung ist. Also es wäre Quälerei gegenüber den Luchsen, weil "man" sie eigentlich nicht haben will. Dabei ist der Luchs um ein vielfaches "diskreter" als der Wolf.

Ich frage mich wirklich, wie es dazu kommen konnte, dass wir als Spezies alles und jeden Fleck so einnehmen, dass für andere kein Platz mehr sein soll. Das macht mich irgendwie traurig. Ist ja nicht nur mit Wölfen und Luchsen so...

OT aus ----

@beate: also, wenn ich jetzt ganz ehrlich sein darf - ich würde die Wölfe sehr gerne mal in freier Wildbahn sehen - also von weitem versteht sich ;-)
Viele Grüße,
Sarah und Co


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Sunny77
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Re: Pferdehaltung im Wolfsgebiet

Beitrag von Sunny77 »

Das finde ich auch sehr erstaunlich. Ich persönlich fände Luchse in der Wildbahn viel toller als Wölfe…
Liebe Grüße,
Sunny
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Beate1712

Re: Pferdehaltung im Wolfsgebiet

Beitrag von Beate1712 »

Cashew hat geschrieben: Fr 27. Aug 2021, 21:03

@beate: also, wenn ich jetzt ganz ehrlich sein darf - ich würde die Wölfe sehr gerne mal in freier Wildbahn sehen - also von weitem versteht sich ;-)
Das geht mir ganz genauso. Ich selbst habe bisher nur von weitem aus dem Auto einen gesehen.
Bei uns im Gelände am Hof ist auch nur Wald, da sieht man eh kaum einen. Der Nchbar hatte mal einen auf der Weidekamera.

Die zwei Mädels sehen sie ab und an, weil es halt Heide-ähmliches Gelände ist und man weit gucken kann.
Sie betrachten die Pferde wohl interessiert, verschwinden dann aber schnell. Das Dorf ist keine 800m entfernt, da sind sie wohl noch nie beobachtet worden.
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november
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Re: Pferdehaltung im Wolfsgebiet

Beitrag von november »

Scheinbar gibt es recht viele Fehlinformationen (?). ich höre immer wieder Gerüchte, die besagten, dass Risse durch Wölfe verschwiegen werden, DNA - Analysen von ungeeigneten Instituten durchgeführt werden würden (die mit dem NABU zusammen arbeiten und daher käme dann bei den Analysen Fuchs oder Hund raus und nicht Wolf) etc. Den Wolf wieder anzusiedeln sei ein Fehler gewesen für alle beteiligten, aber es sei eine gewollte Sache und daher würden Probleme vertuscht. ich kann das nicht wirklich glauben, das klingt arg nach Verschwörungstheorien für mich. Leider fehlen mir dazu stichhaltige Informationen, wenn man in so einer Argumentation mit dem Wolfsbeauftragten kommt, heißt es nur "Ja klar, es ist ja der WOLFSbeauftragte, der redet das alles schön und verschweigt Übergriffe".

Aber wenn es auf sowas wie mit den Luchsen hinausläuft, finde ich das wirklich sehr, sehr traurig. Wie kann man einem Lebewesen die Daseinsberechtigung in seinem angestammten Lebensraum absprechen?
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